Die Städtischen Museen Zwickau und das Stadtarchiv Zwickau veranstalteten am 28.9.2007 im Zwickauer Stadtgeschichtsmuseum Priesterhäuser ein Kolloquium unter dem Titel „1407. Rat kontra Landesherr“, das den Zwickauer Ereignissen vor 600 Jahren gewidmet war. Der Einladung zum Kolloquium folgten Vertreter aus Museen und Archiven Sachsens und darüber hinaus, sowie namhafte Historiker für sächsische Landes- und Lokalgeschichte.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Konflikt zwischen Stadtregime und Landesherr aus dem Jahr 1407, der in der Hinrichtung von vier Zwickauer Ratsherren und Bürgern kulminierte. Denn am 14. Februar 1407 hatte der Zwickauer Rat den Stadtrichter Franz Steussing wegen seines Handelns wider die städtischen Interessen auf dem Marktplatz hinrichten lassen. Im Komplott mit dem markgräflichen Vogt Conrad Brückner sowie dem Ratsherrn Nikel Hugk hatte Steussing unter Ausnutzung seiner Stellung den Bestrebungen einer forcierten Konsolidierung und Ausweitung landesherrlicher Machtpositionen durch Markgraf Wilhelm I. aktiv Vorschub geleistet. Dies führte zur Rücknahme wichtiger städtischer Privilegien, so u.a. der Gerichte, durch den Landesherrn. Steussing nutzte seine Position als Stadtrichter um sich durch vielfältige, willkürliche Übergriffe mit erheblichem Schaden für die Stadt selbst zu bereichern. Das Machtvakuum nach dem Tod von Markgraf Wilhelm I. Anfang Februar 1407 bis zur Regierungsübernahme durch die neuen Landesherren nutzte der Rat, um Steussing den Prozess zu machen und ihn schließlich hinzurichten. Die neuen Landesherren nahmen diesen Vorfall zum Anlass, ihre aus landesherrlicher Sicht berechtigten Machtansprüche zu untersteichen, indem sie am 10. Juli 1407 vier Zwickauer Ratsmitglieder und Bürger in Meißen unterm Roten Turm hinrichten ließen.
Die Hintergründe und der gesellschaftliche Rahmen für diesen Konflikt zwischen Rat und Landesherren wurden auf dem Kolloquium näher untersucht. Die Beiträge befassten sich mit den politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen im wettinischen Herrschaftsgebiet am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts, sowie am Beispiel Zwickaus mit der Rolle der Städte im Territorialstaat.
So stellte Dr. Michael Löffler, Museum Priesterhäuser, in seinem Beitrag zu den wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Stadt Zwickau im späten Mittelalter eindrucksvolle Fakten und Zusammenhänge dazu vor. Zwickau war von einer vielfältigen Handwerksstruktur geprägt. 64 Berufsgruppen waren hier ansässig. Wer sich als Meister niederlassen wollte, musste das Bürgerrecht erwerben, wofür ein Schock Groschen zu entrichten war. Der Rat wachte mit konkreten Vorschriften, niedergelegt im Stadtrechtsbuch, über die Einhaltung von Recht und Ordnung.
Dr. André Thieme vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden charakterisierte den Weg der Wettiner zur Hegemonie in Mitteldeutschland und untersuchte in diesem Zusammenhang ihre Methoden der Herrschaftsdurchsetzung und Territorialpolitik. Dabei arbeitete er vier Schwerpunkte heraus. Erstens spielte zur Herrschaftsdurchsetzung die Dynastie und die Familie eine entscheidende Rolle. Durch mehrere Teilungen erweiterten die Wettiner ihren Einflussbereich. Zweitens übten sie die Lehenshoheit aus. Drittens vollzog sich in jener Zeit eine Institutionalisierung der Macht, die ihren offensichtlichsten Ausdruck in der Rolle der Kanzleien im 14. Jahrhundert fand. Die Schriftlichkeit bekam eine immer größere Bedeutung. Eine beginnende Verrechtlichung zeichnete sich ab. Viertens gehörte zur Machtausübung die Repräsentation. In der Architektur verwirklichte sie sich über repräsentative Burgbauten. Im Sinne der Herrschaftsfestigung geschah das über die Ehre, die so genannte repräsentative Ehre des Landesherrn. Mit der Hinrichtung Steussings hatten die Zwickauer diese verletzt.
Dr. Henning Steinführer vom Stadtarchiv Braunschweig untersuchte in seinem Beitrag die Stellung der sächsischen Städte im Gefüge des Territorialstaates unter besonderer Berücksichtigung der Gerichtsbarkeit. Ausgangspunkt seiner Ausführungen war die volle Ausprägung der städtischen bürgerlichen Verhältnisse im 14. Jahrhundert. Die Ratsverfassung hatte sich entwickelt. Die Städte hatten ein großes Interesse an Unabhängigkeit gegenüber den Stadtherren, was sich in der Erreichung von Privilegien wie der Ausübung der Gerichtsbarkeit äußerte. Die Interessen des Landesherrn gegenüber den Städten waren vor allem wirtschaftlicher Natur. Prosperierender Handel und wirtschaftlicher Aufschwung der Städte brachten ihm Steuern und Abgaben.
Der vierte Beitrag, gehalten von Dr. Jens Kunze von der Universität Leipzig, befasste sich am Beispiel Zwickaus mit dem Verhältnis von landesherrlichem Amt und Stadt im 14./15. Jahrhundert. Dieses Verhältnis war sowohl von Konflikten als auch vom Zusammenwirken gekennzeichnet. Konfliktfelder waren die Durchsetzung städtischer Rechte im Umland, der Besitz und die Zuständigkeit in der Gerichtsbarkeit, die Stellung des Burglehens auf städtischem Territorium außerhalb des städtischen Rechts. In diesen Kontext sind die Ereignisse von 1407 einzuordnen. Allerdings zeichnete sich für das weitere 15. Jahrhundert ein vorwiegend konfliktarmes Zusammenleben von Stadt und Umland ab.
Im fünften Beitrag wandten sich Wilfried Stoye, Städtische Museen Zwickau, und Norbert Oelsner, Sächsisches Landesamt für Denkmalpflege, den Ereignissen von 1407 selbst zu, indem sie konkret auf die Rechtfertigungsschrift des Zwickauer Rates, die im Stadtarchiv Zwickau erhalten ist, eingingen. In 19 Artikeln legte der Rat die Vergehen des Amtmanns Konrad Brückner dar und in 14 Artikeln die des Stadtvogtes Franz Steussing, um das harte Vorgehen seinerseits zu rechtfertigen.
Der Dresdner Archäologe Reinhard Spehr, der 1983 die Ausgrabungen in der Meißner St. Afra-Kapelle nach dem Fund der Grabplatte und der Skelette der vier am 10. Juli 1407 unterm Roten Turm in Meißen enthaupteten Zwickauer Ratsherren durchführte, zeigte interessante Ergebnisse der archäologischen und anthropologischen Untersuchungen auf.
Silva Teichert vom Stadtarchiv Zwickau widmete sich im abschließenden Beitrag der Quellenlage und dem Niederschlag der Ereignisse von 1407 in der Stadtchronistik. Die wichtigste Quelle ist nach wie vor die bereits erwähnte Rechtfertigungsschrift. Darstellungen von Seiten der Landesherren sind nicht überliefert. Die Zwickauer Chronisten von Peter Schumann bis Tobias Schmidt stellten die Ereignisse verklärt dar. Erst Emil Herzog stellte Mitte des 19. Jahrhunderts die Darstellung auf die Basis einer soliden Quellenauswertung.
Das Kolloquium machte mit dem Forschungsstand der sächsischen Landesgeschichte zum Verhältnis von Stadt und Territorialmacht Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts bekannt. Es zeigte auf, zu welchen Fragen noch weiterer Forschungsbedarf besteht und stellte die Zwickauer Ereignisse in den Kontext der Beziehungen zwischen städtischem Bürgertum und feudalen Landesherr. Es veranschaulichte das darin enthaltene Konfliktpotential, aber auch den Entwicklungsstand der politischen und wirtschaftlichen Strukturen in den Städten und dem Territorialstaat an der Schwelle vom 14. zum 15. Jahrhundert.
Dr. Angelika Winter (Stadtarchiv Zwickau)