Nachlass eines evangelischen Heiligen

Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wäre am 4. Februar 2006 100 Jahre alt geworden. Die Nazis richteten ihn am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hin. Sein Nachlass befindet sich seit 1996 im zweiten Stock der Staatsbibliothek zu Berlin in der Potsdamer Straße. In 25 Archivkästen werden Bonhoeffers schriftliche Spuren verwahrt: Schulzeugnisse (\“Religion: sehr gut. Ordnung: mangelhaft\“), handgeschriebene Gedichte, Bewerbungsunterlagen, Postkarten von seinen ausgedehnten Reisen, Vortragstexte und Manuskripte seiner Publikationen, darunter die nicht vollendete \“Ethik\“.

Dietrich Bonhoeffer wurde mit 21 Jahren zum Lic. theol. promoviert, 1930 habilitierte er sich in Berlin als Privatdozent für Systematische Theologie. Vom Beginn des \“Kirchenkampfes\“ an stand Bonhoeffer in der vordersten Reihe der Bekennenden Kirche. Seit Oktober 1933 wirkte er als Pfarrer an zwei deutschen Gemeinden in London. Während der Vorbereitung einer Reise nach Indien zu Gandhi erhielt Bonhoeffer einen Ruf der Bekennenden Kirche und übernahm im April 1935 mit 25 Vikaren die Leitung des in Strohhütten zwischen den Dünen am Ostseestrand von Zingst notdürftig eingerichteten illegalen pommerschen Predigerseminars, das einige Monate später nach Finkenwalde bei Stettin verlegt, 1937 durch Heinrich Himmler aufgelöst, aber erst 1940 von der Geheimen Staatspolizei endgültig geschlossen wurde. 1936 verlor Bonhoeffer seine Lehrbefugnis an der Berliner Universität. Durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi (1902-1945) gewann er 1938 Einblick in die Hintergründe der Krise um den Oberbefehlshaber des Heeres und in die beginnenden militärischen Umsturzpläne. Bonhoeffer war von da an über die weitere Entwicklung der Widerstandsarbeit ständig unterrichtet. Mit seinen ausländischen Beziehungen und Erfahrungen stellte er sich der Widerstandsbewegung zur Verfügung, in deren Auftrag er unter Einsatz seines Lebens verschiedene Reisen ins Ausland unternahm. Am 5.4.1943 wurde Bonhoeffer in seinem Elternhaus von der Geheimen Staatspolizei verhaftet, im Herbst 1944 kam er in die Sonderabteilung des Gefängnisses der Geheimen Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin und von dort in das Konzentrationslager Buchenwald, in dem er bis zum 3.4.1945 blieb. Dann verschleppte man ihn nach Schönberg im Bayerischen Wald und ins Lager Flossenbürg, wo er von einem Standgericht zum Tode verurteilt und gehängt wurde.

Religion ist für Bonhoeffer keine Privatsache gewesen, so bekunden seine Zeitgenossen, sondern etwas, was sich im Zusammenleben mit anderen ereignet – und indem man das Leiden der anderen teilt, auch wenn sie keine Christen sind. Schon im April 1933 hatte Bonhoeffer die Judenverfolgung klar und deutlich verurteilt. Im Frühjahr 1945 hat Eberhard Bethge (1909-2000), der Freund, Vertraute und spätere Biograph Dietrich Bonhoeffers den theologischen Nachlass nach dessen Ermordung unter Mühen gesichert. Nach dem Tod der Eltern Bonhoeffers wurden Bethge auch die verbliebenen Teile der Bibliothek und andere Papiere anvertraut. Auch trug Bethge in seiner lebenslangen Beschäftigung mit Bonhoeffers Werk immer wieder Dokumente zusammen, die den Nachlass bildeten, der heute aus Originalen, Abschriften und Kopien besteht, die mitunter nicht leicht auseinanderzuhalten sind. Eberhard Bethge ging es eher um die inhaltliche Überlieferung als um archivarische Präzision. So geben die Unterlagen immer wieder auch Auskunft über die Geschichte ihrer Edition. Unbekümmert wurde in den Texten redigiert, und die Dokumente wurden von Bethge aus missverstandenem Schutzverständnis in Folien eingeschweißt.

Quelle: Claudia Keller, Der Tagesspiegel, 2.2.2006; FAZ, 4.2.2006; BBKL I (1990), 681-684

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