Das Ende der Überlieferungsbildung?

Am 54. Thüringischen Archivtag, der am 15. Juni 2005 erstmals in Hildburghausen stattfand nahmen 85 Archivarinnen und Archivare sowie Gäste aus Thüringen, Hessen und Bayern teil. Wie in jedem Jahr gliederte sich der Thüringische Archivtag in eine Fachtagung mit einer speziellen Thematik und in die Mitgliederversammlung des Thüringer Archivarverbandes. Seit mehreren Jahren findet auch die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalarchivare im Thüringer Archivarverband im Rahmen des Thüringischen Archivtages statt. – Die Fachtagung des 54. Thüringischen Archivtages stand unter der Frage "Büroautomation – Das Ende der Überlieferungsbildung?".

Dr. Andrea Hänger, Referatsleiterin für elektronische Archivierung im Bundesarchiv Koblenz, stellte archivische Anforderungen für die Aussonderung elektronischer Akten anhand des neuen DOMEA-Aussonderungskonzeptes vor. Bereits im Jahr 1996 hatte die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnologie in der Bundesverwaltung im Rahmen ihres DOMEA-Projektes Konzepte zu erarbeiten, um die Einführung der elektronischen Vorgangsbearbeitung organisatorisch und technisch zu bewältigen. DOMEA® steht für Dokumentenmanagement und Archivierung im elektronisch gestützten Geschäftsgang. Das DOMEA-Konzept hat die ganzheitliche elektronische Erfassung eines Geschäftsganges zum Ziel. Organisationskonzept und Anforderungskatalog räumen den archivischen Anforderungen einen weiten Raum ein. Für die Steuerung des Aussonderungsprozesses sind die drei Angaben der Aufbewahrungsfrist, der Aussonderungsart und der Transferfrist besonders wichtig. Die Integration archivischer Anforderungen in das DOMEA-Konzept verdeutliche, so führte Hänger weiter aus, den engen Zusammenhang der Aussonderung und Archivierung mit der behördlichen Schriftgutverwaltung und trage dazu bei, dass bereits bei der Einführung von Systemen zur elektronischen Vorgangsbearbeitung die Aussonderung Berücksichtigung finde. 

Dr. Robert Zink, der Direktor des Stadtarchivs Bamberg, referierte zum Thema "Digitale Daten und kommunale Archive. Die Aufgaben des EDV-Ausschusses der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK)". Neben seinen Ausführungen zur Entstehung und Entwicklung der Bundeskonferenz der Kommunalarchive und deren 1991 eingerichteten EDV-(Unter-)Ausschuss berichtete Zink auch über die weiteren Planungen des EDV-Ausschusses. Diese sehen die Ausarbeitung von Empfehlungen zur Archivierung von komplexen Strukturen wie Websites, Foren und Geo-Informationssystemen vor, nachdem diesem Bereich bislang wenig Beachtung geschenkt wurde. Auf Grund des sehr komplizierten Geflechts von Bewertungs-, Rechts- und Technikfragen und wegen der bisher insgesamt geringen Erfahrungen auf diesem Gebiet sei allerdings mit einem Ergebnis erst mittelfristig zu rechnen. Neben dem Erfahrungsaustausch innerhalb des Ausschusses und der Beobachtung der fachlichen Entwicklungen werde der Ausschuss zudem Informationen erarbeiten, denen ein besonderer Wert für die bevorstehenden Aufgaben bei der Archivierung digitaler Daten in den Kommunalarchiven zukomme.

Dr. Christoph Popp vom Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte erläuterte Strategien eines Kommunalarchivs für die dauerhafte Archivierung digitaler Unterlagen. Er sprach von den Chancen der elektronischen Archivierung und warnte allein vor dem "Nichts-Tun": Wenn Daten erst einmal gelöscht seien, "dann ist die Überlieferungslücke nicht mehr zu schließen". Fehler hingegen ließen sich korrigieren. Weder die Sorge vor dem Wechsel von Dateiformaten noch die Sorge vor einer schnell überholten Speichermedienwahl sollte die Archive von der digitalen Archivierung abschrecken. Popp resümierte, dass die elektronische Archivierung letztlich keine Frage der EDV-Technik, sondern der Organisation sei. Die "neue" Dimension der Technik sei zuallererst eine Herausforderung für die IT-Spezialisten vor Ort. Die Archivarinnen und Archivare seien demgegenüber aus langjähriger Erfahrung in der Lage, klare Anforderungen zu formulieren, was aufzubewahren ist und was nicht. 

Die Vorträge sind im Sonderheft 2005 des Mitteilungsblattes "Archive in Thüringen" veröffentlicht worden und auch auf der Homepage des Thüringer Archivarverbandes nachzulesen.

In der Mitgliederversammlung des Thüringer Archivarverbandes wurde die Reaktion auf die 2002 auf dem Thüringischen Archivtag in Altenburg verabschiedete Resolution zur Rückführung von Archivbeständen aus Sachsen-Anhalt nach Thüringen diskutiert. Dazu wurde mitgeteilt, dass das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt eine Rückgabe, mit Ausnahme einiger kleinerer Bestände, ablehnt. Als Kompromiss wird derzeit die Verfilmung der Bestände diskutiert. Die Kosten dafür würde der Bund übernehmen. Außerdem wurde eine Referendarin aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar mit der Aufgabe betraut, die Thematik Archivalienfolgen bei Territorialveränderungen zu untersuchen. In Bezug die Ansprüche von Kommunen auf Rückführung von Archivgut wurde erneut eindeutig festgestellt, dass diese nicht durch die Staatsarchive vertreten werden können. Die Kommunalarchive bzw. die entsprechende Kommunen müssen die Verhandlung selbständig führen.

Termine:
Der 55. Thüringische Archivtag findet am 14. Juni 2006 zum Thema \“Wirtschaftsüberlieferung in Thüringen – Tradition und Gegenwart\“ in Sömmerda statt (Einladung). Vom 10. bis 11. Juli 2007 wird dann in Eisenach ein gemeinsamer Archivtag Hessen – Thüringen stattfinden. Dieser Archivtag steht unter dem Leitthema \“Archivlandschaft Hessen – Thüringen, Probleme und Perspektiven\“.

Download: Vollständiger Tagungsbericht zum 54. Thüringischen Archivtag 2005 von Katrin Beger.

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