Als junger Doktorand der Philosophie prägte Max Dessoir 1889 mit seinem in der Zeitschrift Sphinx erschienenen kurzen Aufsatz „Die Parapsychologie“ denjenigen Begriff, der nach einer zeitlichen Verzögerung seit den 1920er Jahren das Forschungsfeld der außergewöhnlichen Erfahrungen und Phänomene bezeichnen sollte. Unter „Parapsychologie“ verstand Dessoir die Wissenschaft, die sich mit den „aus dem normalen Verlauf des Seelenlebens heraustretenden Erscheinungen“ beschäftigt.
Schon als Schüler hatte er sich intensiv mit den Vorführungen des englischen „Gedankenlesers“ Stuart Cumberland beschäftigt, dann als Student zu verschiedenen parapsychologischen Themen publiziert und 1888 die Gesellschaft für Experimentalpsychologie mitbegründet. Max Dessoir profilierte sich in der Folge als einer der eifrigsten, wenn auch zunehmend kritischer argumentierenden Forscher auf dem von ihm bezeichneten Gebiet. Weiterhin machte er sich auf zahlreichen weiteren Feldern wie der Theorie der Ästhetik und Kunstwissenschaft sowie der Philosophie- und Psychologiegeschichtsschreibung einen Namen. 1891 habilitierte sich Dessoir und lehrte danach von 1892 bis 1934 mehr als 40 Jahre als Privatdozent und Professor an der Berliner Universität.
Abb.: 15.7.1946: Max Dessoir an Jette Bender-Wiechert, IGPP-Archiv, 10/5 (© IGPP-Archiv)
Nach seiner Emeritierung folgte eine Zeit, in der Dessoir aufgrund jüdischer Vorfahren immer wieder von Repressalien seitens des NS-Regimes betroffen war. Im Sommer 1943 verließ er schließlich mit seiner Frau das von Bombenangriffen bedrohte Berlin und ließ sich in Königstein im Taunus nieder. Nur wenige Wochen später wurde seine Berliner Wohnung vollkommen zerstört. Dies brachte mit sich, dass auch der größte Teil seiner wissenschaftlichen Unterlagen vernichtet wurde. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz lagert nur noch ein kleiner Restbestand des Nachlasses. Umso bedeutsamer für eine Rekonstruktion von Leben und Werk eines der bedeutendsten Gelehrten auf dem Feld der Parapsychologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind biographische Spuren in anderen Archiven. Auch im Archiv des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) lassen sich verschiedene Hinweise entdecken, da Dessoir mit Persönlichkeiten wie Albert von Schrenck-Notzing, Fanny Moser, Albert Hellwig und Hans Bender in Kontakt stand.
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Quelle: Uwe Schellinger (IGPP), Schaufenster ins Archiv 09-06, 1.9.2006