Schätze, Schimmel und Sozialgeschichte. Aus dem Alltag eines Bewegungsarchivs

Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags[1] von Bernd Hüttner[2] steht ein umfangreicher Zugang an Büchern und Zeitschriften in das Archiv der sozialen Bewegungen Bremen. Im ersten Teil wird anhand der konkreten Bearbeitung dieses Zugangs die Arbeitsweise und die Situation dieses Archivs beschrieben. Im zweiten Teil wird der Zugang inhaltlich dargestellt und vorsichtig versucht, Rückschlüsse auf die politisch-intellektuelle Entwicklung des ehemaligen Besitzers des Zugangs ziehen. 

\"Archiv

Bremen, 29. November 2004. Ich bekomme eine E-Mail von Ulrich Duve, dem Leiter des Klaus Kuhnke-Archiv für populäre Musik an der Hochschule für Künste Bremen. Er möchte dem Archiv der sozialen Bewegungen 30 Kartons politische und historische Literatur sowie Periodika überlassen. Sie stammen vom 1988 tödlich verunglückten Namensgeber des Archivs, Klaus Kuhnke. Das Archiv hat nur den in sein Thema \“populäre Musik\“ passenden Buch- und Periodikabestand aus dem Nachlass übernommen, der umfangreiche Rest war seitdem verpackt eingelagert. Das Archiv selbst wurde 1975 damals noch unter dem Namen Archiv für populäre Musik von den Radio Bremen-Musikredakteuren Klaus Kuhnke, Manfred Miller und Peter Schulze gegründet. Mein Archivarsherz schlägt deutlich höher und die Aussicht auf Zugänge an Büchern und Periodika aus den 1960er und 1970er Jahren ist verlockend, besteht doch sehr viel des bisherigen Archivbestandes aus Material aus den 1980er und 1990er Jahren. 

Bald danach besuche ich das klischeehaft im ehemaligen Heizungskeller der Hochschule versteckte Archiv und besichtige das zu übernehmende Material. Es handelt sich um geschätzt 1.500 Bücher und einige Kisten mit Periodika. Ich sage zu, alles zu übernehmen und gegebenenfalls an andere Archive, zu denen ich Kontakte habe, weiterzuleiten. Ich vereinbare den Abholtermin für die erste Ladung und verabschiede mich, tief beeindruckt von den im Kuhnke-Archiv lagernden 80.000 Langspielplatten. Am 6. Dezember 2004 hole ich ca. 24 Umzugskisten ab, acht Tage später weitere neun Kisten.

\"Blick

Dieser Zugang kommt zu einem unpassenden Zeitpunkt. Zum einen ist die Existenz des Archivs der sozialen Bewegungen aktuell nicht gesichert. Das Archiv nimmt den gesamten Keller des Bremer Infoladens ein, dessen Vertrag zum Jahresende 2005 ausläuft. Die Vermieterin, eine teilprivatisierte städtische Wohnungsbaugesellschaft, hat zwar Interesse das Gebäude zu verkaufen, dafür derzeit aber keine InteressentInnen und hat deshalb signalisiert, unter Umständen auch weiter zu vermieten. Da der 100 Quadratmeter große Keller wegen feuchter Wände eigentlich unbenutzbar ist, habe ich erst im November 2004 alle noch im Keller lagernden Bücher des Archivs, circa 1.500 Bände nach oben in einen kleineren, aber trockenen Raum geschleppt, gleichzeitig die dort in einigermaßen Schutz vor Feuchtigkeit bietenden Archivboxen liegenden Zeitschriftentitel mit den Anfangsbuchstaben B bis J in den Keller umgelagert. Die anderen Zeitschriften (mit den Anfangsbuchstaben K bis Z) sind schon länger in diesen Archivboxen relativ geschützt im Keller untergebracht. Bei solchen Umräumaktionen tut mir nach zwei Stunden alles weh, so dass ich aufhören muss. Das große Problem, dass aus verschiedenen Gründen neue Räume für den Infoladen und das Archiv gefunden (und auch finanziert) werden müssen, begleitet das Archiv schon seit über zwei Jahren.

Im Dezember 2004 besteht der Bestand der Archivs aus ca. 2.000 Büchern, der Zeitschriftenbestand zählt ungefähr 800 Titel mit nennenswerten Beständen, sowie vermutlich fast 1.000 Titel, die als Einzelhefte oder in sehr wenigen Exemplaren vorhanden sind. Hinzu kommen circa 150 Archivboxen und Stehordner mit thematisch einigermaßen sortierten Flugblättern und Broschüren sowie Plakate und über weitere 50 Archivboxen mit unsortiertem Material. Ein Umzug wäre eh ein gewaltiges Unterfangen, da kommt es auf zehn oder zwanzig Kartons mit Büchern aus dem Kuhnke-Archiv jetzt auch nicht mehr an.

Sammeln, erhalten, erschließen

Meine Tätigkeit als Bewegungsarchivar ist vielfältig. Zum einen hat Mensch mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun, die Materialien an das Archiv geben wollen. Diese müssen sachgerecht betreut werden. Wollen viele ihre Dinge einfach nur loswerden, sind andere bewusste SpenderInnen und deshalb sehr interessiert, was mit ihren in langen Jahren politischen Aktivismus angesammelten Dokumente geschieht und am Archiv interessiert. Andere klagen, dass sich ihre Erben einmal nicht um ihre Materialien kümmern werden und sie diese gerne jetzt schon gesichert haben wollen. Es gibt sogar Spender, die ihre Materialien anonym während der Öffnungszeiten des Infoladens abgeben, so dass wir nie erfahren, wer sie sind. Die Tätigkeit des Archivierens selbst ist ebenfalls vielfältig. Sie hat etwas von Wühlen im Müll, von Schatzsuche an sich. Gleichzeitig handelt es sich um eine von kaum jemand – weder vom etablierten Archivwesen noch von den aktuellen Bewegungen – honorierte Bewahrung der gesellschaftlichen Überlieferung.

Ungeachtet der ungewissen Zukunft und der parallel laufenden Gespräche mit verschiedenen AkteurInnen über die Raumsituation beginnt die Bearbeitung des \“Kuhnke\“-Zugangs. Das dabei angewandte Verfahren ist bei allen Spenden an das Archiv gleich. Zuerst wird nach Materialart getrennt und in Bücher, Periodika und Sonstiges sortiert. In diesem Fall handelt es sich vor allem um Bücher, sonstiges Material ist wenig dabei. Gleichzeitig erfolgt die Bewertung, also die Entscheidung, was im Archiv verbleibt, was weggeworfen wird und was an andere Archive weitergegeben sollte.

Seit der Gründung des Archivs haben sich inhaltliche Kontakte und ein Austausch von Archivalien mit vergleichbaren Archiven und Bibliotheken u.a. in Oldenburg, Hamburg, Berlin, Köln, Bonn, Jena, Wien, Zürich und Gera ergeben. Materialaustausch zu den Themen Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus gibt es mit der Bibliothek des damaligen Instituts für Regional- und Sozialgeschichte (IRSG) an der Universität Bremen[3] und dem ECO-Archiv Arbeiterkultur und Ökologie der Naturfreunde in Hofgeismar. Ich verwende relativ viel Zeit darauf, doppeltes Material weiterzugeben, von zwei Archiven verfüge ich sogar über Bestandslisten, so dass ich genau weiß, welche Zeitschriftenausgaben diese noch nicht haben und sie dementsprechend mit dem in Bremen doppelten Material versorgen kann. Die Buch- und Zeitschriftenbestände des IRSG sind sogar online über das Internet zugänglich. Zur Abgabe an andere Einrichtungen kommt also das Material in Frage, das im Archiv schon vorhanden ist oder das thematisch nicht passt.

Das letzte ist bei dem aktuell zu bearbeitenden Zugang ziemlich oft der Fall: Bücher zur Kulturpolitik der SED, zur SPD vor 1914 und zu vergleichbaren, anderen Themen, die nicht in das Profil des Archivs passen, werden z.B. an das IRSG weitergegeben. Bei den Periodika sind etliche Hefte auch schon im Archiv vorhanden.

In dem Zugang finden sich Bücher zu Arbeiterkultur und -bildung, aus Literaturwissenschaft, Ästhetik und Volkskunde, zur Kinotheorie, zur kritischen Theorie, zur Sozialgeschichte, zur Geschichte der Arbeiterbewegung (vor allem der Weimarer Zeit), zur Kulturarbeit und -politik in der DDR. Sowie natürlich Bücher von und über Marx, Mao, Lenin, aus und über China, Albanien etc. pp., aber auch von Adorno, Benjamin und Lukacs, ferner Veröffentlichungen zweier sog. K-Gruppen, des Kommunistischen Bundes Westdeutschland und der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD bzw. anfangs KPD/AO). Erstaunlich ist die inhaltliche Breite, es finden sich sehr viele Titel aus der DDR, bzw. von DDR-nahen AutorInnen, aber auch von anderen Strömungen (dazu näheres unten).

Ich sortiere zwei Kartons mit Büchern für das IRSG aus, die Hefte von drei DDR-Literaturzeitschriften schenke ich dem linken Antiquariat, mit dem wir öfter Material austauschen und habe so den Buchbestand bald auf zehn Kartons zusammengedämpft. Diese stehen nun in Flur – und werden dort noch lange stehen bleiben, zumindest bis neue und hoffentlich groß genug gestaltete Räume gefunden sind.

Zeitgeschichtliche Schätze in mieser Umgebung

Wie wird nun mit den separierten Periodika verfahren? Die Hefte der Periodika mit Titeln mit den Anfangsbuchstaben N bis Z werden, sofern nicht schon vorhanden, in Kartons verpackt und sofort ins Regal gestellt. Die Titel mit den Anfangsbuchstaben A bis M werden zuerst in unsere Zeitschriftendatenbank eingegeben. Doppelexemplare landen nach Abgleich mit den Bestandslisten in den dementsprechenden Ablagen für die Archive in Oldenburg, Jena, Bonn oder das IRSG an der Universität Bremen. Was nun an Periodika noch übrig ist, biete ich in einer Email dem Archiv der Jugendkulturen in Berlin und dem ECO-Archiv an, die beide mit Freude zugreifen. Am 10. Januar 2005 sind alle Periodika aus dem Zugang Kuhnke verarbeitet, nur noch ein kleiner Stapel an Dubletten wartet auf einen Abnehmer. Warten muss ich auch, bis das Computernetzwerk des Infoladens, das das Archiv mitbenutzt, wieder läuft. Das bedeutet die Berge an Zeitschriftenexemplaren, die noch in die Datenbank eingegeben werden müssen, müssen erst einmal zwischengelagert und dementsprechend markiert werden. In der Zeitschriftendatenbank sind Anfang 2005 circa 400 Zeitschriften eingegeben. Da ich ehrenamtlich im Archiv engagiert und mit allen anderen Tätigkeiten mehr als ausgelastet bin, ist nicht absehbar, wann diese Datenbank fertiggestellt und im Internet erreichbar sein wird.

Bei den Periodika handelt es sich um über zwei Dutzend Titel: Zum einen um auffallend viele Titel aus der DDR (Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte, Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Marxismus Digest, Einheit), darunter auch Kultur- und Literaturzeitschriften (Sinn und Form, Weimarer Beiträge, Neue Deutsche Literatur), sowie Titel aus westdeutschen, aber DDR-nahen Verlagen (Kürbiskern, Marxistische Blätter). Zum anderen Titel aus der westdeutschen APO-Zeit (Kursbuch, Rote Pressekorrespondenz, alternative) und den verschiedenen Spektren der Nach-APO-Linken: Ästhetik und Kommunikation, Das Argument, Sozialistische Politik, Die Rote Nelke, Theorie und Praxis des Kommunismus, Autonomie, ID-Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, Befreiung, Berliner Hefte, SPUREN. Überraschenderweise komplett vorhanden sind die Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und die Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, zwei Projekte, die fest dem sozialdemokratischen Milieu zuzuordnen sind, ferner einige Ausgaben des Archiv für Sozialgeschichte, die wie die Bibliographie von der Friedrich-Ebert Stiftung herausgegeben wird. Zu erwähnen sind noch einige kleinere Literaturzeitschriften, wie Linkskurve, ostwind oder Werkstatt, das Mitteilungsorgan des Werkkreis Literatur der Arbeitswelt.

Dann sind da die Zeitschriften bei denen Kuhnke Redakteur war, oder (vermutlich) anderweitig mitgearbeitet hat und die deshalb meist mehrfach vorhanden sind: Die Sozialistische Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, erschienen von 1970 bis 1977; Kuhnke war dort laut Impressum von Juni 1971 bis Dezember 1974 Redakteur. Kämpfende Kunst. Zeitschrift der ISK (Initiative zur Gründung einer Vereinigung sozialistischer Kulturschaffender ), dieses KPD-nahe Periodikum erschien von 1975 bis 1977. Die Berliner Hefte, die von 1976 bis 1981 erschienen und bei denen Kuhnke nur im ersten Heft als Redakteur genannt ist. Schließlich Anschläge, die von Kuhnke und wenigen anderen gegründete und getragene und vom Archiv für populäre Musik selbst herausgegebene Zeitschrift, erschienen 1978 bis 1981. Der Überlieferungszeitraum der Periodika umfasst 1956 bis 1992, der Großteil stammt aus den 1970er Jahren, auffallend wenig ist aus den letzten Jahren vor Kuhnkes Tod überliefert[4].

Ich mache mir den Spaß nachzusehen, wie oft einige, teilweise bisher noch nicht genannte Titel in der Zeitschriftendatenbank der deutschen Bibliothek (ZDB) verzeichnet sind. Einige Titel aus dem Zugang, die nun bei uns lagern, sind nur an einer oder zwei Bibliotheken in der Bundesrepublik vorhanden, andere in vier Bibliotheken, von denen wiederum drei in Berlin beheimatet sind. Dies zeigt deutlich die Bedeutung der Bewegungsarchive und -bibliotheken für die Sicherung der Zeugnisse der neuen sozialen Bewegungen, die ja wiederum wichtiger Bestandteil der nichtstaatlichen gesellschaftlichen Überlieferung sind. Sammeln die Bewegungsarchive dieses Material nicht, tut es niemand oder kaum jemand und sie gehen verloren, bzw. sind nur schwer zugänglich. Die Chance für jemanden, diese Titel aber bei uns zu finden sind nahezu Null, ist doch das Archiv nicht der ZDB angeschlossen und wann die Datenbank – die potentielle RechercheurInnen ja dann auch erst einmal finden müssten – online gestellt wird, steht wie gesagt in den Sternen.

Gerade die sog. Erschließung ist unter ehrenamtlichen Bedingungen, unter denen die meisten Bewegungsarchive arbeiten, kaum zu leisten. Sie ist sehr zeitintensiv – um einen Titel in die Datenbank einzugeben, braucht man zwischen zehn und zwanzig Minuten, und bei uns sind grob geschätzt noch 1.000 Zeitschriftentitel aufzunehmen  – und Erschließungstätigkeiten werden auch, so ist immer wieder zu hören, durch Projektförderung nicht finanziert.

Das Archiv ist als Geschichtsprojekt Teil einer eher theoriefeindlichen und geschichtslosen Szene, der radikalen undogmatischen Linken (Hüttner 2005). Öffentlichkeitsarbeit und Kontakte in ein linksliberales Milieu sind nur durch aktives Handeln herzustellen, was in Bremen passiert. So wird neben einer umfangreichen website immer wieder öffentlich über die Situation des Archivs berichtet, in Bewegungszeitschriften, aber auch in historischen Fachorganen (Hüttner/Vennebusch 2004) für die Anliegen der Bewegungsarchive geworben (Hüttner 2004). Stütze des Archivs ist aber immer noch, jenseits des schwankenden Elans seiner wenigen Mitarbeiter, die Bereitschaft des Infoladens einen Teil seiner Räume umsonst zur Verfügung zu stellen. Modelle, die – für separate Räume – auf der Bezahlung einer Miete durch einen Förderkreis beruhen, wären erst noch zu entwickeln.

Klaus Kuhnke – Fragmente einer intellektuellen Biographie

Klaus Kuhnke wurde 1944 in Rerik an der Ostsee geboren, wuchs in Hamburg auf und  studierte dort Germanistik und Philosophie. Er arbeitet schon ab 1969 als Herausgeber (dazu und zum folgenden Klaus Kuhnke Archiv o.J.). Unter anderem ist er der Herausgeber der berühmten Kinderliedersammlung Baggerführer Willibald, die es von 1973 bis 1979 auf fünf Auflagen brachte. 1969 gab er in typischer APO-Manier das kleine Heftchen Garstige Weihnachtslieder von Hamburg linksliterarisch heraus, in denen umgedichtet klassische Weihnachtslieder erschienen. Anfang der 1970er Jahre veröffentlichte er als Herausgeber einige Bände, die sich der Dokumentation und Popularisierung aufrührerischen Liedgutes widmeten (u. a Die alten bösen Lieder – Lieder und Gedichte der Revolution von 1848, erschienen 1969, oder Lieder der Arbeiterklasse: 1919 – 1933, erschienen 1971). Er arbeitet später als Rundfunk- und Fernsehjournalist, als Mitautor der über 100-teiligen Radiosendereihe \“Roll Over Beethoven\’\‘ (Radio Bremen/Westdeutscher Rundfunk) und der zehnteiligen Fernsehreihe \“Rock\’n Roll Music\’\‘ (Norddeutscher Rundfunk). 1975 ist er Mitgründer des Archiv für populäre Musik. Viel mehr ist mir über seinen Lebenslauf nicht bekannt. Genauere Aussagen über Klaus Kuhnke sind deshalb fast nicht möglich, es ist hier nur möglich ihn über die Zusammensetzung seiner Bibliothek zu beschreiben. Viele Quellenarten, aus denen sonst Erkenntnisse und Schlüsse gewonnen werden, wie etwa Briefe, persönliche Aufzeichnungen oder auch Tageszeitungen sind nicht überliefert. Eine Detailuntersuchung, welche Bücher Kuhnke tatsächlich auch gelesen hat, welche Unterstreichungen er gemacht hat, erfolgte (bislang) nicht. Es kann also nicht darum gehen, eine intellektuelle Biographie von Kuhnke zu schreiben, dazu ist (mir) zu wenig über ihn bekannt. Es kann hier nur darum gehen, ihn als Angehörigen der sog. 1968er Generation zu beschreiben, an dem einiges bemerkenswert ist.

Folgt mensch Kraushaar (2001), so sind aus der sozialen Revolte von 1968 vier politische Spektren entstanden. Das reformistische, das gemeinhin mit den Jungsozialisten (und auch der SPD) assoziiert wird, zweitens das am Politikmodell der DDR orientierte, das sich um die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) organisierte, drittens die marxistisch-leninistische Strömung, die normalerweise in der Form der kommunistischen Parteien und Bünde und ihrer Vorfeldorganisationen auftritt, und viertens das undogmatisch-neomarxistische, das sich eher um Intellektuelle gruppiert (eine typische Einrichtung dieses Spektrums wäre das Sozialistische Büro mit seiner einflussreichen Zeitschrift links).

Schon bei einer ersten Durchsicht des Kuhnke-Zuganges fällt der Umfang und die thematische und politische Breite des überlieferten Bestandes auf. Sie zeigt, dass Kuhnke über diesen vier Idealtypen steht und diese Einteilung vielleicht auf der Ebene von Organisationen oder organisierten Diskursen hilfreich, aber der Ebene von einzelnen Personen nicht so eindeutig ist.

Ich setzte jetzt voraus, dass Kuhnke die Bücher in seinem Nachlass auch gelesen hat, dies ist sehr vielen Exemplaren auch anzusehen und er nicht zu den Menschen gehörte, die Bücher kauften – aber nicht lasen. Kuhnke hat gelesen, und zwar viel. Er war als Leser Teilnehmer am Markt für Marx (von Saldern 2004) – und auch als Produzent. Die Erstauflage des Buches Baggerführer Willibald betrug z.B. aus heutiger Sicht unerhörte 20.000 Stück. Er schrieb und publizierte auch selbst und war vielfältig publizistisch tätig und – er war Leser. Ich schätze, dass Kuhnke über 1.500 Bücher hinterlassen hat.

Noch bemerkenswerter ist die politische Vielfalt der hinterlassenen Bücher und Periodika. Wie schon erwähnt, rezipierte Kuhnke Periodika aus den letzten drei der angeführten Spektren, und hatte noch zwei wichtige Periodika des ersten, des sozialdemokratischen Spektrums zur Verfügung. Für die 1960er Jahre sind vor allem die Druckerzeugnisse des DKP- und DKP-nahen Spektrums auffällig, es findet sich auch sehr viel in der DDR hergestellte Literatur. Zur Mitte der 70er Jahre macht sich dann eine gewisse Abwendung bemerkbar und eine Annäherung an die KPD bemerkbar (Bacia 1986, Karl 1976). Wie Kuhnke, der zu dieser Zeit immerhin schon für die \“Kulturindustrie\“ arbeitete und dort Blues, Pop und Rock´n Roll kritisch und musikhistorisch aufarbeitete, dazu kam, sich mit einer politischen Organisation auseinanderzusetzen, wenn nicht sogar zu identifizieren, die mit Avantgardeanspruch und unter Bezugnahme auf Lenin, Stalin und Mao das westdeutsche und das ostdeutsche Proletariat \“und die unterdrückten Schichten des Volkes in den Kampf gegen die Bourgeoisie zu führen\“ gedachte, muss hier leider ungeklärt bleiben.

Kuhnke hatte über einen längeren Zeitraum gleichzeitig Zugang zu DDR-Literatur und zu der der KPD, die einen strikt antisowjetischen Kurs verfolgte. Er hatte z.B. 1976 gleichzeitig u.a. das DDR-Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte, das Zentralorgan der Spontis, den Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten (ID) und das Theorieorgan der KPD zur Verfügung. Diese Tatsache zu interpretieren fällt schwer. Zum einen könnte er z.B. als aktiver KPD-Intellektueller die Organe der \“feindlichen\“ Strömungen nur zum Zwecke der Beobachtung – ohne innere Identifikation – gelesen haben. Die dokumentierbare Tatsache seiner Mitarbeit zumindest an der Gründung der Zeitschrift Berliner Hefte lässt aber schon auf eine Abwendung von der KPD schließen, die auch anhand einiger überlieferter Bücher plausibel ist. Eine Mitarbeit an der Zeitschrift Befreiung lässt sich leider nicht belegen, ist aber möglich. Vielleicht war er auch nur vielfältig interessiert und versuchte verschiedene Debatten mitzuverfolgen, anstatt sich nur einer der Strömungen zuzuordnen, was der Regelfall gewesen sein dürfte – und auch der Organisationslogik der einzelnen Gruppierungen entsprach.

Kuhnke war nicht zuletzt auffällig historisch interessiert. Er interessiert sich sehr für die politische Debatte in der historischen sozialistischen und kommunistischen Bewegung, für kulturellen Avantgardismus im Arbeiterfilm und -theater, für die Geschichte der ArbeiterInnen, ihrer Kultur und ihrer Organisationsversuche. Überraschenderweise sind kaum Exemplare der für die APO und Nach-APO-Zeit charakteristischen Raubdrucke in dem Zugang zu finden. Für die letzten Jahre vor seinem Tod 1988 finden sich kaum noch Periodika, so dass Aussagen über die Interessen oder gar politischen Positionen für diesen Zeitraum leider nicht zu treffen sind. Für die 1970er Jahre ist dies – bei allen Einschränkungen – etwas einfacher. Kuhnke, der 1968 ja 24 Jahre alt war und vermutlich mitten im Studium steckte, neigte während seines Studiums politisch eher den DDR-fokussierten Sichtweisen sozialistischer Politik zu. Zu Mitte der 1970er Jahre nahm er eine gewisse Distanz dazu ein, was vor allem an den überlieferten Druckerzeugnissen der strikt antisowjetischen KPD abzulesen ist, ferner können Periodika wie Befreiung oder auch die Berliner Hefte kaum als SED-freundlich bezeichnet werden, die Befreiung gilt sogar als eher nationalneutralistisches Organ. Von den beginnenden neuen sozialen Bewegungen, von Ökologie oder Feminismus, oder auch zum bewaffneten Kampf findet sich – nichts. Kuhnke war – soweit dies möglich ist zu beurteilen – ein typischer städtischer linker Mann, der in der Kulturindustrie arbeitete, und dies auch nach dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen blieb.

Geschichtsarbeit und aktuelle Fragestellungen

Das Bremer Archiv der sozialen Bewegungen begreift sich als Teil der politischen Protestbewegungen, wie viele andere, wenn auch lange nicht alle Archive sozialer Bewegungen. Es gibt dort den Umständen entsprechend eine gewisse Prioritätensetzung. Da dies unter ehrenamtlichen Bedingungen in einem so kleinen Team nicht möglich ist, wird nicht so viel Zeit auf die ordnungsgemäße Erschließung noch des letzten Kreisrundbriefes der Grünen oder jedes oberschwäbischen Antifa-Infos gelegt. Vorrangig weil eher praktikabel ist es vielmehr, sich darauf zu konzentrieren, Dokumente zu sammeln, und sie halbwegs zu sichern und zu sortieren. Weiter gilt es abzuwarten und die Dokumente aufzubewahren bis vielleicht ein neues Interesse an der Geschichte vergangener Kämpfe und Konflikte dem Archiv neue MitstreiterInnen und mehr NutzerInnen zuführt. Politisch fruchtbarer ist eh die Vernetzungsarbeit unter den Bewegungsarchiven und die publizistische Befassung mit der Geschichte und Geschichtsschreibung sozialer Bewegungen.

Was können uns denn die Dokumente überhaupt sagen? Michael Koltan, langjähriger Mitarbeiter des Freiburger Archiv der sozialen Bewegungen in Baden stellt die für jedes Bewegungsarchiv ketzerische These auf, \“dass das gedruckte Wort allein die Geschichte der Bewegungen nicht nur nicht ausreichend repräsentiert, sondern geradezu verfälscht\“ (Koltan 2003:1). Mensch steht also immer wieder davor, die Dokumente zu interpretieren und politisch mit ihnen zu arbeiten. Dabei kann es nicht naiv darum gehen, die Geschichte der VerliererInnen zu schreiben, im Sinne einer geschichtswissenschaftlich mehr als überholten \“Darstellung wie es eigentlich gewesen ist\“ – denn dieses \“eigentlich\“, diese Realität gibt es nicht. Wichtig sind die Fragen, die heute gestellt werden – und die werden vom aktuellen politischen Standpunkt und Interesse des/der Fragenden bestimmt.

Literatur

  • Bacia, Jürgen, 1986: \“Die Kommunistische Partei Deutschlands [Maoisten]\“, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch, Bd. 3 EAP-KSP, Opladen, S. 1810-1830.

  • Hüttner, Bernd, 2004: \“Reflexionen zum Verhältnis von staatlichen, kommunalen und ´alternativen Archiven´\“, in Archiv-Nachrichten Niedersachsen. Mitteilungen aus niedersächsischen Archiven 8, S. 131-134.

  • Hüttner, Bernd, 2005: \“Täglich grüßt das Murmeltier\“, in Richard Heigl, Petra Ziegler, Philip Bauer (Hg.): Kritische Geschichte. Perspektiven und Positionen, Leipzig, S. 115-132

  • Hüttner, Bernd / Vennebusch, Bernd, 2004: \“Fünf Jahre Archiv der sozialen Bewegungen Bremen\“, in Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte 13/14 (Dezember 2004), S. 79-82

  • Karl, Frank D., 1976: Die K-Gruppen. Entwicklung, Ideologie, Programme; Bonn

  • Klaus Kuhnke Archiv, o.J.: Klaus Kuhnke Archiv für Populäre Musik, Selbstdarstellungsfaltblatt (nach 1998)

  • Koltan, Michael, 2003: \“Unkonventionelle Materialien benötigen unkonventionelle Herangehensweisen\“, online unter http://www.soziologie.uni-freiburg.de/asb/pdf/alexandria.pdf (21.05.2005)

  • Kraushaar, Wolfgang, 2001: \“Denkmodelle der 68er-Bewegung\“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 22-23/2001, S. 14-27

  • von Saldern, Adelheid, 2004: \“Markt für Marx. Literaturbetrieb und Lesebewegungen in der Bundesrepublik in den Sechziger- und Siebzigerjahren\“, in Archiv für Sozialgeschichte 44 (Die Siebzigerjahre. Gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland), 2004, S. 149-180


Anmerkungen

[1] Leicht korrigierte Online-Version eines im Mai 2005 abgeschlossenen Beitrages aus dem Buch: 

[2] Autoreninfo
Bernd Hüttner, geboren 1966, Politikwissenschaftler. 2 Kinder. Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen. Gründer und unbezahlter Mitarbeiter im Archiv der sozialen Bewegungen Bremen. Verfasser von Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände, Neu-Ulm 2003. Mit Gottfried Oy und Norbert Schepers (als Hg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen, Neu-Ulm 2005. Seit 2006 Koordinator des bundesweiten Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg Stiftung und kooptiertes Mitglied der Historischen Kommission beim Bundesvorstand der Linkspartei.PDS. Artikel und Rezensionen in verschiedenen Bewegungs- und Geschichtszeitschriften. Seit 1993 Autor in CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation. Mitbegründer des Webportal www.kritische-geschichte.de. Blogger bei www.linkslog.de und in der Rubrik \“Archive von unten\“ bei Archivalia.

[3]  Diese Bibliothek firmiert seit September 2005 als Bibliothek für Sozial- und Humanwissenschaften und wieder unter der alleinigen Verantwortung der Stiftung für Sozialgeschichte (www.stiftung-sozialgeschichte.de).

[4]  Laut Auskunft von Ulrich Duve, Leiter des Klaus-Kuhnke Archiv (www.kkarchiv.de), ist es unwahrscheinlich, dass gedrucktes Material existierte, das nicht in den Nachlass und damit in das Archiv gelangt ist. Eine am 20. Dezember 2004 gestartete Kontaktaufnahme zu einem Mitbegründer des Kuhnke-Archivs führte erst am 15. Juni 2005 zu einem Interview mit Peter Schulze zur Geschichte des Archiv und zum Leben von Kuhnke. Dessen Ergebnisse fanden aber keine Aufnahme mehr in diesen Beitrag.

Nachlass des Ehepaars von Schaller im Stadtarchiv Lüdenscheid

Irene Mertens wurde am 27.8.1908 in Essen-Bredeney geboren. Nach dem Abitur 1929 studierte sie neben Germanistik und Romanistik vor allem Kunstgeschichte und -pädagogik in Bonn, Jena und Münster. Schließlich erwarb sie die Lehrbefähigung für Kunstgeschichte, Deutsch und Französisch. Es folgte ein längerer Aufenthalt in Paris, der den Besuch der Sorbonne einschloss. In dieser Zeit lernte sie auch ihren zukünftigen Ehemann, den 1919 geborenen Österreicher Georg von Schaller kennen, den sie 1945 heiratete. 1951 zogen die beiden nach Lüdenscheid, wo Irene von Schaller 1955 zunächst am Zeppelin-Gymnasium, dann von 1956 bis zu ihrer Pensionierung 1967 am Geschwister-Scholl-Gymnasium Deutsch, Französisch und vor allem Kunst unterrichtete. Sie weckte in vielen ihrer Schüler Verständnis und Interesse für die bildende Kunst – einige von ihnen wurden später selbst namhafte Künstler.

Ihre eigenen Werke wurden 1979 und 1989 in der Lüdenscheider Galerie Dalichow, 1981/82 in der Städtischen Galerie und 1989 in den Museen der Stadt Lüdenscheid, sowie 1992 in der Stadtgalerie Altena ausgestellt. Noch kurz vor ihrem Tod am 14.1.2003 besuchte Irene Mertens von Schaller eine Ausstellung Lüdenscheider Künstler in der hiesigen Stadtbücherei, in der auch Bilder von ihr ausgestellt waren.

Gemeinsam mit ihrem Mann Georg von Schaller, einem seinerseits sehr in der Kunsterziehung engagierten Realschullehrer und großen Norwegenkenner, gab sie 1985 das Buch \“Herz steig in den Morgen – Gedichte und Briefe eines großen Liebenden\“ mit Texten des 1944 verstorbenen Grazer Dichters Friedrich Mankowski heraus, eine erweiterte Ausgabe des von ihnen bereits 1946 herausgegebenen Buches. Dafür wurden sie 1986 mit dem \“goldenen Ehrenzeichen für besondere Verdienste um das Land Steiermark\“ ausgezeichnet. Weitere vielbeachtete Veröffentlichungen waren z.B. \“Eine Deutsche erlebt Paris\“ (1938), und \“Der Baum in der Kunst des 20. Jahrhunderts\“. 

Der Nachlass der von Schallers fiel nach dem Tod der Erblasser einer Erbengemeinschaft zu und sollte ursprünglich aus Lüdenscheid fortgebracht werden. Vor allem dem Engagement der langjährigen Freunde des Ehepaars von Schaller, dem ehemaligen Leiter des Stadtarchivs Dieter Saal und dem Chronisten der Lüdenscheider Kunstszene Helmut Pahl, ist es zu verdanken, dass sich die Erbengemeinschaft darauf einigte, den Nachlass als Depositum im Stadtarchiv Lüdenscheid unterzubringen.

Hier wird er zunächst ungeordnet eingelagert um in den nächsten Monaten von den Erben inventarisiert zu werden. Er ist dann – nach den Vorschriften des Archivgesetzes – für die Forschung und interessierte Öffentlichkeit nutzbar – womit die Erinnerung an die Eheleute Schaller in Lüdenscheid wach gehalten werden wird.

Auch die Hinterlassenschaften vermeintlich weniger bedeutsamer Lüdenscheider Bürger können übrigens für das Stadtarchiv sehr interessant sein. Dies gilt auch für die Unterlagen aus dem Arbeits- und Geschäftsleben, von Firmen und Fabriken. Wer auf Keller oder Dachboden \“alte Schätzchen\“ entdeckt, für die man selbst keine Verwendung mehr hat – oder die einem so sehr am Herzen liegen, dass man sie im klimatisierten Magazin des Stadtarchivs vor dem Zahn der Zeit geschützt aufgehoben wissen möchte, kann sich jederzeit gern an die Mitarbeiter des Stadtarchivs wenden. 

Auch persönliche oder vertrauliche Unterlagen sind im Archiv gut aufgehoben. Schon das Archivgesetz sieht Sperrfristen vor, während derer niemand entsprechende Unterlagen einsehen kann. Diese können auch individuell angepasst werden. Erst wenn der nötige zeitliche Abstand eingetreten ist, ist schließlich ernsthafte geschichtswissenschaftliche Arbeit möglich. Auch dazu gibt es im Stadtarchiv nähere Informationen. 

Kontakt:
Stadtarchiv Lüdenscheid
Kerksigstr. 4
58511 Lüdenscheid
Telefon: 02351/17-1388
Telefax: 02351/17-1310
stadtarchiv@luedenscheid.de

Quelle: Stadtarchiv aktuell, Pressemitteilung der Stadt Lüdenscheid, 10.8.2006 

Ehrenamt in Gütersloh hoch im Kurs

Ohne das große Engagement zahlreicher ehrenamtlicher Kräfte würde die Arbeit im Stadtarchiv Gütersloh sicher nicht immer so problemlos verlaufen. Ihnen ist es zu verdanken, dass viele Dinge, die sonst liegen blieben, erledigt werden. Archivleiter Stephan Grimm ist froh über diese tatkräftige Unterstützung. Er kann zum Beispiel auf einen Computerfachmann zählen, der nicht nur Eingabe- und Suchmasken erstellt, sondern sich auch um die Archivprogramme und die Datenbanken kümmert. Ein Hobbyfotograf ist zuständig für das Reproduzieren von Fotos und für das Fotografieren lohnenswerter Motive im Stadtbereich. Außerdem kennen sich beide als ehemalige Eisenbahner bestens mit der Geschichte der beiden Gütersloher Bahnhöfe aus.

Aber auch Arbeiten in der Werkstatt des Archivs, wie Abstauben, Zurechtschneiden und Bügeln von Akten werden gerne übernommen. Ständiger Pflege bedarf darüber hinaus auch das umfangreiche Zeitungsarchiv, nach dem große Nachfrage herrscht. Mit Hilfe der Eingabe- und Suchmasken können die Zeitungsartikel sogar mit Schlagwörtern versehen werden. Die Betreuung der Pläne und Karten erfolgt ebenfalls durch eine Fachkraft – nämlich eine gelernte Bauzeichnerin.

Kontakt:
Stadtarchiv Gütersloh 
Hohenzollernstr. 30a 
33330 Gütersloh 
Tel.: 05241-822302 
Fax: 05241-822032 
stephan.grimm@gt-net.de

Quelle: Die Glocke, 10.8.2006

Gerichtsprotokolle und Unterpfandbuch für Vaihinger Stadtarchiv

Die Stadt Vaihingen an der Enz, die sich aus neun Stadtteilen zusammensetzt, sammelt sämtliche historische Dokumente aus den einzelnen Ortsarchiven in ihrem Stadtarchiv. Archivleiter Lothar Behr muss aber immer wieder feststellen, dass die Quellenlage zu den einzelnen Orten teilweise ziemlich lückenhaft ist. Dieses trifft vor allem für den Ort Enzweihingen zu. Dieses ist unter anderem auf die umfangreiche Aussonderung und Vernichtung wichtiger Unterlagen ohne Rücksicht auf bestimmte Aufbewahrungsfristen zurückzuführen. Laut Behr spielte hierbei die Nähe des Enzweihinger Rathauses zur Papiermühle am Strudelbach eine große Rolle, so dass viele alte Bücher und Akten dort zu neuem Papier recycelt wurden. Des weiteren wurden bei einem Brand im Enzweihinger Rathaus im Jahre 1978 wichtige Unterlagen ein Raub der Flammen.

Deshalb bezeichnete es Lothar Behr auch als einen großen Glücksfall, dass ihm nun das Unterpfandbuch aus dem 18. Jahrhundert und die Gerichtsprotokolle aus dem 19. Jahrhundert von einem Enzweihinger Bürger übergeben wurden. Das Unterpfandbuch, in dem alle aufgenommenen Hypotheken verzeichnet sind, beginnt 1786 und endet 1801. Die Gerichtsprotokolle beziehen sich auf die Jahre 1817 bis 1819. In ihm sind sämtliche Verhandlungen und Beschlüsse des Enzweihinger Magistrats protokolliert. Verhandelt wurde nicht nur über die Besetzung einzelner Ämter, sondern die Richter hatten auch über Handgreiflichkeiten, Vormundschaften sowie über die Bewässerung von Wiesen zu entscheiden. 

Kontakt:
Stadtarchiv Vaihingen an der Enz
Spitalstr. 8
71665 Vaihingen an der Enz
Fon: (07042) 98100
Fax: (07042) 18200
stadtvaih@aol.com
www.Vaihingen.de

Quelle: Rüdiger Marggraf, Bietigheimer Zeitung, Boennigheimer Zeitung, 9.8.2006

Schriftstellerkreis übergibt Akten ans Kreisarchiv Stormarn

Der langjährige Sprecher des Stormarner Schriftstellerkreises Joachim Wergin übergab acht Aktenordner des Stormarner Schriftstellerkreises an den Leiter des Stormarner Kreisarchivs, Dr. Johannes Spallek, der sich über die wichtige neue Dokumentation freute. 

In den Aktenordnern ist weitgehend chronologisch geordnet in Zeitungsausschnitten, verschiedenen Korrespondenzen, Einladungen und Material über Lesungen das vielfältige Aktionsprogramm des Stormarner Schriftstellerkreises dokumentarisch seit 1949 eingefangen. Die Sammlung wurde von den jeweiligen Sprechern des Stormarner Schriftstellerkreises oder von einzelnen Mitgliedern im Auftrage der Sprecher angelegt. Zwei Ordner enthalten die Biografien mit Angaben zu verschiedenen Arbeiten von Mitgliedern, akribisch angelegt von Erich Katschke aus Reinfeld, der Mitglied des Stormarner Schriftstellerkreises war und langjähriger Museumsleiter des städtischen Reinfelder Museums. 

Der Stormarner Schriftstellerkreis wurde am 9. Juni 1948 begründet: „Der drückenden materiellen Not der Zeit nicht nachgeben, sondern auf geistiger Ebene eine Brücke schlagen zu den ideellen Werten des Lebens“, so die Motivation der Gründungsväter. Der Trittauer Cäsar Jörß hatte alle im Kreis Stormarn wohnenden Schriftsteller eingeladen „zwecks gegenseitigen Kennenlernens“ ins Hotel Deutsches Haus nach Bad Oldesloe. Mitglieder der ersten Stunde waren Martin Kihl aus Reinfeld, Pastor Martin Clasen, Reinfeld, Durt Plessing, Rümpel und Heinrich Gahl aus Reinfeld.

In den ersten Jahrzehnten hat der Stormarner Schriftstellerkreis in erster Linie dem internen Gedanken- und Erfahrungsaustausch gedient. Erst 1974 trat er zum ersten Mal mit einer öffentlichen Lesung in Stormarn auf. Seitdem sucht er auch die Öffentlichkeit. Hiervon zeugen auch die Buchveröffentlichungen, die der Schriftstellerkreis herausgab. Dazu zählen zwei Anthologien „Schwanenfedern“ und die Bände mit Erzählungen und Lyrik „Auf dem Weg zu Matthias Claudius“ zum 250. Geburtstag des Dichters im Jahre 1990 und der Sammelband „Dieses Land Stormarn“, die im M+K Hansa Verlag, Hamburg, erschienen. Heute zählt der Stormarner Schriftstellerkreis 21 Mitglieder, die sich regelmäßig monatlich zum konstruktiven Gedankenaustausch treffen.

Kontakt:
Kreisarchiv Stormarn
Mommsenstr. 14
23843 Bad Oldesloe
Fon: (04531) 160-691
Fax: (04531) 160-536
kreisarchiv@kreis-stormarn.de
www.kreisarchiv-stormarn.de

Quelle: Pressemeldung Kreis Stormarn, 8.8.2006

Senator-Caesar-Straße erinnert an Bremer Archivar

Die Senator-Caesar-Straße in Bremen-Schwachhausen wurde benannt nach Gerhard Caesar, der von 1792 bis 1874 in Bremen lebte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften, das er mit der Promotion abschloss, begab sich Caesar auf eine zweijährige Bildungsreise, die ihn außer durch ganz Deutschland nach Italien, Frankreich, Holland und der Schweiz führte. Im Anschluss daran war er ab 1818 in Bremen als Jurist tätig.

Im Jahre 1825 erfolgte durch den Bremer Senat seine Ernennung zum Leiter des Staatsarchivs. Sieben Jahre später, 1832, war er dann selbst Senator bis zum Jahre 1849 und danach bis 1864 Präsident des Richterkollegiums. Das Haus, das er im Jahre 1836 am Domhof 21 erworben hatte, wurde viele Jahre lang als Caesarsches Haus bezeichnet. Obwohl es seit 1917 unter Denkmalschutz stand, wurde es 1956 auf Beschluss der Baudeputation aufgrund seiner starken Beschädigung im Zweiten Weltkrieg abgebrochen. Einige Reste der Landschaftstapete befinden sich heute im Focke-Museum.

Desweiteren gehörte Gerhard Caesar ein Landgut in Oberneuland, das er 1843 gekauft hatte. Da dieses Gut später in den Besitz der Familie Ichon überging, wird es allgemein als Landgut Ichon bezeichnet. Zu den Vorbesitzern des Landgutes gehörte die Familie Post. Der Besitzer Simon Hermann Post  (1724-1808) war nicht nur ebenfalls Jurist wie Gerhard Caesar, sondern auch seit 1753 als Archivar tätig. Der erste Bremer Archivar Hermann Post hatte dieses Amt im Jahre 1727 übernommen und sah es als seine Hauptaufgabe an, die weit verstreuten Aktenbestände des Senats zu ordnen. Hundert Jahre später, im Jahre 1826, veranlasste Gerhard Caesar die Unterbringung der bis dahin im Rathaus gelagerten Akten im Stadthaus. Da dieses jedoch 1909 abgerissen wurde, kam das Staatsarchiv vorübergehend an die Tiefer. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Teile des Bestandes nach Brinkum, Rethem und Königsberg ausgelagert. Bevor dann im Jahre 1968 der Neubau am Fedelhören bezogen wurde, war das Archiv nach Ende des Krieges zunächst in einem Bunker Am Dobben untergebracht.

Kontakt:
Staatsarchiv Bremen
Am Staatsarchiv 1
28203 Bremen
Fon: (0421) 361-6221 
Fax: (0421) 361-10247
zentrale@staatsarchiv.bremen.de

Quelle:  Thomas Kuzaj, Verlagsgruppe Kreiszeitung, 8.8.2006

Millionraub aus russischem Staatsarchiv

Vor einer Woche wurde bekannt, dass mehr als 220 Kunstwerke im Gesamtwert von rund vier Millionen Euro aus den Beständen der Eremitage in St. Petersburg gestohlen wurden. Nun teilte die russische Kulturorganisation Rosochrankultura in Moskau mit, dass auch aus dem russischen Staatsarchiv für Literatur und Kunst Zeichnungen im Wert von mehreren Millionen Euro verschwunden sind. Es handelt sich bei der Diebesbeute um Bilder des russischen Architekten Jakow Tschernichow (1889-1951). Tschernichow ist für seine architekonischen Graphiken aus den 1920er und 1930er Jahren berühmt. Die Arbeiten enthalten Elemente des Konstruktivismus, Rationalismus, Suprematismus und Expressionismus. Das gesamte schöpferische Werk umfasst mehr als 50 theoretische Arbeiten und über 17.000 graphische Kompositionen und Entwürfe.

Die genaue Anzahl der nunmehr gestohlenen Zeichnungen ist noch nicht bekannt. Bisher sollen aber bereits 274 Stücke im Wert von wahrscheinlich einer Million Euro auf russischen Antikmärkten sichergestellt worden sein. Sie wurden über Monate hinweg aus dem Russischen Staatlichen Archiv für Literatur und Kunst entwendet. Die Diebstähle fielen auf, nachdem neun vermisste Zeichnungen im Juni vom britischen Auktionshaus Christie\’s versteigert wurden. 

Niedrige Gehälter der Mitarbeiter und veraltete Sicherheitssysteme sorgen immer wieder für Diebstähle unter den Angestellten der chronisch unterfinanzierten Museen Russlands.

Quelle: ORF, 8.8.2006; RIA / russland.RU.

Auf Schritt und Tritt Geschichte und Geschichten in Stralsund

Hansestadt Stralsund? Vorpommern? Wer es bisher noch nicht kannte, hat zumindest mit dem Besuch des US-Präsidenten Bush davon gehört. Für Bundeskanzlerin Merkel ist es sogar das schönste Fleckchen Erde, zumindest in Deutschland. Wo sie Recht hat, hat sie Recht, denn hier kann der Besucher auf Schritt und Tritt Geschichte erleben und bekommt auch Geschichten erzählt. Die jüngste ist sicher die von der kurzen Visite des hohen Staatsgastes. Doch ein Stralsunder Stadtrundgang hat mit dem von der UNESCO anerkannten Welterbe jede Menge mehr zu bieten. 

Bis ins 12. Jahrhundert war das Festland vor der Insel Rügen Siedlungsgebiet der slawischen Ranen. Bald nach der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert ließen sich deutsche Siedler aus westlichen Gebieten an der Meerenge des Strelasunds nieder und am 31. Oktober 1234 verlieh der Rügensche Fürst Wizlaw I. dem Ort Stralow das Stadtrecht. Handel, Schiffbau und Schifffahrt prägten in der Folgezeit die sich stetig entwickelnde Stadt. Davon zeugen auch die noch erhaltenen Kirchen, Klöster, das Rathaus und die vielen Bürgerhäuser. 

Beginnen sollte der interessierte Gast seinen Rundgang durch die Stralsunder Altstadt zwischen Knieper- und Frankenteich und dem Strelasund am besten auf dem Alten Markt. In der Tourismuszentrale der Hansestadt kann man noch das aktuellste Material für einen Stadtrundgang erhalten oder sich sogar (empfehlenswert wegen der Geschichten) einer Führung anschließen. Der Alte Markt war um 1200 der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Stadt. Er wurde als \“forum antiquum\“ 1277 erstmals urkundlich erwähnt. Hier trieb man nicht nur Handel, man hielt auch Gericht und stellte an den Pranger. Der Markt zählt heute mit seiner Architektur, die die wechselhafte Geschichte widerspiegelt, zu den schönsten seiner Art im gesamten Ostseeraum. Neben dem sehenswerten, aus Backstein gebauten Rathaus (um 1270 erstmals erwähnt) sieht man hier hansetypische Giebelhäuser (z. B. das Wulflamhaus). Geprägt wird dieses Ensemble von einem wuchtigen Backsteinriesen, der Ratskirche St. Nikolai als Stralsunds ältester Pfarrkirche. 

Lenkt der Tourist seinen Fuß dann in Richtung Fährstraße bis zum Hafen, kommt er an mehreren Gebäuden vorbei, die zu den ältesten der Hansestadt gehören. So stammt der Dachstuhl des Hauses Nr. 31 aus dem Jahre 1331. Die Hoffassade dieses Gebäudes zeigt ebenfalls noch den Originalzustand. Sehenswert auch das Haus in der Fährstraße 17. Es beherbergt eine der ältesten Kneipen Europas, die 1332 als \“taberna apud passagium\“ urkundlich bestätigt ist. Das beliebte Dünnbier des Mittelalters wird hier aber nicht mehr ausgeschenkt. 

Bevor man für eine Pause in diese Kneipe einkehrt, lohnt sich noch ein Abstecher in die Schillstraße. Das Kloster St. Johannis wurde 1254 von Franziskanermönchen gegründet und war zur dieser Zeit die größte Niederlassung des Ordens im südlichen Ostseeraum. Es ist eines der ältesten Bauwerke der Hansestadt und besitzt wertvolle Gewölbe- und Wandmalereien. Mit Kapitelsaal, Kreuzgang, Räucherboden, Barockbibliothek und Rosengarten bietet die Klosteranlage ein herausragendes Kulturerlebnis. Außerdem beherbergt sie das Stralsunder Stadtarchiv, das Auskunft gibt über die wechselvolle Geschichte der gut 770-jährigen Stadt. 

Nach einer Erfrischung in der Kneipe \“Zur Fähre\“ biegt man am besten in die Straße Am Fischmarkt ein und kommt an den Kanälen entlang zum Heilgeisthospital, auch Heilgeistkloster genannt. Es ist das älteste städtische Hospital, in dem ab Mitte des 13. Jahrhunderts Kranke, Alte und Hilfe Suchende Unterkunft fanden. Das Heilgeistkloster war eine Einrichtung der Stadt, kein Kloster. Zum Besitz gehörten um 1340 zum Beispiel die Insel Ummanz und ab 1836 die Insel Hiddensee sowie Dörfer des ganzen Umlandes. Dieser beträchtliche Wohlstand war auch die materielle Grundlage der Mildtätigkeit in diesem Hospital. 

Besuchen sollte man auch die St. Jakobikirche, die in wenigen Minuten über die Heilgeiststraße erreicht wird. 1303 wird dieses Gotteshaus erstmals erwähnt. Es ist wohl die Stralsunder Kirche, die in den Jahrhunderten unter den vielen Kriegen und Unglücken, die über die Hansestadt hereinbrachen, am meisten zu leiden hatte. Während der französischen Besatzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts war sie sogar zum Pferdestall geworden. Der Besucher sollte sich auch in die dritte der großen Pfarrkirchen der Stadt, die riesige St. Marienkirche, begeben. Das Hauptschiff beeindruckt durch seine Größe und Perfektion. Besonders wertvoll ist die dort befindliche Friedrich-Stellwagen-Orgel. Wer bei schönem Wetter den herrlichen Blick über die Stadt, den Strelasund bis nach Rügen und im Osten bis zur Boddenstadt Barth genießen möchte, sollte den Kirchturm besteigen. Der Fußmarsch hoch hinaus lohnt sich. 

Enden könnte der Rundgang durch die Stralsunder Altstadt vielleicht an oder in den beiden großen Museen der Stadt in der Mönchstraße. Das Kulturhistorische Museum widerspiegelt die Stadtgeschichte von den Ursprüngen über die Hansezeit bis zur historischen Gegenwart. Das wohl meistbesuchte Museum Norddeutschlands, das Deutsche Meeresmuseum, gibt in vielfältiger Form Auskunft über Flora und Fauna in den Weltmeeren und zeichnet gleichzeitig die Geschichte der einheimischen Fischerei und des Schiffbaus im Osten nach. 

Noch etliche Stralsunder Geschichten warten darauf, erzählt zu werden. So sind das Burmeisterhaus in der Mönchstraße, das älteste Haus mit Pfeilergiebel in der Mühlenstraße, das Scharfrichterhaus in der Filterstraße, die Stadtmauer, die Stadttore, der Hafen und, und, und … noch zu entdecken. Wichtig ist vor allem eins, man nimmt sich Zeit, um auch Unscheinbares, Überraschendes und viele schöne Details oder romantische Plätze kennen zu lernen. Seit die Hansestadt Stralsund gemeinsam mit der Hansestadt Wismar von der UNESCO in die Liste des Welterbes aufgenommen wurde, steht die Stadt in einer Reihe mit den Pyramiden, mit Athen oder Florenz. 

Links:

Quelle: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, Pressemeldung, 7.8.2006

Ein Leben für die Geschichte Magdeburgs

Am 21. Juli 2006 verstarb nach schwerer Krankheit die frühere langjährige und verdienstvolle Leiterin des Stadtarchivs Magdeburg Ingelore Buchholz. In der Reihe der Magdeburger Stadtarchivare war sie die mit Abstand dienstälteste Inhaberin dieses Amtes. Geboren wurde Ingelore Buchholz am 26. Oktober 1936 in Magdeburg. Ihre Heimatstadt sollte auch der Ort ihres lebenslangen Wirkens werden. Nach dem Abitur studierte sie in den 50er Jahren zunächst Geschichtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. In den 70er Jahren absolvierte sie noch ein Hochschulfernstudium der Archivwissenschaft, das sie als Diplomarchivarin (Wissenschaftliche Archivarin) abgeschlossen hat. Ihre Tätigkeit im Stadtarchiv Magdeburg begann am 1. Februar 1959. Fünf Jahre später wurde sie zu dessen Leiterin ernannt. Bis zum Eintritt in den Ruhestand am 1. November 2001 übte sie das Amt mit großem Engagement aus. Archivarbeit war ihre Berufung und Erfüllung.

Zweifelsohne gehört es zu den Verdiensten von Ingelore Buchholz, das Stadtarchiv Magdeburg, das von seinen Beständen her eines der größten und bedeutendsten in Mitteldeutschland ist, zu einer benutzerorientierten Einrichtung ausgebaut zu haben. Viele Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten hat sie vorangetrieben. Dank ihrer Kenntnis der Bestände und historischen Zusammenhänge hat sie unzählige Wissenschaftler und Heimatforscher bei ihren Recherchen beraten. In ihren letzten beiden Dienstjahren widmete sie sich besonders der Herausgabe einer Bestandsübersicht des Magdeburger Stadtarchivs, für die sie auch noch im Ruhestand tätig war und die im Jahre 2002 erschienen ist. 

Stets mit äußerst widrigen räumlichen Verhältnissen kämpfend, galt ihre Sorge immer der Bestandserhaltung und Sicherung der Überlieferungsbildung. Im Bewusstsein der Notwendigkeit bestandserhaltener Maßnahmen war Ingelore Buchholz eine der ersten Archivare Sachsen-Anhalts, die nach der Wende die Mikroverfilmung historisch wertvoller Bestände gezielt umgesetzt haben. Dadurch werden Akten und die Bände der ab 1717 überlieferten Magdeburgischen Zeitung und des Magdeburger General-Anzeigers vor mechanischer Beanspruchung resp. vor dem Zerfall geschützt, stehen aber gleichzeitig einem großen Kreis von Benutzern zur Einsicht offen. 

Als Stadtarchivarin hat Ingelore Buchholz mit ihren Mitarbeiterinnen mehrere Bücher und viele Artikel zur Magdeburger Stadtgeschichte veröffentlicht. 1975 und 1977 war sie Mitglied des Redaktionskollegiums der 1. und 2. Auflage der \“Geschichte der Stadt Magdeburg\“. Zahllose Themen hat sie bearbeitet, darunter die Straßen und Straßennamen der Magdeburger Altstadt, die Entwicklung des Stadtbildes, das Wirken einzelner Bürgermeister und vieles mehr. Für das 2002 erschienene Magdeburger Biographische Lexikon des 19. und 20. Jahrhunderts schrieb sie mehrere Beiträge.

Mit dem Eintritt in den Ruhestand beendete sie ihre stadtgeschichtliche Forschungs- und Publikationstätigkeit keineswegs. So arbeitete sie in Vorbereitung des 1200-jährigen Stadtjubiläums aktiv im Arbeitskreis \“Stadtgeschichte\“ mit und veröffentlichte in dem 2005 von der Landeshauptstadt Magdeburg herausgegebenen Werk "Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805-2005" Artikel zum Leben in der Festungsstadt Magdeburg und zur wirtschaftlichen Entwicklung Magdeburgs unter der Herrschaft Brandenburg-Preußens. Zusammen mit ihrem Ehemann Dr. Jürgen Buchholz verfasste sie im Auftrag des Stadtplanungsamtes eine Publikation zur Geschichte der Magdeburger Elbbrücken. Zuletzt, schon von ihrer schweren Krankheit gezeichnet, beschäftigte sie sich mit Arbeiten für ein Kartenwerk unter dem Titel \“Magdeburg in Ansichten, Karten und Plänen\“, das 2006/07 vom Fachdienst Geodienste (ehemals Vermessungsamt) der Landeshauptstadt Magdeburg herausgegeben wird.

Ingelore Buchholz war Mitglied mehrerer Vereine und Gesellschaften. Viele Jahre arbeitete sie zum Beispiel in der von dem späteren Ehrenbürger Heinz Gerling geleiteten AG \“Denkmalpflege\“ der Stadt, später im Vorstand der Magdeburgischen Gesellschaft von 1990 und im Kuratorium \“1200 Jahre Magdeburg\“ aktiv mit. Neben ihrer Tätigkeit als Archivleiterin und Historikerin hat sich Ingelore Buchholz mit gleicher Intensität für die Interessen ihres Berufsstandes und die Förderung der Aus- und Weiterbildung des Nachwuchses eingesetzt. Zu DDR-Zeiten leitete sie eine Arbeitsgemeinschaft von Betriebsarchivaren. Stets hatte sie ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Berufskolleginnen und -kollegen. 1990 war sie Vorsitzende des neu gegründeten Verbandes der Archivare der DDR. 

Nach der Wiedervereinigung wurde sie zur Vorsitzenden des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Vereins deutscher Archivare gewählt. Diese Funktion übte sie bis April 2002 aus. Maßgeblich durch ihre Initiative sowie ihre organisatorische und inhaltliche Vorbereitung findet seit 1990 jährlich ein Archivtag des Landes statt, der sich anfangs jeweils besonders mit Problemen der ostdeutschen Archivare beschäftigte. Als Mitglied der Bundeskonferenz der Kommunalarchivare beim Deutschen Städtetag (BKK) hat Ingelore Buchholz vor einem Gremium ausgesuchter Archivare nicht nur archivfachliche Fragen zur Sprache gebracht und vorangetrieben, sondern auch dafür Sorge getragen, dass jährlich eine Weiterbildungsveranstaltung der BKK auf dem Gebiet der neuen Bundesländer stattfand.

Dank ihres Wissens und Einsatzes wurde sie von den Berufskolleginnen und -kollegen sehr geschätzt. Ihren ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Stadtarchiv Magdeburg wird sie darüber hinaus durch ihr uneigennütziges, bescheidenes Wesen, ihre große Hilfsbereitschaft und ihr freundliches Auftreten in Erinnerung bleiben.

Kontakt:
Stadtarchiv Magdeburg
Fachdienstleiterin Dr. Maren Ballerstedt
Bei der Hauptwache 4
39104 Magdeburg
Telefon: 0391/ 5 40 25 15
archiv@magdeburg.de

Quelle: Maren Ballerstedt: Nachruf Ingelore Buchholz, Presseinformationen der Landeshauptstadt Magdeburg, 7.8.2006

Korbacher Conti-Werksarchiv sichert 100-jährige Unternehmensgeschichte

Die Continental AG (\“Conti\“) ist einer der größten Reifenhersteller der Welt. Das Unternehmen wurde 1871 in Hannover unter dem Namen Continental-Caoutchouc- & Gutta-Percha Compagnie gegründet. 1892 begann die Conti als erste Firma in Deutschland mit der Produktion von Fahrrad-Luftreifen, 1898 von profillosen Automobilreifen und 1904 von Profilreifen. Das Conti- Werk in Korbach wurde 1907 mit 180 Mitarbeitern als Zweig der Mitteldeutschen Gummiwarenfabrik Louis Peter AG, Frankfurt am Main, gegründet. Gefertigt wurden damals Fahrradreifen, Vollgummireifen und technische Gummiartikel. 1929 erfolgte die Fusion der Louis Peter AG mit der Continental AG in Hannover. Mit der Fusion wurde die Produktionspalette in Korbach auf Fahrradreifen reduziert; im Krieg erst wurde die Produktion von Vollgummireifen als Massivreifen für Lkw wieder aufgenommen. Zwei große Meilensteine in der Geschichte des Werks waren der Start der Pkw-Diagonalreifen-Produktion 1954 und der Start der Pkw-Radialreifen-Produktion im Jahr 1966.

Das Werksarchiv im Dachgeschoss des 1910 eingeweihten Gebäudes des Continental-Werks Korbach ist klein. Doch es bewahrt Zeugnisse der 100-jährigen Unternehmensgeschichte am Standort auf – von den Anfängen des Gummi-Werke-Gründers Louis Peter bis zur modernsten Technologie aus dem Hause Continental und Contitech der Gegenwart. Herr über die Fotos, Filme, Zeichnungen, Lagepläne, Zeitungsausschnitte, Prospekte, Bücher und Akten ist Peter Knorr. Der 82-Jährige Diplom-Ingenieur kümmert sich seit seiner Pensionierung im Jahr 1983 um das Archiv, das er im ehemaligen Ausbildungsraum aufgebaut hat. 

Seit 1992 wird Knorr bei der ehrenamtlichen Archivarbeit von Thomas Götze unterstützt. Der 45-jährige Hobbyfotograf ist bei der Conti in Korbach als Gärtner beschäftigt. Mehr als 1.000 Fotos hat er vom Werk bereits selbst gemacht; die Zahl der insgesamt archivierten Fotodokumente in Papierform liegt bei mehr als 2.000. Peter Knorr, der als ehemaliger Werksangehöriger nicht nur das Conti-Archiv aufbaute, sondern auch im ebenfalls ehrenamtlich betreuten Stadtarchiv Korbach mitarbeitet, gab 1991 zu den Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag des Firmengründers die Schrift \“Louis Peter – sein Leben und Werk\“ heraus. Die beiden Werksarchivare hoffen auf zusätzliche Unterstützung bei der Sicherung des Gedächtnisses des Unternehmens.

Kontakt:
ContiTech Schlauch GmbH 
Continentalstraße 3-5
34497 Korbach 
Tel.: 05631/581638
Fax: 05631/581273 

Quelle: Andreas Hermann, HNA online, 6.8.2006