An der Universität Heidelberg hatte Professor Christian Mayer SJ die ersten Lehrstühle für Experimentalphysik und Astronomie inne und leitete das erste physikalische Kabinett – Würdigung seiner vielseitigen wissenschaftlichen und pädagogischen Tätigkeit Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch eine klare Abgrenzung zwischen Forschung und Lehre, eine Abgrenzung, die am deutlichsten in der Verschiedenheit der Aufgaben der Universitäten und der Akademien der Wissenschaften zum Ausdruck kam. Nach der Bemerkung Albrecht von Hallers waren erstere \“zur Belehrung der Jugend\“, die zweiten \“zum Erfinden\“ da. Die Synthese beziehungsweise die Einheit von Forschung und Lehre, eines der Leitprinzipien des modernen Universitäts- und Wissenschaftsbetriebs, kann in Bezug auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts somit nicht anhand der Geschichte einzelner Institutionen oder Einrichtungen wie den Universitäten und den Akademien der Wissenschaften untersucht werden. Nur eine Studie über jene Wissenschaftler, die in dieser Zeit sowohl als Gelehrte als auch als Universitätsprofessoren wirkten, kann den Zusammenhang von Forschung und Lehre aufzeigen und analysieren. In den Kreis dieser Wissenschaftler gehörte auch der bedeutendste Naturwissenschaftler der Universität Heidelberg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Christian Mayer SJ (1719-1783).
Die von dem emeritierten Heidelberger Historiker Prof. Dr. Eike Wolgast betreute Dissertation ist die erstmalige Würdigung der vielseitigen wissenschaftlichen und pädagogischen Tätigkeit Christian Mayers. An der Universität Heidelberg hatte er die ersten Lehrstühle für Experimentalphysik und Astronomie inne und leitete das erste physikalische Kabinett sowie die erste Naturaliensammlung der Universität. Zu seinen Verdiensten gehört die Errichtung der Sternwarten in Schwetzingen und in Mannheim auf Kosten des kurpfälzischen Kurfürsten Karl Theodors, die wegen der Heranziehung Heidelberger Studenten und Dozenten zu den astronomischen Beobachtungen auch die ersten Universitätssternwarten genannt werden können.
Als erster Forscher bewies der Mannheimer Hofastronom Christian Mayer, dass Doppelsterne nicht nur ein rein optisches Phänomen waren, sondern dass es Systeme von aufeinander bezogene und physikalisch zusammengehörige Sterne bzw. \“Fixsterntrabanten\“ gab. Nicht der Astronom Wilhelm Herschel, dem heute vor allem das Verdienst zugeschrieben wird, die Doppelsterne beobachtet und verzeichnet zu haben, sondern Christian Mayer war der Bahnbrecher auf dem Gebiet der Doppelsterne, deren ersten modernen Katalog er veröffentlichte. Als erster auch erstellte er geographisch genaue Karten der Kurpfalz \“Basis Palatina\“ und \“Charta Palatina\“.
Als einer der ersten Wissenschaftler beobachtete Mayer den 1781 entdeckten Planeten Uranus und nahm als einziger Gelehrter seiner Zeit an allen drei internationalen naturwissenschaftlichen Projekten des 18. Jahrhunderts teil: am europäischen Kartierungsprojekt von César François Cassini de Thury, am Projekt der Beobachtung des Venusdurchganges von 1761 in Schwetzingen und 1769 in Sankt Petersburg und am Aufbau des ersten internationalen meteorologischen Netzwerkes \“Societas Meteorologica Palatina\“.
Im Auftrag des kurpfälzischen Kurfürsten erarbeitete Mayer das Projekt zur besseren Wasserversorgung der Stadt Mannheim. Im Auftrag der Petersburger Akademie der Wissenschaften entwickelte er eine Methode zur schnellen, genauen und kostengünstigen Kartierung des Russischen Reiches.
Der mehrmalige Rektor der Universität Heidelberg und Dekan der Philosophischen Fakultät Christian Mayer stiftete testamentarisch das einzige Stipendium im 18. Jahrhundert für bedürftige katholische Studierende.
Mayer genoss großes Ansehen in der Gelehrtenrepublik, und die Akademien der Wissenschaften und Gelehrtengesellschaften von Bologna, Düsseldorf, Göttingen, Halle, London, Mannheim, München und Philadelphia zählten ihn zu ihren Mitgliedern. Zu den Korrespondenten Mayers gehörten Johann und Daniel Bernoulli, Sebastiano Canterzani, Jean Nicolas Delisle, Johann Albrecht Euler, Jean Henri Samuel Formey, Joseph Jérôme Lefrançais de Lalande, Andreas Lexell, Nevil Maskelyne und andere.
Trotz der überragenden Bedeutung Mayers für die Geschichte der Naturwissenschaften und die Geschichte der Heidelberger Universität fehlte bislang eine auf Quellen und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Untersuchung seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit. Dies lässt sich zum einen durch einen erschwerten Zugang zu den Quellen erklären, denn Mayers Archiv verbrannte im Jahre 1776 vollständig in der Mannheimer Sternwarte, und wegen des Fehlens eines zentralen Aufbewahrungsortes müssen seine Briefe und Abhandlungen in unterschiedlichen Archiven und Bibliotheken weltweit aufgespürt werden. Zum anderen erstreckte sich Mayers Forschungs- und Lehrtätigkeit auf mehrere Wissenschaften zugleich, und zwar auf die Experimentalphysik, die Mathematik, die Kartographie, die Geodäsie, die Astronomie, die Meteorologie und auf die Metrologie, wodurch eine systematische Studie zu Mayers wissenschaftlicher Leistung und Bedeutung einen breiten interdisziplinären Ansatz erfordert. Eine weitere Schwierigkeit in der Erforschung von Mayers Werk besteht in der dafür notwendigen Mehrsprachigkeit: Mayers Arbeitssprachen waren Latein, Deutsch, Französisch und Englisch. 1769 wurde seine umfangreiche Abhandlung über den Venusdurchgang ins Russische übersetzt. Sekundärliteratur zu Mayer gibt es außer in den genannten Sprachen auf Italienisch, Tschechisch und Ungarisch.
Die hier vorgestellte Arbeit beruht auf umfangreichen Quellenstudien. Im Laufe der systematischen Suche nach Mayers wissenschaftlicher Korrespondenz wurden Quellenfonds und Handschriftenabteilungen in mehr als 40 Archiven, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Polen, Russland, Tschechien, der Schweiz, Ungarn und den USA durchforscht. Das Ergebnis waren über 140 Texte, von denen ein beträchtlicher Teil aus der Petersburger Abteilung der Akademie der Wissenschaften von Russland stammt, und das umfangreiche Schriftum Mayers, das aus mehr als 60 gedruckten Arbeiten besteht. Durch die Einträge der von Mayer entdeckten Sternensysteme in die Doppelsternkataloge und außerdem durch die Benennung eines Mondkraters nach ihm im östlichen Teil des Kalten Meeres (Mare Frigoris) – als einem von wenigen Naturwissenschaftlern und Universitätsprofessoren des 18. Jahrhunderts – wurde sein Name verewigt. An das Gebäude der ehemaligen Sternwarte in Mannheim, heute ein Künstleratelier, ist eine Gedenktafel angebracht, auf der auch Mayer erwähnt wird. Im Jahre 1984 wurde die zwischen Heidelberg und Mannheim liegende Volkssternwarte in Schriesheim nach \“Christian Mayer\“ benannt, wodurch, wie es der Internetseite der Volkssternwarte zu entnehmen ist, \“das Andenken und die Erinnerung an diesen verdienten Wissenschaftler, der in unserer Region gewirkt hat, wach gehalten werden\“ soll.
Allerdings ist im Straßenverzeichnis weder Mannheims noch Heidelbergs der Name Christian Mayers vorhanden. Auch gibt es an der Universität Heidelberg weder ein Stipendium noch ein Forschungspreis seines Namens. Die Veröffentlichung der astronomischen Beobachtungsbücher und der wissenschaftlichen Korrespondenz Mayers, eines der wichtigsten Vermächtnisse aus seinem Testament, bleibt – trotz einiger in der vorgestellten Monographie übersetzten Texte – auch weiterhin ein Desiderat.
Info:
Alexander Moutchnik: Forschung und Lehre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Naturwissenschaftler und Universitätsprofessor Christian Mayer SJ (1719-1783) (= ALGORISMUS. Studien zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften, Band 54), Dr. Erwin Rauner Verlag, Augsburg, Mai 2006, 523 Seiten mit 8 Tafeln EUR 27,50 (zzgl. Versand) ISBN 3-936905-16-9
Das Buch kann unter folgender Adresse bestellt werden: http://www.erwin-rauner.de/algor/ign_publ.htm#H54
Kontakt:
Dr. Alexander Moutchnik
Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg
Tel.: 06221/542940
alexander.moutchnik@awi.uni-heidelberg.de
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft, Pressemitteilung RKU Heidelberg, 29.5.2006