Archivalien aus 750 Jahren Betzinger Geschichte

Die lateinische Pergamenturkunde aus dem Jahr 1258, in der Betzingen zum ersten Mal schriftlich erwähnt wird, ist das Glanzlicht einer Ausstellung mit dem Titel „Archivalien aus 750 Jahren Betzinger Geschichte“, die derzeit vor den Diensträumen des Stadtarchivs im Reutlinger Rathaus zu sehen ist. Ermöglicht wird die Präsentation der Originalurkunde durch das Entgegenkommen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, in dessen Magazinen sie heutzutage verwahrt wird. Noch bis zum 20. März 2008 kann die wertvolle Leihgabe nun in Reutlingen gezeigt werden.

In dieser am 12. März 1258 ausgestellten Urkunde bestätigen Graf Ulrich von Württemberg, Herzog Ludwig von Teck sowie Heinrich von Neuffen, dass Heinrich Fink der Ältere von Schlossberg (bei Dettingen/Teck) und sein Sohn Werner ihre in Betzingen („Beczingin“) gelegenen Güter dem Klarissenkloster Pfullingen übergeben haben. Die Beurkundung durch drei hochadelige Herren legt nahe, dass es sich um einen bedeutenden Besitz gehandelt haben muss – vielleicht sogar um die Betzinger Mühle, als deren Besitzer die Pfullinger Klosterfrauen seit Anfang des 15. Jahrhunderts nachgewiesen sind. Auffällig an der nur etwa 7 x 18 cm großen und auf den ersten Blick recht unscheinbaren Urkunde sind zwei anhängende Wachssiegel mit einem Durchmesser von ca. 6 cm. Die Motive der beiden Siegel – zwei Signalhörner mit Band (sog. „Hifthörner“) auf einem Topfhelm bzw. ein Schild mit den württembergischen Hirschstangen – sind trotz Beschädigungen sehr gut zu erkennen.

Von der Ersterwähnung Betzingens im Jahr 1258 schlägt die Ausstellung einen Bogen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Unter den Themenschwerpunkten „Betzingens frühe Geschichte“, „Betzingen unter der Herrschaft Reutlingens“ sowie „Vom Bauern- und Weberdorf zur Arbeiterwohngemeinde“ werden dabei zahlreiche Quellen zur Betzinger Ortsgeschichte aus den Beständen des Reutlinger Stadtarchivs vorgestellt. Eine Urkunde über den Verkauf des sogenannten „Brosemhofes“ in Betzingen durch die Reutlinger Familie Ungelter dokumentiert beispielsweise, dass sich bereits im 14. Jahrhundert Teile der Betzinger Markung im Besitz von Patriziern aus der benachbarten Reichsstadt befanden. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts gelang es dann den Reutlinger Pflegschaften, den größten Teil der Betzinger Flur in ihre Hand zu bringen. So sind etwa im Lagerbuch des Reutlinger Spitals von 1479 bereits drei große Hoflehen für Betzingen aufgelistet.

Nachdem Reutlingen 1495 durch kaiserliches Privileg endgültig mit der Betzinger Ortsherrschaft belehnt worden war, ließ der Rat im 16. Jahrhundert in einem „Betzinger Vogtbüchlein“ das unter seiner Herrschaft im Dorf geltende Recht zusammenstellen. Auf 32 Blatt enthält dieses wichtige ortsgeschichtliche Zeugnis u. a. eine Dorfordnung sowie die Eidformeln des Schultheißen, der Richter und der Gemeinde. Auch einige Archivalien zur Kirchengeschichte Betzingens sind in der Ausstellung zu sehen. Einen Einblick in das gespannte Verhältnis zwischen dem Betzinger Pfarrer Johann Jacob Eberhard Kenngott und seiner Gemeinde gewährt beispielsweise ein Bericht von 1785, in dem der Pfarrer ausführlich den jahrzehntelangen Streit um gewohnheitsmäßige Abgaben schildert. Aus den Anfangsjahren Betzingens als politisch selbständige Gemeinde stammt ein großformatiger kolorierter Plan, den der Steinhauer Johannes Rupp für die Errichtung eines neuen Mühlkanals im Jahr 1805 anfertigte.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Betzingen durch die einsetzende Industrialisierung einen wirtschaftlichen Aufschwung. Den damit verbundenen tiefen Einschnitt in den Lebensalltag der Menschen veranschaulicht etwa eine Fabrikordnung der Firma Widenmann und Schickhardt aus dem Jahr 1846, die minutiös die Pflichten der Arbeiter regelt. 60 Jahre später entschied sich Betzingen zum Zusammenschluss mit der leistungsfähigen Nachbarstadt Reutlingen. Welche Betzinger man zur Vertretung der örtlichen Interessen in die bürgerlichen Kollegien der Achalmstadt wählte, ist im ausgestellten Protokoll der letzten Sitzung des Betzinger Gemeinderats vom 30. März 1907 nachzulesen. Die Ausstellung in den Wandvitrinen des Stadtarchivs kann zu den Öffnungszeiten der Rathaus-Eingangshalle bis Ende April 2008 besichtigt werden. Nach dem 20. März wird die Originalurkunde von 1258 durch eine Reproduktion ersetzt.

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Quelle: Aktuelles Stadt Reutlingen; Nicole Linke, Südwest Presse, 5.3.2008

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