Das Kreisarchiv Stormarn stellte zusammen mit Landrat Klaus Plöger am 30. August 2007 das Findbuch zum Bestand „B2 – Opfer des Nationalsozialismus“ vor. Es beinhaltet die Entschädigungsakten, die in der Kreisverwaltung zwischen 1945 und 1970 entstanden sind. Das Findbuch wurde gemeinsam von Stefan Watzlawzik, Mitarbeiter des Kreisarchivs Stormarn und dem aus Bad Oldesloe stammenden Florian Bayer zusammengestellt, der an der Universität Hamburg Geschichte studiert und ein zehnwöchiges Praktikum im Kreisarchiv absolviert hat. In dem Findbuch findet man Angaben zu fast 1.100 Einzelschicksalen aus Stormarn. Rund fünf Regalmeter mit über 1.000 Einzelakten, die ein spannendes und schwieriges Stück der Kreisgeschichte behandeln und lange Zeit unbearbeitet waren, wurden aufgearbeitet. Dieser Bestand ist auch deshalb so wichtig, da es, wie Dr. Johannes Spallek, Leiter des Kreisarchivs Stormarn, erklärt, kaum Unterlagen und Akten über die Zeit des Nationalsozialismus in Stormarn gibt.
Nach dem Sieg der Alliierten über das Dritte Reich und der Besetzung Schleswig-Holsteins durch die Briten stellten die durch die Nationalsozialisten verfolgten Opfer, die überlebt hatten, Anträge auf eine Entschädigung. In den ersten Jahren ging es dabei um konkrete Hilfe zum Leben, wie bevorrechtige Wohnungszuweisung, zusätzliche Lebensmittelrationen oder Zuteilung von Brennholz. Erst mit dem Haftentschädigungsgesetz von 1949 und dem Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung nationalsozialistischer Opfer von 1953 wurde auf finanzielle Entschädigungen übergegangen. Allerdings war eine Wiedergutmachung nur einem Teil der Opfer vorbehalten. Entschädigungsberechtigt war, wer aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurde und Schäden an Leben, Körper, Freiheit, Eigentum erlitten hatte oder beruflich geschädigt wurde. Opfer, die von dieser Entschädigung ganz oder z.T. ausgeschlossen wurden, waren z.B. ausländische Juden, Homosexuelle, Zwangsterilisierte, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Sinti und Roma, Angehörige nationaler Widerstandsgruppen, polnische und sowjetische Kriegsgefangene sowie Ärzte, die nach §218 StGB vorbestraft waren.
Die Akten ermöglichen einen Einblick v.a. auf zwei Hauptaspekte – zum einen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945, denn diese musste möglichst anhand von authentischen Quellen, wie Gerichtsurteilen, Unterlagen zur Haft in Konzentrationslagern o.ä. nachgewiesen werden. Zum anderen wird der Umgang der Behörden der jungen Bundesrepublik mit der unmittelbaren, eigenen Geschichte sowie mit den Geschädigten deutlich. Auch in den Unterlagen der Kreisverwaltung Stormarn ist deutlich festzustellen, dass für die Opfer der Weg zur Entschädigung nicht immer einfach und unbürokratisch war. Unter heutzutage willkürlich und abenteuerlich erscheinenden Begründungen wurden z.T. Entschädigungsanträge auch abgelehnt. So z.B. im Fall von Max Peine, der als Jude von 1943 bis 1945 in Bad Oldesloe illegal untergetaucht war. Sein Entschädigungsantrag wurde vom Land Schleswig-Holstein 1953 mit der Begründung abgelehnt, dass er sich nach Aussage von Zeugen frei in Bad Oldesloe bewegen konnte und die Staatspolizei nicht nach ihm gefahndet hätte. Dabei spiele es keine Rolle, dass er sich dort aufgehalten habe, ohne polizeilich gemeldet zu sein. Aus diesem Grunde träfe auf ihn das Gesetz zur Gewährung einer Haftentschädigung nicht zu, das sich nur auf Personen bezieht, die wirklich ihrer Freiheit beraubt waren oder sich in einem Zwangsarbeitslager befanden. Die Akte der Familie Preuß hingegen dokumentiert ganz unmittelbar die Lebensverhältnisse und die Unterstützung, die einer jüdischen Familie gewährt wurde, die nach der Verfolgung und Unterdrückung bis 1945 aus Danzig vor der Roten Armee floh und sich in Ahrensburg in einfachsten Verhältnissen und mit großer Not eine neue Existenz aufbaute. Die Familie erhielt als unmittelbare Unterstützung zunächst Bezugsscheine für Holz, zusätzliche Essenszuteilungen und Winterkleidung. Eine finanzielle Entschädigung erfolgte erst später.
Nachdem der Bestand jetzt erschlossen ist und im Online-Findbuch recherchiert werden kann, ist ein wichtiges Stück der Nachkriegsgeschichte Stormarns zugänglich gemacht worden. Dipl. Archivar Stefan Watzlawzik plant noch einen weiteren Schritt: „Der konservatorische Zustand ist bedenklich, d.h. das Papier bröckelt bereits an vielen Stellen und es muss etwas getan werden. Die einfachste und kostengünstigste Lösung ist in diesem Fall die Verfilmung bzw. Digitalisierung. Das wird leider nicht jetzt gleich passieren können, aber wir arbeiten daran.“ So soll in Zukunft v.a. Schulen der Zugriff zu authentischen Quellen erleichtert werden. Kreisarchivleiter Dr. Johannes Spallek meinte abschließend: „Es existierten nur wenig Quellen zu Stormarns Zeit im Nationalsozialismus. Deshalb ist es für uns enorm wichtig, dass dieser Bestand als eine Art ‚Ersatzüberlieferung‘ jetzt erschlossen und für die Forschung zugänglich gemacht worden ist. Sicherlich werden einige interessante Forschungsarbeiten daraus entstehen.“
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Quelle: Pressemeldung Kreis Stormarn, 31.8.2007; Markus Carstens, Lübecker Nachrichten, 13.9.2007