„Der Kesselbrink ein romantischer Ort?“ – ungläubiges Staunen zeichnet sich auf den Gesichtern der Jugendlichen ab, als Historiker Bernd Wagner im Stadtarchiv Bielefeld Fotos des Platzes am Rand der Altstadt von 1925 zeigt. Schneller und nachhaltiger als jeder Text illustrieren Aufnahmen wie diese die massiven und kleineren Veränderungen im Stadtbild, wie gerade Bielefeld sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Und ohne Bilder bedarf es einer blühenden Fantasie, sich den Kesselbrink als fein gestaltete Parkanlage zum Flanieren vorzustellen.
Um nichts der Fantasie zu überlassen, sondern aktuelle Veränderungen im Profil der Stadt sowie Ereignisse und Entwicklungen dauerhaft zu dokumentieren, geht das Stadtarchiv an der Rohrteichstraße neue Wege: In Zusammenarbeit mit Bielefelder Realschülerinnen und Realschülern und begleitenden Lehrkräften sollen jetzt große Teile des Stadtgebietes stärker als bisher fotografisch beobachtet werden. In ihren Stadtteilen sollen die Jugendlichen nach dem Projektmotto „Mach Dir ein Bild von Bielefeld!“ selbst lohnende Motive ermitteln, den Auslöser betätigen und die auch schriftlich dokumentierten Bilder dem Stadtarchiv übergeben.
Zu einer Auftaktveranstaltung trafen sich im Stadtarchiv 20 Interessierte verschiedener Realschulen, um sich über Ziele und Ablauf des Projekts zu informieren und auszutauschen: Von Sennestadt bis Jöllenbeck, von Brackwede bis Heepen. Sieben der zehn Realschulen im Stadtgebiet waren vertreten, eine weitere hatte bereits im Vorfeld ihre Teilnahme signalisiert. Im 2. Schulhalbjahr werden die Gruppen ihren Stadtteil mit der Digitalkamera beobachten.
Im Mittelpunkt des Projekts stehen bauliche Veränderungen in Bielefeld: Abrisse von typischen oder besonderen Gebäuden, Neuentstehung von Siedlungen, Industriekomplexen, Gewerbeflächen, Brücken oder Autobahnen, die Versiegelung von Naturflächen, aber auch Renaturierungen. Daneben sollen politische Ereignisse – zum Beispiel Wahlkampf, lokale Protestaktionen und entsprechende Transparente, Plakate und Tafeln – fotografiert werden. Ein zweites Feld betrifft gesellschaftliche Begebenheiten und Strukturen: Feste, Veranstaltungen, Konzerte, Jugendkultur, Wohnverhältnisse, und „Freestyle“ ist auch erlaubt, wenn die Jugendlichen das ablichten, was sie selbst für wichtig halten.
Denn das ist den Projektleitern des Stadtarchivs besonders wichtig: „Wir wollen die Projektgruppen nicht allein mit Aufträgen unsererseits einbinden. Die Jugendlichen sollen selbst Kontinuität und Wandel in ihrem Stadtteil erkennen und für einen verantwortlichen Umgang mit diesen Veränderungen sensibilisiert werden, so dass sie selbständig Motive erkennen und festhalten können“, so Dr. Jochen Rath, Leiter des Stadtarchivs.
Neben der reinen Erweiterung der etwa 60.000 Aufnahmen umfassenden Fotosammlung im Stadtarchiv, das auch als außerschulischer Lernort erfahrbar wird, verbindet sich mit dem Projekt eine Reihe weiterer Zielsetzungen: Identitätsbildung der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Schulen selbst mit ihrem jeweiligen Stadtteil, Anhebung der Lernbereitschaft und des Lernniveaus durch selbständige Projektarbeit sowie Steigerung der Medienkompetenz der Jugendlichen. Und ganz nebenbei entsteht eine Wanderausstellung, die unter anderem in den teilnehmenden Schulen gezeigt werden wird.
Mit Erfolg hatte das Stadtarchiv Bielefeld sich mit dieser Projektidee am erstmalig durchgeführten Landeswettbewerb „Archiv und Jugend“ beteiligt und erhält als einer unter den 19 Siegern nunmehr eine finanzielle Förderung durch das Land NRW. Der besondere Reiz des Bielefelder Projekts „Mach Dir ein Bild von Bielefeld“ liege in dem neuen Ansatz, der sich im Übrigen auch auf andere Orte ohne weiteres übertragen lasse, so Dr. Rath: „Bei herkömmlichen Archivprojekten mit Jugendlichen werden diesen meist bereits vorhandene Archivalien zur Interpretation vorgelegt. Unser Konzept dagegen bindet sie bereits in die Bestandsbildung ein, das heißt, die Arbeitsergebnisse der Jugendlichen gehen auf ewig in das Stadtarchiv ein und werden auch in Zukunft zugänglich gemacht werden können. Sie dokumentieren damit das Profil Bielefelds am Beginn des 21. Jahrhunderts.“
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Quelle: Stadt Bielefeld, Pressemitteilung, 5.12.2007