Ausstellung: Westfalczycy – Ruhrpolen. Zuwanderer aus Polen im Ruhrgebiet 1871 bis heute

Vor 100 Jahren kam die ersten Polen ins Revier, um hier die Kohle aus dem Berg zu holen, heute pflegen \“Pendelmigrantinnen\“ aus dem Nachbarland unsere alten Menschen. Einen Bogen von den Anfängen der polnischen Migration bis zur gegenwärtigen polnischen Kultur an der Ruhr gibt eine Ausstellung, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vom 18. August bis 28. Oktober 2007 in seinem Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum zeigt. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – von den Zwangsarbeitern und Displaced Persons über die Solidarność-Flüchtlinge und Spätaussiedler der 1980er Jahre bis zur Nachfolgegeneration, die heute ihre Zukunft im zusammenwachsenden Europa sucht.

Mehr als 120 Objekte haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen, Erinnerungen von Zeitzeugen aufgenommen und Interviews mit deutschen und polnischen Jugendlichen geführt. Hör- und Videostationen dokumentieren die Ergebnisse der Gespräche.

Arbeiten und Beten
Zwischen der Gründung des Deutschen Reichs und dem Ersten Weltkrieg kam mehr als eine halbe Million Menschen aus Posen, Schlesien und Masuren in das rheinisch-westfälische Industriegebiet, um hier in kurzer Zeit Geld für ein besseres Leben in der Heimat zu verdienen. Sie arbeiteten vor allem im Bergbau. In den sogenannten \“Polenzechen\“ im Raum Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen, Essen und Wattenscheid stellten sie mehr als die Hälfte der Belegschaft.
Der katholische Glaube spielte im Alltag der Polen eine zentrale Rolle. Fahnen von polnischen Gebetsbruderschaften und religiösen Vereinen geben in der Ausstellung einen Eindruck davon. Im Umfeld der in Bochum ansässigen polnischen Seelsorger entstanden um die Jahrhundertwende die bedeutendsten polnischen Organisationen. Bochum entwickelte sich zum organisatorischen und kulturellen Zentrum der Polen im Revier.
In der Zeit des Nationalsozialismus gerieten die Polen immer mehr unter Druck, bis mit dem deutschen Überfall auf Polen selbst polnische Funktionäre im Ruhrgebiet verhaftet und in Konzentrationslager gebracht wurden. Dokumente und Briefe des Bergmanns Walenty Lukowiak aus dem KZ Sachsenhausen zeichnen den Weg vom Funktionär zum Verfolgten nach.

Zwangsarbeiter und \“DP\’s\“
Während des Zweiten Weltkriegs wurden 1,7 Millionen Polen als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene nach Deutschland gebracht. Rund 40.000 von ihnen mussten in den Bergwerken des Reviers arbeiten. Nach Kriegsende konnten die meisten Polen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Sie wurden als Displaced Persons (DPs) in Lagern untergebracht. Die Ausstellung berichtet eindringlich mit Zeitzeugenberichten und Erinnerungsstücken über die Zeit des DP-Lagers in Halten 1945 -1947 sowie die 1951 errichtete DP-Siedlung in Dortmund-Eving, in der bis heute eine aktive polnische Gemeinschaft lebt.

Solidarnosc-Flüchtlinge und Spätaussiedler 
Das harte Vorgehen der polnischen Regierung gegen Kritiker und Oppositionelle im Umkreis der Solidarnosc-Bewegung brachte Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre rund 250.000 Polen als Flüchtlinge nach Deutschland. Viele von ihnen ließen sich im Ruhrgebiet nieder. Die Fluchtausrüstung des studentischen Oppositionellen Marek Wolski-Poliwski und Erinnerungsstücke des Solidarnosc-Funktionärs Josef Matuszyk aus dem Internierungslager Zabrze sowie lebensgeschichtliche Erinnerungen zeichnen davon in der Ausstellung ein beeindruckendes Bild.
Mit der Ausreisewelle der späten 1980er Jahren kam gut eine Million polnischer Zuwanderer nach Deutschland, rund 200.000 von ihnen zogen ins Ruhrgebiet. Mit acht Lebensgeschichten zeichnet die Ausstellung den Weg in den Westen nach und zeigt das Spektrum der Lebensentwürfe vom Arzt über einen Spediteur, Koch, Künstler, Lehrer bis hin zum Betreiber eines Internet-Radios.

Polen im Ruhrgebiet heute
Den Abschluss der Ausstellung bildet ein Blick in die Gegenwart und Zukunft der Polen im Ruhrgebiet. Vier Videostationen eines Jugendprojekts des LWL-Industriemuseums mit dem Jugendförderkreis Dortmund und dem Städtischen Jugend- und Medienhaus Bochum-Langendreer geben einen Einblick in den deutsch-polnischen Alltag der Nachfolgegeneration der Spätaussiedler. Hier zeigen die Jugendlichen ihr Selbstverständnis, berichten von Vorurteilen und äußern ihre Wünsche für die Zukunft im zusammenwachsenden Europa.

Zur Ausstellung ist ein wissenschaftlicher Begleitband mit Katalogteil erschienen: Dagmar Kift, Dietmar Osses (Hg.): Polen – Ruhr. Zuwanderungen zwischen 1871 und heute (= LWL-Industriemuseum Quellen und Studien Band 14), 164 S., zahlreiche, meist farbige Abbildungen. Klartext Verlag Essen, ISBN 3-89861-851-X. Das Buch kostet 14,90 EUR und ist in den Museumsshops des LWL-Industriemuseums sowie über den Buchhandel erhältlich.

Zur Ausstellung erwartet die Besucher ein umfangreiches Begleitprogramm:
Fr, 17.8., 19 – 21Uhr
Eröffnung der Ausstellung \“Westfalczycy – Ruhrpolen. Zur Einwanderung aus Polen ins Ruhrgebiet 1870 bis heute\“

Do, 23.8., 19:30 – 21 Uhr
\“Kathedralen und Karikaturen\“. Polnisch-deutsche Geschichte im Spiegel von Baudenkmalen und Bildquellen. Lichtbildvortrag von Thomas Parent, Dortmund

Do, 30.8., 19:30 – 21 Uhr
\“Polnisch bleiben\“. Die polnische Minderheit im Ruhrgebiet zwischen 1918 und 1945. Vortrag von Valentina Stefanski, Bochum

Do, 6.9., 19:30 – 21 Uhr
\“Der blinde Fleck\“. Über das Fehlen der Polen in der lokalen Geschichtsschreibung im Ruhrgebiet. Vortrag von Wulf Schade, Bochum

Do, 20.8., 19:30 – 21 Uhr
\“Neue Heimat im Revier?\“ \“Displaced Persons\“ und \“heimatlose Ausländer\“ aus Polen in Haltern und Dortmund. Vortrag von Dietmar Osses, Bochum

Do, 4.10., 19:30 – 21 Uhr
\“Polski Rewir\“. Ein polnischer Abend im LWL-Industriemuseum mit dem Chor \“Polonia\“ aus Dortmund und Spezialitäten aus dem polnischen Restaurant \“Gdanska\“ in Oberhausen

Do., 11.10., 19:30 – 21 Uhr
\“Verräter oder Helden?\“ Zeitzeugenbericht des ausgewanderten Solidarnosc-Aktivisten Josef Matuszczyk

Do, 18.10., 19:30 – 21 Uhr
\“Polnisch oder deutsch?\“ Spätaussiedler aus Polen im Ruhrgebiet seit den 1980er Jahren. Vortrag von Veronika Grabe, Essen

Do, 25.10., 19:30 – 21 Uhr
\“Wie polnisch ist das Ruhrgebiet?\“ Impressionen deutsch-polnischer Jugendlicher im Ruhrgebiet heute.

So, 28.10., 11-15 Uhr
Finissage der Ausstellung

Veranstaltungsort:
LWL-Industriemuseum Zeche Hannover
Günnigfelder Straße 251, 44793 Bochum-Hordel
Öffnungszeiten: Do 14 – 20 Uhr, Fr und Sa 14-18 Uhr, So 11-18 Uhr

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