Das Archiv der außergewöhnlichen Phänomene in Freiburg: Ein noch unbekanntes Wissenschaftsarchiv sucht interessierte Nutzerinnen und Nutzer

Noch weithin unbekannt in der Welt der wissenschaftlichen Forschung ist ein Spezialarchiv, das sich seit einigen Jahren die Überlieferung außergewöhnlicher menschlicher Erfahrungen, parapsychologischer Phänomene sowie so genannter „Anomalien“ zur Aufgabe gemacht hat: Das Archiv des 1950 in Freiburg gegründeten Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (kurz: IGPP).

Das Freiburger Institut bewahrt in der Hauptsache die im Rahmen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit anfallenden Materialien und Unterlagen auf, um diese längerfristig zu sichern und zukünftigen Forschungsprojekten zugänglich machen zu können. Im IGPP-Archiv liegen demzufolge vielfältige Bestände zu allen Formen außergewöhnlicher Erfahrungen vor, insbesondere zu den Bereichen \“Außersinnliche Wahrnehmung (ASW)“ (Themen wie Telepathie, Hellsehen oder Präkognition) und \“Psychokinese (PK)\“ (die rein mentale Beeinflussung biologischer oder physikalischer Systeme). Zudem sind zahlreiche Aspekte aus den Grenzgebieten der Psychologie sowie der Anthropologie (beispielsweise Astrologie, Esoterik, „Uri-Geller-Manie“, unorthodoxe Heilverfahren, Jugendszenen, Nahtodforschung, Okkultismus und Okkultkriminalität, Phänomene im religiösen Kontext, Traumforschung, UFO-Forschung, Wunder und Wunderheilungen u.v.a.m.) ausführlich dokumentiert. Umfängliches Aktenmaterial bietet Einblicke in die komplexen Strukturen so genannter Spuk-Fälle. Weiterhin lassen sich im Archiv unzählige Schilderungen von „Spontanphänomenen“, d.h. Berichten aus Bevölkerung über außergewöhnliche Erfahrungen, finden.

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Mit diesem speziellen Archivierungs- und Sammlungsprofil deckt das IGPP-Archiv Bereiche menschlicher Erfahrungen ab, die in der Regel nur wenig in der Überlieferungsbildung berücksichtigt werden. Insofern nimmt das Archiv eine einzigartige Position nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Wissenschaftslandschaft ein. Innerhalb des Gesamtinstituts ist das IGPP-Archiv im \“Servicebereich: Bibliothek/Archiv\“ verortet und wird nach den bestehenden personellen Möglichkeiten sukzessive aufgebaut. Die Nutzung des Archivs ist auf Anfrage und nur für wissenschaftliche Zwecke im Rahmen der gängigen Archivgesetze möglich.

Die chronologisch recht jungen Bestände setzen sich aus drei großen Schwerpunktbereichen zusammen: Zum einen verfügt das Archiv über eine ganze Reihe von Nachlässen bzw. Teilnachlässen bedeutender Persönlichkeiten aus der Wissenschaftsgeschichte der deutschen bzw. der europäischen Parapsychologie sowie von Personen, die mit der Institutsarbeit in enger Verbindung standen. Diese Nachlass-Sammlungen gehen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und beinhalten die Dokumente von Forschern wie Louis Darget (1847-1921), Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929), Fanny Moser (1872-1953), Albert Hellwig (1880-1951), Hans Bender (1907-1991) oder Johannes Mischo (1930-2001). Einen zweiten großen Block bilden die umfangreichen Materialien der seit 1950 laufenden Institutsarbeit, wobei sich hier die unterschiedlichsten Bestandsformen (Schriftgut zu Forschungsprojekten, Korrespondenzen, Fotografien, Tonbandaufnahmen, Filmaufnahmen) zu den oben genannten Themen ergänzen. Den dritten Bereich bilden verschiedene Sammlungsbestände aus dem Bereich der Wissenschaft und der Publizistik, etwa umfangreiche Pressesammlungen sowie Sammlungen von universitären Abschlussarbeiten und Projektberichten.

Nachdem die Existenz des IGPP-Archivs lange Zeit weitgehend unbekannt war, werden die Sammlungen in den letzten Jahren sowohl von Institutsmitarbeiter/innen als auch von externen Wissenschaftler/innen verstärkt für Forschungsarbeiten und Studien herangezogen. Hier kam zuletzt vor allem dem Bereich der Foto- und Kunstgeschichte eine größere Bedeutung zu (siehe nachfolgende Literaturauswahl). 

Seitens des IGPP wird angestrebt, die seriöse wissenschaftliche Nutzung des IGPP-Archivs zu intensivieren. Historische Teildisziplinen wie etwa Kulturgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Medizingeschichte, Psychologiegeschichte oder Wissenschaftsgeschichte könnten von den Beständen des IGPP-Archivs ebenso profitieren wie kultur-, kunst- oder literaturwissenschaftliche Fachrichtungen.

Kontakt:
Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.
-Institutsarchiv-
Uwe Schellinger
Willhelmstraße 3a
79098 Freiburg
0761/20721-61
schellinger@igpp.de
http://www.igpp.de

Literatur zum Forschungs- und Sammlungsgebiet des IGPP: 

  • EBERHARD BAUER: Hans Bender und die Gründung des „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V., in: Jochen Fahrenberg/Reiner Stegie/Eberhard Bauer (Hrsg.): Psychologiegeschichte – Beziehungen zu Philosophie und Grenzgebieten, München-Wien 1998, 461-476.
    ANDREAS FISCHER: Die „fotografische Rekonstruktion“ von Spuk durch Hans Bender und Leif Geiges, in: Momente. Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg 2/2005, 19-21.
  • NILS FREYTAG: Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815-1918), Berlin 2002.
  • ALEXANDER C.T. GEPPERT/ANDREA BRAIDT: Moderne Magie: Orte des Okkulten und die Epistemologie des Übersinnlichen, 1880-1930, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 13 (2004) Nr.4, 7-36.
  • ULRICH LINSE: Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter, Frankfurt/M. 1996.
  • PRISKA PYTLIK: Okkultismus und Moderne. Ein kulturhistorisches Phänomen und seine Bedeutung für die Literatur um 1900, Paderborn u.a. 2005.
  • DIETHARD SAWICKI: Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770-1900, Paderborn u.a. 2002.
  • CORINNA TREITEL: A Science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern, Baltimore-London 2004.
  • UWE SCHELLINGER: Das Archiv des „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.\“ in Freiburg: Prämissen, Probleme und Perspektiven, in: Forum Qualitative Sozialforschung [Online-Journal] 1 (2000) Nr. 3 [42 Absätze]. Internet: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/3-00/3-00schellinger-d.htm

Titel, die durch Nutzung von IGPP-Material erarbeitet wurden (Auswahl): 

  • GEERTJE ANDRESEN: Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin Oda Schottmüller 1905-1943, Berlin 2005.
  • EBERHARD BAUER: Ein noch nicht publizierter Brief Sigmund Freuds an Fanny Moser über Okkultismus und Mesmerismus, in: Freiburger Universitätsblätter 25 (1986) 93-110.
  • EBERHARD BAUER: Jean Gebser, Hans Bender und die Gründungsjahre des „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“, in: Beiträge zur Integralen Weltsicht 29 (2005) 57-79. 
  • JOHANNES BILSTEIN/MATTHIAS WINZEN (Hrsg.): Seele – Konstruktionen des Innerlichen in der Kunst (Ausstellungskatalog Staatliche Kunsthalle Baden-Baden), Nürnberg 2004 (Fritz Emslander über Louis Darget, 56-57 und Albert von Schrenck-Notzing, 62-65).
  • GEROLD BLÜMLE/NILS GOLDSCHMIDT: Robert Liefmann – Querdenker und Regimeopfer, in: Nils Goldschmidt (Hrsg.), Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand, Tübingen 2005, 147-175.
  • CLEMENT CHÉROUX/ANDREAS FISCHER (Hrsg.): The Perfect Medium. Photography and the Occult, New Haven-London 2005, 217-233.
  • ANDREAS FISCHER: Ein Nachtgebiet der Fotografie, in: Schirn-Kunsthalle Frankfurt (Hrsg.): Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915, Ostfildern 1995, 503-545.
  • ANDREAS FISCHER: \“Okkulte Fotografie\“, in: Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach & Kunsthalle Krems & Fotomuseum Winterthur (Hrsg.): Im Reich der Phantome. Fotografie des Unsichtbaren, Ostfildern 1997, 27-103.
  • MARTIN FRENK: Rudolf und Julius Seiler. Heilkundige mit trancemedialen Fähigkeiten, in: ders.: Riedprofile. 15 Porträts aus dem Ried, Allmannsweier 2004, 98-124.
  • FRANK-RUTGER HAUSMANN: Art. „Bei der weiblichen Jugend ist alles möglich.“ Konversion statt Karriere: Geistige Hingabe und mediale Veranlagung im Umfeld Edmund Husserls, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.9.2005, 42.
  • FRANK-RUTGER HAUSMANN: Art. „Natürlich liegt Troja in Tirol“. Was Nostradamus von Hitler wissen wollte: Karl Ernst Kraffts astrologische Gutachten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.10.2005, 44.
  • FRANK-RUTGER HAUSMANN: Hans Bender (1907-1991) und das ,Institut für Psychologie und klinische Psychologie\‘ an der Reichsuniversität Straßburg 1941-1944 [2006, im Druck].
  • JANNE MORAGIANNIS: Parapsychologie an der „Reichsuniversität Straßburg“. Hans Bender und die grenzwissenschaftliche Abteilung am „Institut für Psychologie und Klinische Psychologie“, 1941-1944, in: Le Détour. Revue des Sciences Humaines – Europes NF 1 (2003) 155-176.
  • CLEMENS RUTHNER: GeisterBahnen, in: Oberösterreichische Landesmuseen/Peter Assmann (Hrsg.): Andererseits: Die Phantastik. Imaginäre Welten in Kunst und Alltagskultur. Ausstellungskatalog Oberösterreichische Landesmuseen, Wien 2003, 291-312.
  • UWE SCHELLINGER: Faszinosum, Filou und Forschungsobjekt: Das erstaunliche Leben des Hellsehers Ludwig Kahn (1873 – ca.1966), in: Die Ortenau. Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 82 (2002) 429-468.
  • UWE SCHELLINGER/GERHARD MAYER: Webers Hände. Wirken und Wirkungen des „Wunderheilers von Schutterwald“, in: Die Ortenau. Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 86 (2006) [im Druck].
  • WILFRIED SEIPEL/BARBARA STEFFEN/CHRISTOPH VITALI (Hrsg.): Francis Bacon und die Bildtradition. Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien / Foundation Beyeler Riehen/Basel, Mailand 2004, 23-41 (Barbara Steffen), 85-103 (Margarita Cappock), 133-145 (Barbara Steffen).
  • DANIEL TYRADELLIS: Der Kosmos. Die neue Wahrnehmung des Menschen, in: Lepp, Nicola/Roth, Martin/Vogel, Klaus (Hrsg.): Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhundert. Katalog zur Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden vom 22. April bis 8. August 1999, Ostfildern 1999, 107-203.
  • CHRISTINE WALTER: Experimente mit weiblichen Medien in der Parapsychologie um 1900. Ausdruck unterwürfiger Weiblichkeit oder gezielte Abwendung von einem (männlich) inszenierten Frauenbild? Die Fotografie als Instrument wissenschaftlicher Beweiskraft und zugleich Dokument eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins, in: Marcel Finke/Barbara Lange (Hrsg.): Internetpublikation zum 4. Leipziger Fotografie-Workshop (2004). Internet: http://www.uni-leipzig.de/~divers/workshop/text_walter.pdf.
  • CHRISTINE WALTER: Die Materialisationsphänomene des Albert Freiherr von Schrenck-Notzing: Zum Umgang mit dem Unbekannten in der Fotografie nach 1900, in: Susanne H. Kolter/Barbara Stempel/Christine Walter (Hg.): Forschung 107 (Kulturwissenschaftliche Studien 1), München 2004, 189-225.
  • HEATHER WOLFFRAM: Parapsychologists in the Gerichtssaal during the Weimarer Republic, in: Stephan Atzert/Andrew G. Bonnel (Hrsg.): Europe´s Pasts and Presents: Proceedings of the XIVth Biennial Conference of the Australasian Association for European History (Brisbane, Australia, 7.-11.7.2003), Unley 2004, 89-99.
  • HEATHER WOLFFRAM: On the Borders of Science: Psychical Research and Parapsychology in Germany, c. 1870-1939, Dissertation University of Queensland 2005.
  • MORITZ WULLEN: Wege und Strahlen – Wege ins Licht, Nationalgalerie Berlin (Hg.): Das XX. Jahrhundert: ein Jahrhundert Kunst in Deutschland (Altes Museum Berlin; Neue Nationalgalerie Berlin; Hamburger Bahnhof Berlin), Berlin 1999, 205-214.

Abb.: Schaufenster ins Archiv 06-06: TOGO IST WELTMEISTER! (Foto: IGPP)

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