Hertha B.S.C. in der NS-Zeit

Hertha BSC Berlin öffnet ein bisher unbekanntes Kapitel seiner Geschichte. Welche Rolle der Verein, einer der ältesten Clubs der Liga, im Dritten Reich spielte, hat der Berliner Historiker Professor Dr. Daniel Koerfer von der Freien Universität erforscht. Sein Fazit: "Hertha BSC war kein nationalsozialistisch infizierter Verein.\“ 

Die große Mehrheit der Spieler sei der NSDAP ferngeblieben, auch die meisten der rund 400 Mitglieder des Vereins hätten nicht mit den Nazis sympathisiert, schreibt Koerfer, ein gebürtiger Schweizer. Die Vereinsführer hingegen waren oder wurden Parteimitglieder. 

Entscheidend für den Verein war in dieser Zeit seine Verwurzelung im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Hier stimmten 1932 noch drei Viertel der Wähler für KPD und SPD. Über 30 Jahre bis zu Hitlers Machtergreifung führte ein Sozialdemokrat und Gewerkschafter die Vereinsgeschäfte und arbeitete selbst unter den Nazis an verantwortlicher Stelle bei Hertha. Im Mittelpunkt standen Fussball und Kegeln, der Zusammenhalt untereinander war eng, zu fast allen der 300 Herthaner an den Fronten hielt der Verein im Krieg weiter Kontakt. Koerfer: \“Hertha BSC war der Verein der kleinen Leute\“. 

Hertha-Präsident Bernd Schiphorst, der die Studie in Auftrag gegeben hatte, sagte bei der Vorstellung: \“Viele Fans nennen uns heute in einem Atemzug mit dem Olympiastadion, weil wir dort seit Beginn der Bundesliga 1963 unsere neue Heimat gefunden haben. Aber unsere Wiege stand an der ‚Plumpe’ im Wedding, und das hat Hertha möglicherweise vor mancher Einvernahme durch die Nazis bewahrt.\“ 

Ohne braune Flecken sei die blau-weiße Vereinsweste jedoch nicht, hieß es am 5.12.2007 bei der Vorstellung der Studie. Der Verein stellte sich früh in den Propagandadienst des Regimes. Die Bewunderung für den \“Führer\“ Adolf Hitler (nicht für die NSDAP) wuchs mit seinen wirtschaftlichen und außenpolitischen Erfolgen und führte zu Glückwunsch- und Ergebenheitsadressen. Auch um eine bedrohliche Schieflage der Vereinsfinanzen Mitte der 30er Jahre zu beheben, wurde mit den Machthabern kooperiert. Ein besonders tragisches Schicksal erlitt der jüdische Mannschaftsarzt von Hertha BSC; er wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 

Der bekannteste Herthaner der aller Zeiten, der Nationalspieler Hanne Sobek, der 1930 und 1931 mit Hertha Deutscher Meister wurde, trat zwar 1940 der NSDAP bei, hielt aber vor- und nachher Distanz zu den Nazis. \“Als im Zuge der immer weiter verschärften antisemitischen Ausgrenzungspolitik die Tribünen für jüdische Vereinsmitglieder gesperrt werden sollen, protestiert Sobek dagegen. Er hat auch weiter Kontakt zu jüdischen Vereinsmitgliedern\“, schreibt der Historiker Koerfer. 

Insgesamt unterschied sich, resümiert Koerfer, das Verhalten des Vereins nicht wesentlich vom Verhalten der meisten Deutschen im Dritten Reich: Anpassungsbereitschaft war auch hier verbreitet. \“Es gab keinen Widerstand gegen das Regime, aber auch keinen tief verankerten, fanatischen Enthusiasmus für die Partei und ihre Führung, von der Bewunderung für Hitler bis weit in den 2. Weltkrieg hinein einmal abgesehen. Es gab auch keinen ausgeprägten Antisemitismus – aber eben auch keine Versuche, sich wirklich dem staatlich verordneten Rassenwahn entgegenzustemmen. Führerprinzip und Fußballsport – das war im Dritten Reich kein Gegensatz\“, so der Historiker. 

Link: Die komplette Studie zum Download (pdf) 

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Hon.-Prof. Dr. Daniel Koerfer 
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Quelle: Hertha BSC, Pressemitteilung, 5.12.2007

Stasiakten für Halle komplett erschlossen

Erstmals in Ostdeutschland sind für eine ehemalige Bezirksstadt die Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) komplett zur Nutzung erschlossen worden. Alle Sachakten und registrierten Personenvorgänge der Stasi-Kreisdienststelle Halle seien für die Einsichtnahme zugänglich, berichtete die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung.

"Betroffene haben damit die Chance, dass detaillierter Informationen zu ihnen ermittelt werden können", sagte die Chefin der Außenstelle Halle der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, Uta Leichsenring.

Die Archivarin Christiane Hagemann habe über vier Jahre sämtliche überlieferte Unterlagen aus dem MfS-Bestand für das Stadtgebiet von Halle außer Neustadt gesichert. Das Material sei so aufbereitet worden, dass künftig Informationen zu Vorgängen, aber auch zu Personen gewonnen werden können.

Kontakt:
BStU Außenstelle Halle (Saale)
Blücherstraße 2
06122 Halle (Saale)
Telefon: (03 45) 61 41 – 0 
Fax: (03 45) 61 41 – 27 19
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www.bstu.bund.de

Quelle: Adhoc News, 4.12.2007

Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik online

Die zentrale Quellenedition zur politischen Geschichte der Weimarer Republik wurde zwischen 1968 und 1990 in 23 Bänden von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dem Bundesarchiv herausgegeben. Sie ist nach wie vor eine \“Rückgrat-Serie\“ (Hans Günter Hockerts) für Forschung und Lehre und seit dem 4.12.2007 barrierefrei kostenlos im Internet zugänglich.

Die Sitzungsprotokolle und zentrale Dokumente von Scheidemann bis Schleicher sind nun im Internet frei zugänglich unter

Die Bände sind im Volltext durchsuchbar und innerhalb der Dokumente sowie mit einschlägigen fachhistorischen Angeboten im Netz umfangreich verlinkt. Dazu zählen das Register der Allgemeinen und Neuen Deutschen Biographie (ADB/NDB), Online-Findbücher und die Nachlassdatenbank des Bundesarchivs, die Reichstagsprotokolle, -drucksachen und -handbücher, das Reichsgesetzblatt und die Edition \“Foreign Relations of the United States\“. Zusätzlich wurden über 3500 Kurzbiographien erwähnter Personen erstellt und mit der Personennamendatei (PND) der Deutschen Nationalbibliothek abgeglichen und verknüpft. Ein besonderer Service ist die editionsübergreifende Suche über die Epochengrenze 1945 hinweg in den \“Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik\“ (1919-1933) und den \“Kabinettsprotokollen der Bundesregierung\“ (1949-1962).

Die Retrodigitalisierung ist ein Kooperationsprojekt von Historischer Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Bundesarchiv. Partner für die Erfassung im Volltext und die Programmierung der übergreifenden Suche war das Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat das Projekt von 2005 bis 2007 gefördert.

Maximilian Lanzinner (Universität Bonn) und der wissenschaftliche Bearbeiter Matthias Reinert präsentierten die Online-Edition am 4. Dezember 2007 in der Universität Bonn.

Links:

Kontakt:
Dr. Karl-Ulrich Gelberg
Geschäftsführer der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Tel. 089/23031-1151, 
gelberg@hk.badw.de

Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Presse Info 39/2007, 4.12.2007

Projekt »Ausbau des Portals »Netzwerk SED-Archivgut« zu einer Referenzanwendung für ein Archivportal Deutschland« online

Ab sofort können auf der Internetseite www.archivgut-online.de die Entwicklungen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts mitverfolgt werden. Auf Basis des bereits bestehenden Netzwerks zum SED-/FDGB-Archivgut (www.bundesarchiv.de/sed-fdgb-netzwerk) wird in den kommenden zwei Jahren ein Referenzmodell für ein Archivportal Deutschland aufgebaut. 

Die Projektwebseite bietet Hintergrundinformationen zu den dabei verwendeten internationalen Standards und gibt mittels Berichten und weiterführenden Papieren Einblicke in die laufende Arbeit.

Kontakt:
Kerstin Arnold (k.arnold@barch.bund.de)
Andres Imhof (a.imhof@barch.bund.de)

Südtiroler Chefarchivar Nössing trat in den Ruhestand

Am Südtiroler Landesarchiv ging eine Ära zu Ende. Am 1. Dezember 2007 trat der langjährige Chefarchivar Josef Nössing in den Ruhestand. Seinen letzten Arbeitstag verbrachte der bisherige Leiter des Landesarchivs unter Gleichgesinnten, beim 10. Chronistentag, der im Palais Widmann in Bozen begangen wurde. Kulturlandesrätin Sabina Kasslatter Mur würdigte Nössings Aufbau- und Forschungsarbeit und bedankte sich beim scheidenden Archivdirektor für seine jahrzehntelange Arbeit im Landesarchiv. 

Josef Nössing, 1943 in Kastelruth geboren, stand nicht nur seit 21 Jahren an der Spitze des Südtiroler Landesarchivs, er war es auch, der dieses „Haus der Geschichte“ seit seiner Gründung 1986 wesentlich mit aufbaute. Neben der Arbeit im Archiv war und ist er selbst als Forscher tätig. Geschichtsvereine und das Chronistenwesen schätzen ihn als wertvollen Mentor. Seinen letzten Arbeitstag verbrachte Nössing denn auch unter Gleichgesinnten. Er nahm am 10. Tag der Chronisten und Chronistinnen teil, der vom Südtiroler Landesarchiv im Palais Widmann in Bozen veranstaltet worden ist. 

In diesem Rahmen würdigte Kulturlandesrätin Sabina Kasslatter Mur die Arbeit Nössings als langjähriger Direktor des Südtiroler Landesarchivs und seine ausgewiesenen Kenntnisse der Landesgeschichte und bedankte sich für seinen Einsatz und sein Bemühen, die Geschichte zu dokumentieren und lebendig zu erhalten. \“Seine Gabe, Menschen für die Belange des Archivs und der historischen Forschung zu gewinnen und zu überzeugen, haben dem Land Südtirol viele Freunde und Kontakte gebracht\“, so die Landesrätin.

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Abb.: Chefarchivar Josef Nössing und LRin Kasslatter Mur beim heutigen Chronistentag in Bozen (Foto: LPA – Arno Pertl)

In Marburg an der Lahn begann Nössing seine akademische Ausbildung. An der Universität Innsbruck schrieb er seine Dissertation über „Die Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte von Baumkirchen und Fritzens“. Wirtschafts-, Verkehrs- und Siedlungsgeschichte sind die Forschungsbereiche, in die sich Nössing auch weiterhin vertiefte, was in mehreren Veröffentlichungen ihren Ausdruck fand. Außerdem publiziert er zu den Themen Burgen und Adel. 

Unter der Leitung von Josef Nössing hat sich das Landesarchiv stetig weiterentwickelt. Es kann mittlerweile auf eine beachtenswerte Erfolgsgeschichte zurückblicken, in die unter anderem viele international renommierte Veröffentlichungen, hochwertige Tagungen, weitum beachtete Ausstellungen und die Entwicklung eines regen Chronistenlebens fallen. Das Archiv ist heute alles andere als ein „verstaubter Laden“, sondern ein wichtiger Partner für viele Initiativen im Land, es ist eines der Verbindungsglieder im kulturellen Austausch über die Grenzen weg. 

Ausdruck der Wertschätzung von Nössings Arbeit als Historiker ist seine wiederholte Einladung zu den Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, seine Mitgliedschaft in der „Schlern“-Runde, seine immer wieder bestätigte Präsidentschaft der Bozner Zweiges des Tiroler Geschichtsvereins, seine Mitgliedschaft im Redaktionskomitee der führenden Trentiner geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift „Studi trentini di scienze storiche“ und seit 1994 bei der „Accademia Roveretana degli Agiata“. 

Im Ruhestand will sich Nössing verstärkt der historischen Forschung und seinem Hobby, dem Wandern in seiner geliebten Südtiroler Bergwelt, widmen.

Kontakt
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8
I-39100 Bozen
Tel.: 0471 / 411940
Fax: 0471 / 411959
Landesarchiv@provinz.bz.it 
www.provinz.bz.it/sla

Quelle: Arno Pertl, Presseamt Autonome Provinz Bozen – Südtirol, Pressemitteilung, 30.11.2007

Gütliche Einigung zum Archivbestand der Familie von Seckendorff

Am 30. November 2007 sprach Thüringens Kultusminister Prof. Dr. Jens Goebel (CDU) anlässlich der Gütlichen Einigung zwischen dem Freistaat Thüringen und der Erbengemeinschaft von Seckendorff zum Archivbestand der Adelsfamilie ein Grußwort. Für insgesamt 44.500 Euro geht das 42 laufende Meter umfassende Konvolut in Landeseigentum über und verbleibt im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg.

Die Nachlässe von Veit Ludwig von Seckendorff-Gutend (1626-1692) und die seines Neffen Friedrich Heinrich von Seckendorff-Gutend (1673-1763) bilden den Kernbestand des Seckendorff-Archivs im Staatsarchiv Altenburg. Es finden sich u. a. Autografen und Briefkontakte mit Kaiserin Maria Theresia, Kaiser Karl dem VII., eine reichhaltige Korrespondenz mit Johann Christoph Gottsched sowie zahlreiche weitere Gedichte, Abhandlungen, Tagebücher, Kolleghefte und Aufzeichnungen der Familie. Veit Ludwig von Seckendorff-Gutend gilt mit seinen zahlreichen Schriften als Mitbegründer der modernen Verwaltungslehre. Als Vertreter der lutherischen Kirchengeschichte begründete er zudem die Geschichtsschreibung der Reformation auf wissenschaftlicher Grundlage. Weitere Informationen sind im Internet unter www.archive-in-thueringen.de zu finden.

Kultusminister Goebel sagte im Vorfeld: „Der Nachlass der Familie von Seckendorff geht in seiner Bedeutung weit über das übliche Maß eines Ritter- und Gutsarchivs aus Mitteldeutschland hinaus. Es ist ein nahezu unerschöpfliches Quellenreservoir von nationalem und internationalem Rang sowie Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen zur Ideen-, Wissenschafts- und Kirchengeschichte, Verwaltungslehre sowie zur Territorialgeschichte Sachsen-Gothas. Mit der Gütlichen Einigung wird dieser bedeutende Archivbestand nun dauerhaft für Thüringen gesichert. 
Mein Dank gilt der Familie von Seckendorff, dem Thüringischen Staatsarchiv Altenburg, dem Beauftragen für Kultur und Medien des Bundes sowie der Kulturstiftung der Länder. Gemeinsam haben alle Beteiligten diesen Schatz der Kultur und Wissenschaft der Öffentlichkeit erhalten. Ich danke auch der Stadt Meuselwitz, wo das Rittergut seinen Stammsitz hatte. Durch einen Stadtratsbeschluss wurde festgelegt, dass der auf die Stadt Meuselwitz entfallende Anteil des Bestandes an Archivalien im Thüringischen Staatsarchiv in Altenburg verbleibt.“

Kontakt:
Thüringisches Staatsarchiv Altenburg
Schloss 7
04600 Altenburg 
Telefon: 0 34 47 / 31 54 88
Telefax: 0 34 47 / 50 49 29

Quelle: Kultusministerium Thüringen, Pressemitteilung, 29.11.2007

1407. Rat kontra Landesherr – Das Kolloquium

Die Städtischen Museen Zwickau und das Stadtarchiv Zwickau veranstalteten am 28.9.2007 im Zwickauer Stadtgeschichtsmuseum Priesterhäuser ein Kolloquium unter dem Titel „1407. Rat kontra Landesherr“, das den Zwickauer Ereignissen vor 600 Jahren gewidmet war. Der Einladung zum Kolloquium folgten Vertreter aus Museen und Archiven Sachsens und darüber hinaus, sowie namhafte Historiker für sächsische Landes- und Lokalgeschichte.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Konflikt zwischen Stadtregime und Landesherr aus dem Jahr 1407, der in der Hinrichtung von vier Zwickauer Ratsherren und Bürgern kulminierte. Denn am 14. Februar 1407 hatte der Zwickauer Rat den Stadtrichter Franz Steussing wegen seines Handelns wider die städtischen Interessen auf dem Marktplatz hinrichten lassen. Im Komplott mit dem markgräflichen Vogt Conrad Brückner sowie dem Ratsherrn Nikel Hugk hatte Steussing unter Ausnutzung seiner Stellung den Bestrebungen einer forcierten Konsolidierung und Ausweitung landesherrlicher Machtpositionen durch Markgraf Wilhelm I. aktiv Vorschub geleistet. Dies führte zur Rücknahme wichtiger städtischer Privilegien, so u.a. der Gerichte, durch den Landesherrn. Steussing nutzte seine Position als Stadtrichter um sich durch vielfältige, willkürliche Übergriffe mit erheblichem Schaden für die Stadt selbst zu bereichern. Das Machtvakuum nach dem Tod von Markgraf Wilhelm I. Anfang Februar 1407 bis zur Regierungsübernahme durch die neuen Landesherren nutzte der Rat, um Steussing den Prozess zu machen und ihn schließlich hinzurichten. Die neuen Landesherren nahmen diesen Vorfall zum Anlass, ihre aus landesherrlicher Sicht berechtigten Machtansprüche zu untersteichen, indem sie am 10. Juli 1407 vier Zwickauer Ratsmitglieder und Bürger in Meißen unterm Roten Turm hinrichten ließen.

\"Tagungsteilnehmer

Die Hintergründe und der gesellschaftliche Rahmen für diesen Konflikt zwischen Rat und Landesherren wurden auf dem Kolloquium näher untersucht. Die Beiträge befassten sich mit den politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen im wettinischen Herrschaftsgebiet am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts, sowie am Beispiel Zwickaus mit der Rolle der Städte im Territorialstaat.

So stellte Dr. Michael Löffler, Museum Priesterhäuser, in seinem Beitrag zu den wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Stadt Zwickau im späten Mittelalter eindrucksvolle Fakten und Zusammenhänge dazu vor. Zwickau war von einer vielfältigen Handwerksstruktur geprägt. 64 Berufsgruppen waren hier ansässig. Wer sich als Meister niederlassen wollte, musste das Bürgerrecht erwerben, wofür ein Schock Groschen zu entrichten war. Der Rat wachte mit konkreten Vorschriften, niedergelegt im Stadtrechtsbuch, über die Einhaltung von Recht und Ordnung. 

Dr. André Thieme vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden charakterisierte den Weg der Wettiner zur Hegemonie in Mitteldeutschland und untersuchte in diesem Zusammenhang ihre Methoden der Herrschaftsdurchsetzung und Territorialpolitik. Dabei arbeitete er vier Schwerpunkte heraus. Erstens spielte zur Herrschaftsdurchsetzung die Dynastie und die Familie eine entscheidende Rolle. Durch mehrere Teilungen erweiterten die Wettiner ihren Einflussbereich. Zweitens übten sie die Lehenshoheit aus. Drittens vollzog sich in jener Zeit eine Institutionalisierung der Macht, die ihren offensichtlichsten Ausdruck in der Rolle der Kanzleien im 14. Jahrhundert fand. Die Schriftlichkeit bekam eine immer größere Bedeutung. Eine beginnende Verrechtlichung zeichnete sich ab. Viertens gehörte zur Machtausübung die Repräsentation. In der Architektur verwirklichte sie sich über repräsentative Burgbauten. Im Sinne der Herrschaftsfestigung geschah das über die Ehre, die so genannte repräsentative Ehre des Landesherrn. Mit der Hinrichtung Steussings hatten die Zwickauer diese verletzt.

Dr. Henning Steinführer vom Stadtarchiv Braunschweig untersuchte in seinem Beitrag die Stellung der sächsischen Städte im Gefüge des Territorialstaates unter besonderer Berücksichtigung der Gerichtsbarkeit. Ausgangspunkt seiner Ausführungen war die volle Ausprägung der städtischen bürgerlichen Verhältnisse im 14. Jahrhundert. Die Ratsverfassung hatte sich entwickelt. Die Städte hatten ein großes Interesse an Unabhängigkeit gegenüber den Stadtherren, was sich in der Erreichung von Privilegien wie der Ausübung der Gerichtsbarkeit äußerte. Die Interessen des Landesherrn gegenüber den Städten waren vor allem wirtschaftlicher Natur. Prosperierender Handel und wirtschaftlicher Aufschwung der Städte brachten ihm Steuern und Abgaben.

Der vierte Beitrag, gehalten von Dr. Jens Kunze von der Universität Leipzig, befasste sich am Beispiel Zwickaus mit dem Verhältnis von landesherrlichem Amt und Stadt im 14./15. Jahrhundert. Dieses Verhältnis war sowohl von Konflikten als auch vom Zusammenwirken gekennzeichnet. Konfliktfelder waren die Durchsetzung städtischer Rechte im Umland, der Besitz und die Zuständigkeit in der Gerichtsbarkeit, die Stellung des Burglehens auf städtischem Territorium außerhalb des städtischen Rechts. In diesen Kontext sind die Ereignisse von 1407 einzuordnen. Allerdings zeichnete sich für das weitere 15. Jahrhundert ein vorwiegend konfliktarmes Zusammenleben von Stadt und Umland ab.

Im fünften Beitrag wandten sich Wilfried Stoye, Städtische Museen Zwickau, und Norbert Oelsner, Sächsisches Landesamt für Denkmalpflege, den Ereignissen von 1407 selbst zu, indem sie konkret auf die Rechtfertigungsschrift des Zwickauer Rates, die im Stadtarchiv Zwickau erhalten ist, eingingen. In 19 Artikeln legte der Rat die Vergehen des Amtmanns Konrad Brückner dar und in 14 Artikeln die des Stadtvogtes Franz Steussing, um das harte Vorgehen seinerseits zu rechtfertigen.

Der Dresdner Archäologe Reinhard Spehr, der 1983 die Ausgrabungen in der Meißner St. Afra-Kapelle nach dem Fund der Grabplatte und der Skelette der vier am 10. Juli 1407 unterm Roten Turm in Meißen enthaupteten Zwickauer Ratsherren durchführte, zeigte interessante Ergebnisse der archäologischen und anthropologischen Untersuchungen auf.

Silva Teichert vom Stadtarchiv Zwickau widmete sich im abschließenden Beitrag der Quellenlage und dem Niederschlag der Ereignisse von 1407 in der Stadtchronistik. Die wichtigste Quelle ist nach wie vor die bereits erwähnte Rechtfertigungsschrift. Darstellungen von Seiten der Landesherren sind nicht überliefert. Die Zwickauer Chronisten von Peter Schumann bis Tobias Schmidt stellten die Ereignisse verklärt dar. Erst Emil Herzog stellte Mitte des 19. Jahrhunderts die Darstellung auf die Basis einer soliden Quellenauswertung.

Das Kolloquium machte mit dem Forschungsstand der sächsischen Landesgeschichte zum Verhältnis von Stadt und Territorialmacht Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts bekannt. Es zeigte auf, zu welchen Fragen noch weiterer Forschungsbedarf besteht und stellte die Zwickauer Ereignisse in den Kontext der Beziehungen zwischen städtischem Bürgertum und feudalen Landesherr. Es veranschaulichte das darin enthaltene Konfliktpotential, aber auch den Entwicklungsstand der politischen und wirtschaftlichen Strukturen in den Städten und dem Territorialstaat an der Schwelle vom 14. zum 15. Jahrhundert.

Dr. Angelika Winter (Stadtarchiv Zwickau)

Stadtarchiv Gescher zieht ins Rathaus

Das Stadtarchiv Gescher zieht um; neuer Standort wird das Rathaus. Die bisherige baurechtlich und fachlich unzumutbare Unterbringung des Archivs im Keller der Von-Galen-Schule soll im Jahr 2008 enden. Diese endgültige Raumlösung für das Archiv hat ein von der Stadt eingesetzter Arbeitskreis, der mit Unterstützung des Westfälischen Archivamtes in Münster tätig geworden ist, entwickelt; sie wurde jetzt vom Ausschuss für Sport, Kultur und Freizeit bei einer Enthaltung bestätigt. Auch das Team um Stadtarchivar Willi Wiemold habe sich der Empfehlung des Archivamtes einstimmig angeschlossen.

Vorgesehen ist, das bisherige Materiallager im Rathauskeller für das Stadtarchiv frei zu machen. Büroräume und Nutzerplätze sollen hingegen im Erdgeschoss zur Verfügung gestellt. Hier wird ein geregelter Archivbetrieb mit verlässlichen Öffnungszeiten und die gewünschte Verknüpfung mit dem Verwaltungs- bzw. Zwischenarchiv gewährleistet sein, ohne dass zusätzliche Mietkosten entstehen.

Für die Ausstattung des Archivs rechnet die Verwaltung mit Kosten in Höhe von 30.000 Euro, insbesondere für die Regalanlage. Die erforderlichen Lagerkapazitäten für das Endarchiv werden mit 400 laufenden Regalmetern angegeben.

Kontakt:
Stadtarchiv Gescher
Marktplatz 1
48712 Gescher
Telefon: 02542-7885
Telefax: 02542-60123
sonntag@gescher.de

Quelle: Gescherer Zeitung, 30.11.2007

Neue Wissenschaft

Eine wissenschaftliche Disziplin formiert sich wesentlich durch die Publikationen in den jeweiligen zuständigen Fachzeitschriften. Dies gilt auch für die Forschungsgeschichte zu paranormalen Phänomenen, die von mehreren einschlägigen Periodika geprägt wurde. Im deutschsprachigen Kontext eröffneten spezielle Fachorgane wie „Psychische Studien“, „Sphinx“, „Die Übersinnliche Welt“, „Zentralblatt für Okkultismus“ oder „Zeitschrift für Parapsychologie“ seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hinein in die NS-Zeit Publikationsmöglichkeiten auf dem Forschungsgebiet. 

Für den Neubeginn der parapsychologischen Forschungen nach dem Zweiten Weltkrieg spielte schließlich eine von dem Schweizer Germanisten Peter Ringger (1923-1998) im Jahr 1950 begründete Zeitschrift mit dem programmatischen Titel „Neue Wissenschaft. Zeitschrift für kritischen Okkultismus“ eine wichtige Rolle. Die Zeitschrift erschien von 1950 an bis 1968 und bot in dieser Zeit Raum für relevante Berichte, Mitteilungen und Publikationen. Die letzten acht Jahrgänge der Zeitschrift wurden direkt vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (IGPP) unterstützt und mit betreut. Von 1963 an fungierte Hans Bender dann als Mitherausgeber und Johannes Mischo oblag die Redaktionstätigkeit. 

\"Neue

Abb.: Neue Wissenschaft. Zeitschrift für kritischen Okkultismus, Heft 1, Oktober 1950 (IGPP-Archiv)

Eingereicht wurden sowohl fundierte wissenschaftliche Beiträge als auch kuriose Publikationsideen. Eine Aufarbeitung der Wirkungsgeschichte der „Neuen Wissenschaft“ könnte unter anderem Aufschlüsse über die Neukonstituierung der Disziplin in den 1950er Jahren ermöglichen. Allerdings ist über den Verbleib des Redaktionsarchivs der Zeitschrift nichts bekannt. Erhalten haben sich lediglich einige Unterlagen aus der Zeit, in denen das IGPP an der Herausgabe beteiligt war. 

Kontakt:
Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.
Wilhelmstraße 3a
79098 Freiburg i.Br.
Telefon: +49-(0)761-2072110 
igpp@igpp.de
www.igpp.de 

Quelle: Uwe Schellinger, Schaufenster ins IGPP-Archiv, Nr. 12-07, 1.12.2007