Rund 16.000 Datensätze enthält das weltweit größte Online-Nachweisinstrument für Stammbücher und Stammbuchfragmente, das vom Institut für Germanistik der Universität Erlangen-Nürnberg in den vergangenen neun Jahren aufgebaut wurde. Solche Stammbücher, wie sie von der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert unter Privatleuten üblich waren, spiegeln Beziehungsgeflechte wider und sind aus vielen weiteren Gründen wertvolle Forschungsquellen. Seit kurzem ist die Datenbank nach einer technischen Neugestaltung und Aufwertung im Internet wieder frei zugänglich.
Ein Eintrag von Goethe ins Stammbuch war eine hohe Ehre; will man dagegen heute jemandem etwas „ins Stammbuch schreiben“, hat das eher einen negativen Beiklang. Trotzdem verweist die Redewendung noch auf eine Bedeutung, die mit Heirat und Abstammung nichts zu tun hat. Kulturwissenschaftler bezeichnen mit diesem Begriff eine bestimmte Buchgattung: das „Album Amicorum“, das Freundschaftsbuch. An diese über Jahrhunderte gepflegte Sitte knüpfen Mädchen unwissentlich an, wenn sie im Grundschulalter ein Poesiealbum führen und bei Verwandten und Freundinnen Sprüche oder Verse sammeln. Damals wurden Gönner, Bekannte und Freunde von Erwachsenen darum gebeten, zur dauerhaften Erinnerung einige handschriftliche Zeilen ins Stammbuch einzutragen. Zunächst war dies unter Studenten und Adligen verbreitet; Diplomaten, Handelsleute und Handwerker folgten, und ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurden Stammbücher auch bei jungen Frauen gebräuchlich.
Verschiedene geisteswissenschaftliche Disziplinen entdecken hier hochinteressantes, teilweise lange brachgelegenes Material. Die Einträge dokumentieren Netzwerke persönlicher Beziehungen und nützen Historikern bei der systematischen Erforschung bestimmter Personenkreise. Die Literaturgeschichte findet Hinweise auf die Bekanntheit von Autoren oder die Verwendung literarischer Motive. Die Texte erlauben Rückschlüsse auf denkgeschichtliche, religiöse und politische Strömungen. Illustrationen entpuppen sich als reizvolle Schätze für Kunstwissenschaft und Kulturgeschichte, und Musikwissenschaftler profitieren von gelegentlichen Notenfunden zwischen den Blättern. Dem breiten Forschungsinteresse standen jedoch lange Zeit die äußerst begrenzten Recherchemöglichkeiten entgegen. Allein schon die Existenz bestimmter Alben, geschweige denn deren gegenwärtige Standorte herauszufinden, erforderte einen hohen Aufwand. Online-Kataloge gab es nur in seltenen Fällen und für kleine Bestände.
Um hier Abhilfe zu schaffen, hat das Erlanger Institut für Germanistik im März 1998 begonnen, eine Datenbank zu erstellen, die seither von etwa 3.000 auf 16.000 Datensätze angewachsen ist. Das „Repertorium Alborum Amicorum“ (RAA) bietet Aufschluss über den ehemaligen Stammbuchhalter, nennt die Laufzeit des Albums und die Eintragsorte, den Standort und die Signatur. In jeder der Kategorien lässt sich gesondert recherchieren. Aufgenommen sind momentan Alben aus rund 520 Bibliotheken, Archiven und Museen in 23 Ländern, außerdem eine große Zahl von Nachweisen aus Antiquariatshandel, Auktionen und privaten Sammlungen. Besonders wichtig für die praktische Arbeit sind die gegenwärtig rund 45.000 Literaturangaben, die in vielen Fällen die Benutzung der wertvollen Unikate vor Ort unnötig machen. Das gesondert aufrufbare Literaturverzeichnis umfasst momentan knapp 1.000 Aufsatz- und Buchtitel.
Weltweit verweisen Linksammlungen der großen Bibliotheken mittlerweile auf das Nachweisinstrument des Erlanger Instituts für Germanistik. Bibliotheken und Archive, aber auch Privatsammler melden ihre Bestände an die Redaktion. Enge Kooperation besteht mit einem ähnlichen Projekt an der Universität Szeged. Zu den besitzenden Institutionen und den führenden Stammbuchforschern werden rege Kontakte unterhalten. Die derzeitige erneuerte Version der Datenbank wurde mit Hilfe des Regionalen Rechenzentrums Erlangen erstellt. Für die Zukunft ist geplant, auch die Suche nach einzelnen Einträgern, zitierten Autoren oder Bildmotiven zu ermöglichen.
Kontakt:
Institut für Germanistik
PD Dr. Werner Wilhelm Schnabel
Bismarckstraße 1
91054 Erlangen
Tel.: 09131 / 85 – 22424 oder – 29126
Fax: 09131 / 85 – 29323
wwschnab@phil.uni-erlangen.de
Quelle: Pressemitteilung Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 22.5.2007