Flugblätter als kulturhistorische Quellen und bibliothekarische Sondermaterialien

Die Sammlungen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin gehören zu den bedeutendsten und umfangreichsten ihrer Art in Europa und umfassen mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften, Inkunabeln, Nachlässe und Autographen, Einblattdrucke, Porträts, Theaterzettel und Exlibris. Als vor etwa fünfunddreißig Jahren die Forschung begann, sich auch den Flugblättern der Frühen Neuzeit als literarischer bzw. kulturhistorischer Gattung zuzuwenden, musste sie die einzelnen Exemplare in Sammelkonvoluten entdecken und manchmal sogar als Makulatur aus Buchdeckeln herauslösen.

Erst langsam setzte sich die Einsicht durch, dass dieses Medium, das in der Lage ist, auf nur einer Seite die politische, kunst- und literaturgeschichtliche sowie medienhistorische Situation seiner Zeit zu präsentieren, und das zum Teil auf höchstem Niveau. Die ersten Flugblätter wurden Ende des 15. Jahrhunderts gedruckt. Anfangs einzeln, sehr aufwändig und folglich teuer waren sie alles andere als ein Massenprodukt und Wegwerfmedium wie heute. In der Reformationszeit nutzten besonders die Protestanten Flugblätter sehr effektiv als Propagandamittel. Als Flugblätter später auf Grund der technischen Entwicklung sehr viel schneller und billiger gedruckt werden konnten, spielten sie bei den demokratischen Aufständen in Deutschland 1848 eine entscheidende Rolle, meint Jörg Jungmayr, Editionswissenschaftler an der Freien Universität Berlin.

Von den Einblattinkunabeln bis ins 17. Jahrhundert wird die Gattung \“Flugblatt\“ seit einiger Zeit akribisch dokumentiert und ediert. Jüngere Flugblätter werden in der Forschung nur gelegentlich in den Blick genommen, aber gerade diese Materialien, die zum Teil in reichem Maße die Magazine der Bibliotheken füllen, harren ihrer wissenschaftlichen Erschließung. Nach wie vor gibt es das Bedürfnis durch ein bedrucktes Blatt an die Öffentlichkeit zu treten, beispielsweise während der aktuellen Studentenrevolte in Paris und anderen Orten Frankreichs.

Der Austausch zwischen der historischen und philologischen Forschung und den bibliothekarischen Modellen der Bereitstellung und Erschließung der kulturhistorischen Gattung \“Flugblatt\“ war Ziel der Tagung "Flugblätter vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart" der Stabi- Handschriftenabteilung und der Freien Universität Berlin, die vom 23. bis 25. März 2006 im Simón-Bolívar-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin stattfand. Es galt Bilanz zu ziehen und neue Wege aufzuzeigen (Programm). 

Kontakt:
Dr. Christiane Caemmerer
Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin
Tel. 030/ 2662870
christiane.caemmerer@sbb.spk-berlin.de 

Dr. Jörg Jungmayr
Editionswissenschaft (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin)
Tel. 030/ 83854075
jungmayr@zedat.fu-berlin.de 

Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin (Tagungsinfo); Dieter Wulf, Deutschlandfunk, Markt und Medien, 25.3.2006

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