Die Stadt Witten, das Kulturforum, die Deutsch-Israelische Gesellschaft Witten und der Freundeskreis der Israelfahrer e. V. rufen die Wittenerinnen und Wittener auf, am Freitagabend (9.11.) um 18 Uhr am Ort der ehemaligen Synagoge (Breite-/Ecke Synagogenstraße) an der Mahnwache zur Erinnerung an die so genannte ‚Reichskristallnacht’ teilzunehmen.
Anlass sind die Geschehnisse im Jahr 1938, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November Anhänger des nationalsozialistischen Unrechtsregimes überall in Deutschland Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte demoliert und geplündert und Menschen mosaischen Glaubens oder jüdischer Herkunft misshandelt und sogar getötet haben. Etwa 30.000 Juden wurden in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt, darunter auch Wittener Bürger. Diese Nacht, die auch unter der verharmlosenden Bezeichnung „Reichskristallnacht“ in die Geschichte einging, war der Auftakt zur so genannten Endlösung.
In Witten haben Nationalsozialisten die 1885 erbaute Synagoge angezündet, jüdisches Eigentum zerstört, jüdische Männer verhaftet und verschleppt. Die Mehrheit der Bevölkerung sah dem Geschehen stillschweigend zu. Dieser Pogrom bedeutete für die Synagogengemeinde Witten das Ende, denn ihre Mitglieder wurden aus ihrer Heimatstadt vertrieben oder in Vernichtungslager „im Osten“ deportiert und ermordet. Hunderte jüdischer Kinder, Frauen, und Männer aus Witten wurden somit Opfer des millionenfachen nationalsozialistischen Völkermords.
„Bei der Mahnwache wird es in diesem Jahr keine Reden geben, ‚stilles Gedenken’ ist angesagt, Kränze können selbstverständlich niedergelegt werden“, so die Leiterin des Wittener Stadtarchivs Dr. Martina Kliner-Fruck. „Wir bitten um Verständnis, dass die Synagogenstraße wegen der Veranstaltung am Freitag zwischen 18 und 18.30 Uhr für die Fahrzeugverkehr gesperrt wird.“
Im Anschluss daran werden um 19 Uhr im Märkischen Museum die Ausstellungen „Jüdische Häftlinge im KZ Sachsenhausen 1936 bis 1945“ eröffnet. Dort werden Bürgermeisterin Sonja Leidemann und der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Witten, Klaus Lohmann, Grußworte sprechen. Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, führt im Anschluss in die Ausstellung ein.
Veranstalter der Ausstellung ist das Stadtarchiv Witten in Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Vhs, der Stadtkirchenarbeit der Johannis-Gemeinde sowie dem Freundeskreis Israelfahrer e.V.. Die Ausstellung ist bis zum 9. Dezember dienstags bis sonntags von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Schulklassen können sich unter der Rufnummer (02302) 581 2550 anmelden.
Erklärung des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Dr. h.c. Johannes Gerster zum 9. November:
GEGEN GESCHICHTSVERGESSENHEIT
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 organisierten die Nationalsozialisten das Pogrom gegen die jüdischen Bürger in Deutschland. Fast alle Synagogen und mehr als 7.000 Geschäfte, darunter 29 Warenhäuser, wurden zerstört. Über 30.000 Juden wurden verhaftet, fast 100 Personen wurden ermordet. Damit erreichte der Antisemitismus des nationalsozialistischen Staates eine neue Dimension und war zugleich Vorbote der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Der Naziterror kostete 6 Millionen Juden in Europa das Leben. Die Erinnerung an den 9. November 1938 ist heute dringlicher denn je.
Der Antisemitismus wurde nicht von den Nazis erfunden, aber er wurde von ihnen mörderisch perfektioniert. Seine Wurzeln liegen weit davor im bürgerlichen, auch christlichen Antisemitismus.
Heute erleben wir eine erschreckende Erstarkung rechtsradikaler, rassistischer und antisemitischer Tendenzen. Die Zunahme gewalttätiger Ausschreitungen in allen – nicht nur östlichen – Teilen unseres Landes ist auch die Folge einer Belebung alter Vorurteile gegenüber Juden. Dazu werden abenteuerliche Verschwörungstheorien, z. B. über das Weltjudentum, erneut aufgetischt.
Die widerlegbaren, oft gehässigen, einseitigen Schuldzuweisungen gegenüber Israel nehmen zu. Aus Opfern werden Täter gemacht. Fehler der israelischen Politik werden monokausal instrumentalisiert; die Bedrohung der einzigen Demokratie im Nahen Osten durch den Iran, die Hisbollah, die Hamas werden geflissentlich übersehen.
Wir zahlen den Tribut für eine zunehmende Geschichtslosigkeit in unserer Gesellschaft. Wen interessiert schon, was vor 69 Jahren geschehen ist? Wer zieht Schlussfolgerungen aus dem Damals für heute und morgen?
In den Schulen wird \“Insel-Wissen\“ vermittelt. So werden einzelne Ereignisse losgelöst von der Geschichte behandelt, oft ohne Erklärung der Ursachen und Zusammenhänge. Es wird unzureichend vermittelt, wie ein längst verwurzelter Antisemitismus zur Verrohung des Denkens und Handelns führte. Dass sich die Nationalsozialisten den bereits vorhandenen Antisemitismus zunutze machten, ist leider zu Wenigen bewusst.
Heute sind wir damit konfrontiert, dass antiisraelische Haltungen neue und alte antisemitische Stimmungen verstärken. Es wird allzu oft übersehen, dass damit Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen, Rassisten und Antisemiten geleitet wird.
Wir müssen von pflichtgemäßen und meist folgenlosen Betroffenheitsritualen nach rechtsradikalen Ausschreitungen wegkommen, wir müssen tiefer pflügen. Fangen wir in der Geschichtsvermittlung, in Bildung und Erziehung an. Dazu gehört auch eine wahrheitsgetreue Berichterstattung über die Ursachen des Nahostkonfliktes und eine faire Berichterstattung über die aktuellen Bedrohungen Israels, dem wir uns aus historischen, politischen und moralischen Gründen verbunden und verpflichtet fühlen.
Der 9. November ist ein guter und notwendiger Anlass – im Interesse unseres Landes – energisch gegen einen verbreiteten antiisraelischen Zeitgeist anzugehen.
Quelle: Stadt Witten/Presse-Service.de, 7.11.2007