16. Tagung der süddeutschen Kirchenarchivare und -archivarinnen in Speyer am 7./8. Mai 2007

Am 7. und 8. Mai 2007 trafen sich Angehörige süddeutscher evangelischer Kirchenarchive zur 16. \“Südschienentagung\“ im Gebäude des Landeskirchenrates in Speyer. Die hohe Zahl von ca. 50 Teilnehmenden bestätigte, dass mit den gewählten Tagungsthemen \“Digitalisierung von Kirchenbüchern\“ sowie \“Archivpflege in Pfarrarchiven\“ ein Nerv getroffen worden war. 

In seiner Begrüßung der Teilnehmenden erläuterte der stellvertretende Kirchenpräsident der evangelischen Kirche der Pfalz, Christian Schad, die Konsensunion, in der sich Pfälzer Lutheraner und reformierte Christen 1818 zur protestantischen Kirche der Pfalz zusammenschlossen. Er erklärte die Unterschiede zwischen lutherischem und reformiertem Kirchenbau, der sich in den Speyerer Kirchen ausdrücke, schilderte die Entstehung der Gedächtniskirche der Protestation 1904 und verwies auch auf die guten ökumenischen Beziehungen zum Bistum Speyer.

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Der Rest des Nachmittags stand im Zeichen der Digitalisierung von Archivgut. Die Moderation der Referate und Diskussionen übernahm am ersten Tag Dr. Gabriele Stüber, die Leiterin des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche der Pfalz, die die Tagung geplant und mit ihren Mitarbeiterinnen perfekt organisiert hatte. 
Im ersten Fachbeitrag stellte Dr. Andreas Metzing, der Leiter der Evangelischen Archivstelle Boppard des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, das Bopparder Projekt der Kirchenbuchdigitalisierung vor. Ausgehend von der örtlich aufgesplitterten Überlieferung der Kirchenbuch-Originale wie auch der Microfiches bzw. -filme, vom Personalaufwand bei der Benutzerbetreuung sowie dem wachsenden Problem der Beschaffung von Ersatzteilen für konventionelle Readerprinter-Lesegeräte und dem Wunsch von Benutzern, hat man in Boppard ein duales Konzept beschlossen: Als Speichermedium der Kirchenbuchdaten sollen nach wie vor Mikrofiches dienen, als Nutzungsmedium aber Digitalisate der Unterlagen. Diese müssen so aufbereitet werden, dass die Nutzung im Lesesaal an PC-Arbeitsplätzen ohne allzu hohen Einweisungsaufwand durch das Archivpersonal erfolgen kann. Die Lesesaal- und die Personalrechner werden vernetzt, an einen Server werden externe Festplatten zur Datenablage angeschlossen. Ob die Benutzer in die gesamten Unterlagen Einsicht nehmen dürfen oder nur eingeschränkten Zugriff erhalten sollen, ist noch zu klären. Die Benutzer drucken sich die von ihnen gewünschten Daten selbst aus.

Die geplante Kirchenbuchdigitalisierung dient lediglich der effizienteren Gestaltung von Arbeitsabläufen bei der Archivbenutzung. An einen \“virtuellen Lesesaal\“ ist derzeit nicht gedacht. 2005/2006 wurde in einem Pilotprojekt gemeinsam mit der Firma Patrimonium Transcriptum eine Auswahl noch nicht verfilmter Kirchenbücher in drei Stufen bearbeitet: 1. Die Bücher wurden auf einem A-2-Buchscanner (Bookeye) im JPEG-Format gescannt. 2. Die Nachbearbeitung erfolgte mit der Software BCS-2; die Bilddaten wurden nach Signaturen geordnet aufbereitet und auf CD bzw. DVD gesichert sowie in PDF-Dateien konvertiert. 3. Die Fiches wurden auf der Basis der Digitalisate erstellt. Nach dem Vortrag wurden u.a. Erfahrungen und Meinungen zum Komplex \“Digitalisierung von Fiches oder Verfilmung von Digitalisaten\“ ausgetauscht: Die Verfilmung von Digitalisaten ist preiswerter als das umgekehrte Verfahren. Der Markt im Bereich Verfilmung/Digitalisierung ist derzeit umkämpft. 

Anschließend berichtete Werner Jürgensen M. iur. utr., der stellvertretende Leiter des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB), über das bereits seit ca. 2000 laufende Projekt \“Virtueller Lesesaal\“ im Kirchenkreis Bayreuth. Nach der Einrichtung der Regensburger Außenstelle des LAELKB 1984 gaben über 400 Kirchengemeinden ihre Kirchenbücher dorthin ab. Nach der Verfilmung der Kirchenbücher erwarben zahlreiche Gemeinden einen Satz Duplikatfiches. Auch etliche Gemeinden, die ihre Kirchenbücher behielten, ließen diese fichieren. Im Dekanat Bayreuth wurden 1999 Kirchenbuch-Fiches verschiedener Gemeinden (des Kirchenkreises Bayreuth) gesammelt und eine \“wilde\“ Forschungsstelle eingerichtet. Daneben schlug eine Gruppe von Familienforschern und Computerbegeisterten die Digitalisierung der Originalkirchenbücher der Gegend um Bayreuth vor. Ohne Rücksprache mit dem zuständigen Landeskirchlichen Archiv wurden Pfarrer angesprochen, die die Kirchenbücher in der Regel ohne weiteres für eine Digitalisierung zur Verfügung stellten. Da die Kirchenbücher ohne Vertrag übergeben wurden, ist die Frage des Eigentums an den Scans ungeklärt.

In den letzten Jahren wurde von Seiten des LAELKB und der Bayreuther Gruppe, die sich derzeit als Verein \“Kirchenbuch – virtuell\“ konstituiert, sowohl eine vertragliche Regelung der Kirchenbuchausleihe zum Zweck des Scannens entwickelt (mit den drei Vertragspartnern Kirchengemeinde, Verein und LAELKB), die rückwirkend angewendet werden soll, als auch ein Vertrag zwischen Verein und LAELKB zur Betreibung eines virtuellen Lesesaals. In diesen Verträgen sind die rechtlichen Fragen nach dem Eigentum an den Digitalisaten, der Nutzung, der Erstellung von Kopien, der Haftung für Schäden, der Weitergabe von digitalen Unterlagen sowie dem Ende des Vertrags über den virtuellen Lesesaal angesprochen. Noch nicht geklärt sind bei dem Projekt die konservatorischen Bedenken angesichts der Digitalisierung durch Laien, die Fragen der Langzeitarchivierung, eine Qualitätssicherung im Bereich der Präsentation des virtuellen Lesesaals sowie die Frage der Trägerschaft (personelle und finanzielle Ressourcen). Ein Antragsformular für Benutzer des virtuellen Lesesaals wurde erarbeitet, die Anmeldung sowie die Verwaltung des Gebühreneingangs wird vom LAELKB getragen, die Freischaltung und die Auswahl der betroffenen Kirchenbücher vom Verein. In der Diskussion ergab sich, dass der Verein seine Satzung bisher noch nicht vorgelegt hat und dass die GKV Hof der Einstellung ihrer Kirchenbuchscans ins Internet nicht zustimmt.

Nach einer kurzen Pause referierte der Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart, Dr. Hermann Ehmer, über die Tätigkeit des Ausschusses \“Digitale Kirchenbücher\“ des Verbandes kirchlicher Archive (VkA). Nach der Feststellung von Handlungsbedarf aufgrund der häufigen Anfragen von Benutzern wie auch von genealogischen Großorganisationen (Genealogical Society of Utah, MyFamily.com, ancestry.de) schilderte er zuerst die Situation in der württembergischen Landeskirche. Das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart hat bereits seit einem Jahr eine Kirchenbuch-Datenbank im Internet eingestellt und hat mit dem Landesarchiv Baden-Württemberg wegen einer möglichen Zusammenarbeit bezüglich der Kirchenbuch-Digitalisierung Kontakt aufgenommen. Der Ausschuss \“Digitale Kirchenbücher\“ innerhalb des VkA hat sich seit seiner Gründung zweimal getroffen und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen: Die Präsentation im Internet muss analog zur Kirchenbuchbenutzung im realen Archiv aufgebaut werden (Hinweise auf die Provenienz des Kirchenbuchs; Einbau von Findmitteln; virtueller Lesesaal analog zum realen Lesesaal). Die Benutzungsordnungen der meisten Archive müssen den neuen Möglichkeiten angepasst werden (z.B. Verhinderung von Missbrauch, unbefugtem Herunterladen von Quellen, Verletzung von Eigentumsrechten). Die technischen Abläufe müssen ebenfalls noch entwickelt werden. Auch die Höhe der Gebühren sowie die Art des Einzugs sind zu klären. Ein dafür nötiger Web-Shop kann nur von einer juristischen Person betrieben werden. Es empfiehlt sich also die Gründung einer GmbH bzw. einer GmbH & Co KG (wegen Forderungen und der Haftung). Eine solche juristische Person unterliegt der Steuerpflicht. Mitglieder einer solchen GmbH können die Landeskirchen, aber auch katholische Bistümer werden.

Problematisch ist der unterschiedliche Standard der einzelnen Archive. Als nächste Arbeitsschritte wurden erarbeitet: Verlinken der genealogischen Seiten der einzelnen Archive mit der Domain www.kirchenbuchportal.de; Erstellung eines Logos für das Kirchenbuchportal; Erstellung und Einstellung von Kirchenbuchverzeichnissen. Für eine einheitliche Erfassung wird momentan an mehreren Archiven eine vom Landeskirchlichen Archiv Speyer entwickelte Erfassungsmaske ausprobiert. Im Landeskirchlichen Archiv in Berlin, wo die Erfassungsmuster der einzelnen Archive gesammelt werden, wird die Kompatibilität der verschiedenen Programme überprüft werden. – In der Diskussion zeigte sich nochmals der Gegensatz zwischen einem angestrebten Kopierschutz der ins Internet gestellten Quellen und dem Verkauf ganzer CD-ROMs mit Digitalisaten. Auch die Ausleihe von Kirchenbuchfilmen wurde unter dem Missbrauchsaspekt von etlichen Teilnehmenden als problematisch empfunden. Zum Zeitpunkt der GmbH-Gründung muss Personal eingestellt werden, das sich durch den Betrieb des Kirchenbuchportals selbst zu finanzieren hat. Die Landeskirchlichen Archive wollen sich gegenüber den großen Gesellschaften behaupten, indem sie selbst tätig werden. Der VkA hat für die Einrichtung des Kirchenbuchportals im Jahr 2008 13.000 € zur Verfügung gestellt. Die einzelnen Gliedkirchen müssen über das Vorhaben informiert werden; die Leiterin des VkA bereitet einen erläuternden Brief an alle Archive vor.

Nach der ersten Tagungseinheit führte OKR i.R. Dr. Klaus Bümlein die Teilnehmenden durch die Gedächtniskirche der Protestation und bot für alle einen interessanten Einblick in die protestantische Kirchengeschichte Speyers. Beim anschließenden Abendessen im Klosterstübchen, zu dem die pfälzische Landeskirche freundlicherweise einlud, bestand Gelegenheit zu kollegialem Meinungsaustausch. Am nächsten Morgen hielt Pfarrerin Claudia Enders-Götzelmann von der Gleichstellungsstelle der pfälzischen Landeskirche anlässlich des vorangegangenen Sonntags \“Cantate\“ eine Andacht zum Thema \“Singen\“. Die Moderation der folgenden Beiträge lag bei Dr. Bettina Wischhöfer, der Leiterin des Landeskirchlichen Archivs in Kassel sowie des VkA.

Dr. Udo Wennemuth, der Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Karlsruhe, gab im ersten Referat eine auf seinen eigenen Erfahrungen mit der Einführung von DMS basierende \“Definition archivfachlicher Standards im Hinblick auf die elektronische Aktenführung und EDV-gestützte Registratur\“. Er verwies auf die Bedeutung der Festlegung von archivfachlichen Standards angesichts der Tatsache, dass die Standards häufig von den \“IT-Leuten\“ bestimmt würden. So sollte die elektronische Datenverwaltung zu elektronischen Abgabelisten führen, Aufbewahrungsfristen sollten elektronisch festgelegt werden, die Ablage der Akten sollte nur elektronisch (in Datenbanken) erfolgen, für die Langzeitarchivierung sollte eine Übernahme in adäquate Speichermedien erfolgen. Die Grundlagen des Verwaltungshandelns, Nachhaltigkeit und Transparenz, dürften durch die Einführung von DMS nicht gefährdet werden. Bei den technisch-organisatorischen Standards sei der benötigte Speicherbedarf zu berücksichtigen, Datenmigrationsverfahren müssten geklärt werden, Konvertierungsformate und -modalitäten seinen festzulegen, die Datenverfügbarkeit, aber auch Persönlichkeitsrechte seien zu gewährleisten. Die Einführung von DMS müsse über eine Projektgruppe mit Unterstützung der Dienststellenleitung zentral erarbeitet werden, die Bereiche Registratur und Archiv müssten die Grundanforderungen an elektronische Archivierung festlegen (der elektronische Aktenplan steuert die Ablage; der Begriff \“Vorgang\“ muss definiert werden). In der Diskussion wurde auf Klärungsbedarf bei der Rechteverwaltung, bei der Finanzierung sowie bei der zumindest anfangs zusätzlichen Arbeitsbelastung bei der Einführung von DMS hingewiesen. 

Andreas Butz M.A. vom Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart leitete über zum zweiten Thema der Tagung: der kirchlichen Archivpflege in den Pfarrarchiven.
Er äußerte sich grundsätzlich zur Überlieferungsbildung in Pfarrarchiven. Zu ihrer Verbesserung schlug er eine intensivere Bewertung angesichts der steigenden Menge von Schriftgut in Pfarrarchiven vor, betonte aber auch, dass die Unterlagen überwiegend die Verwaltungsaspekte des kirchlichen Lebens dokumentierten. Er warf die Frage auf, ob Archivare lediglich die Aufgabe hätten, Schriftgut zu verwalten, oder ob – ähnlich wie Kommunalarchivare, bei denen eine Neupositionierung in dieser Frage erfolgt sei – auch Kirchenarchivare gegen erkannte Überlieferungslücken vorgehen sollten, so durch Erstellung eines Dokumentationsprofils in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden der Kirchengemeinden. Aufgrund von Personalmangel könne wohl lediglich ein allgemeines Profil erstellt werden, das für jede Gemeinde adaptierbar sei. Der Grad der Abbildungsdichte der jeweiligen Akten spiele eine Rolle für ihre Bewertung. Dokumentationslücken sollten durch gezielte Überlieferungsbildung (z. B. Sammeln von Predigtkonzepten oder Gemeindebriefen) geschlossen werden. In der Diskussion wurde auf die rechtlichen Schwierigkeiten hingewiesen, Predigten grundsätzlich von ihren Autoren einzufordern, bzw. wurde aufgrund der großen Menge und inhaltlichen Überschneidungen einer Gesamtüberlieferung für eine Auswahlüberlieferung plädiert.

Abschließend berichteten Peter Halicska, Peter Unglaube und Christine Lauer aus den Landeskirchlichen Archiven in Nürnberg, Kassel und Speyer von ihren Erfahrungen bei der praktischen Archivpflege in Pfarrarchiven. Bei der bayerischen Landeskirche ist etwa ein Drittel der Pfarrarchive an das Landeskirchliche Archiv abgegeben, ca. 1.100 Kirchengemeinden verfügen über Schriftgut aus der Zeit vor 1900, 90 % dieser Archive sind mit Hilfe von Archivpflegern in den 1950er Jahren verzeichnet worden, seit den 1990er Jahren ist nur noch Beratung möglich, wobei es sich überwiegend um Registraturberatung auf der Basis der Registraturordnung von 1946 und ihrer Folgeauflagen handelt. Die 40 bis 50 jährlichen Außentermine der derzeit drei Archivpfleger kommen aufgrund von Anfragen zustande. Aktives Zugehen auf Kirchengemeinden ist wegen der Größe des Sprengels nicht möglich.

Im Gegensatz dazu ist in der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck das Landeskirchliche Archiv nicht für Registratur-, sondern nur für Archivberatung zuständig. Die drei Archivpfleger werden vor allem bei Pfarrerwechseln tätig, die Pfarrarchive werden dann vorübergehend in das Landeskirchliche Archiv übernommen, geordnet, verzeichnet und zurückgegeben. Die Verzeichnung im Landeskirchlichen Archiv erfolgt mittlerweile häufig durch Praktikanten und ehrenamtliche Kräfte. Für Pfarrsekretärinnen finden zweimal jährlich Fortbildungskurse im Landeskirchlichen Archiv statt. In der pfälzischen Landeskirche erfolgt die Registraturberatung überwiegend telefonisch. Außentermine können aufgrund der knappen Personaldecke kaum wahrgenommen werden. Alle Kirchengemeinden geben ihre Pfarrarchive komplett ab, wobei häufig auch noch nicht archivreife Unterlagen abgegeben werden. Bewertung und Verzeichnung erfolgen im Archiv, wobei die Verzeichnung nicht zeitnah erfolgen kann, sondern in der \“Übergangszeit\“ mit Abgabelisten gearbeitet wird. – In der abschließenden Diskussion wurde deutlich betont, dass alle Archivpfleger auch noch zahlreiche andere Aufgaben erfüllen müssten. Es wurde auch die Bedeutung der Teilnahme von Archivaren an Visitationen betont.

Nach diesen praxisorientierten Berichten und der Abschlussbesprechung endete die informative und spannende Tagung für die, die noch Zeit hatten, beim Mittagessen im Lokal \“Domhof\“, dem ehemaligen Sitz des Landeskirchlichen Archivs der Pfalz.

Link: www.evangelische-archive.de

Andrea Schwarz (Nürnberg)

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