Der deutschen Archivarszunft steht ein höchst seltenes Ereignis bevor: Archivdirektor i. R. Dr. Richard Moderhack (Braunschweig) feiert am 14. Oktober 2007 seinen 100. Geburtstag. Er dürfte im weitgespannten deutschsprachigen Raum der einzige Archivar sein, der in diesem hohen Alter noch wissenschaftlich publiziert. Der Jubilar hat sich als Gründungsmitglied des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) große Verdienste erworben. Von 1946 bis 1948 gehörte er dem Gründungsvorstand des VdA als Schriftführer an und unterhielt in Braunschweig eine Auskunfts- und Vermittlungsstelle für die aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrenden Archivare.
Richard Moderhack entstammt brandenburgischen Handwerkerfamilien und wurde am 14. Oktober 1907 in Berlin geboren. Nach dem Abitur (1927) studierte er an der 1810 durch Wilhelm von Humboldt gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität seiner Heimatstadt (der heutigen Humboldt-Universität) Geschichte, Germanistik, Anglistik und Philosophie. Der knapp Fünfundzwanzigjährige wurde im Sommersemester 1932 mit einer von Willy Hoppe und Robert Holtzmann betreuten stadthistorischen Untersuchung „Die ältere Geschichte der Stadt Calau in der Niederlausitz“ zum Dr. phil. promoviert. Seine mit großer Akribie verfasste, materialiengesättigte Dissertation ist für die heutige Stadtgeschichtsforschung auch deshalb von unschätzbarem Wert, weil sämtliche darin ausgewerteten Archivalien durch den Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden.
Der Promotion schlossen sich von 1932 bis 1935 Tätigkeiten an, die seinen zukünftigen Berufsweg aufs Nachhaltigste beeinflusst haben: Lexikonredakteur für Geschichte beim Propyläen-Verlag Berlin und das 1. Staatsexamen für das höhere Lehramt. Seine archivarische Ausbildung erfolgte von 1936 bis 1937 als ordentliches Mitglied des von Albert Brackmann konzipierten und 1930 eröffneten Institutes für Archivwissenschaft (IfA) beim Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem. Anschließend (1938) trat er in den preußischen Archivdienst ein, wurde 1941 zum Staatsarchivrat ernannt und blieb zugleich als Mitarbeiter des Brandenburgischen Provinzialverbandes mit der Inventarisierung der Bau- und Kunstdenkmäler in den Kreisen Templin, Niederbarnim und Sorau sowie in der Stadt Forst beauftragt. Von 1940 bis 1945 war er zur Wehrmacht mit verschiedenen Verwendungen an der West- und Ostfront eingezogen und blieb nach kurzer britischer Kriegsgefangenschaft vorerst in Schleswig-Holstein, da sich die beabsichtigte Rückkehr in seine schwer zerstörte Heimatstadt Berlin nicht verwirklichen ließ.
Eine neue, äußerst bedeutungsvolle Schaffensperiode begann für den Jubilar am 1. November 1945 mit seiner im Nachhinein als sehr glücklich bewerteten Berufung an das Stadtarchiv Braunschweig, das zu den beständereichsten deutschen Kommunalarchiven zählt. Mit bemerkenswertem Elan hat er sich für einen beschleunigten und organisatorisch durchdachten Wiederaufbau des Stadtarchivs und der ihm angeschlossenen wissenschaftlichen Stadtbibliothek eingesetzt: für die baldige Rückführung der wertvollen Archivalien aus den kriegsbedingten Auslagerungsstätten und für die notwendige Neuordnung der umfangreichen Bestände sowie deren leichteren Zugang für Benutzerinnen und Benutzer. Die initiativreichen und verantwortungsvollen Tätigkeiten (seit 1956 als Nachfolger von Professor Dr. Dr. Werner Spieß im Amte des Direktors) prägten fast ein volles Vierteljahrhundert die gesamte Dienstzeit des Jubilars: Er veröffentlichte eine beneidenswert lange Reihe wissenschaftlich fundierter Beiträge (sein Schriftenverzeichnis umfasst derzeit weit über 200 Einzeltitel), von denen hier lediglich die facettenreiche Publikation „Hundert Jahre Stadtarchiv und Stadtbibliothek Braunschweig 1861-1961“ (1961) sowie die für viele andere deutsche Städte vorbildlich gewordene Redaktion der „Brunsvicensia Judaica. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Braunschweig 1933-1945“ (1966) erwähnt werden. Wahrend seines Direktorates hat der Jubilar die imponierende Zahl von 24 Bänden der renommierten Serie „Braunschweiger Werkstücke“ herausgegeben. Im Jahre 1963 gründete er die Arbeitsgemeinschaft niedersächsischer Kommunalarchivare (ANKA), die bisher mehr als 40 Tagungen mit aktuellen Themen zur archivarischen Fortbildung im gesamten Bundesland Niedersachsen durchgeführt hat.
Nach seiner 1970 erfolgten Ruhestandsversetzung hat sich Richard Moderhack an einer intensiven Erforschung der komplexen Stadtgeschichte Braunschweigs maßgeblich beteiligt: So schrieb er einen Abriss der älteren Stadtgeschichte für den großen Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“ (1981), fungierte als Herausgeber des stattlichen Sammelbandes „Braunschweigische Landesgesichte im Überblick“ (3 Auflagen 1976, 1977 und 1979) und verfasste informative Beiträge für die Festschrift zur Ausstellung „Brunswiek 1031 – Braunschweig 1981“ (1981).
Bedeutsame Ehrungen sind dem Jubilar zuteil geworden. Bereits 1947 ernannte ihn die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen zu ihrem Mitglied wie ebenfalls die Familienkundliche Kommission für Niedersachsen und Bremen sowie angrenzende ostfälische Gebiete im Jahre 1964. Der Braunschweigische Geschichtsverein berief ihn 1973 zu seinem Ehrenmitglied. Schon 1970 verlieh ihm der Niedersächsische Ministerpräsident das Verdienstkreuz erster Klasse des Niedersächsischen Verdienstordens und die Stadt Braunschweig 1988 die Bürgermedaille für besondere kulturelle Verdienste.
Dr. Richard Moderhack hat ein wichtiges Kapitel Braunschweiger Stadtgeschichte, braunschweigischer Landesgeschichte und deutscher Archivgeschichte geschrieben, und zwar als stets aufmerksamer und konstruktiv-kritischer Zeitzeuge. Dem Jubilar gilt unsere herzliche Gratulation zu seinem 100. Geburtstag, verbunden mit den besten Wünschen für gute Gesundheit und weitere wissenschaftliche Forschungstätigkeit.
Dr. Manfred R. W. Garzmann (Braunschweig)