Sie kamen aus schwierigen Familienverhältnissen, waren mehrfach in der Schule sitzen geblieben und von zu Hause abgehauen. Man bescheinigte ihnen asoziale Züge und ethische Gleichgültigkeit, steckte sie in Anstalten. Die Zwangssterilisation oder gar der „Gnadentod“ sollten verhindern, dass diese „sozial auffälligen“ und „nicht systemkonformen Elemente“ Familien gründen oder Kinder zeugten. Sie waren lebensunwert, und so zerstörte man ihr Leben. Das so genannte „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14.7.1933) war eine der ersten Maßnahmen, mit der das NS-Regime bereits 1933 seine menschenverachtende Rassenideologie auf eine ganze Bevölkerungsgruppe anwandte.
Die Stoßrichtung des Sterilisierungsgesetzes lag in der \“Ausmerzung\“ von Krankheitsanlagen, was eine fundamentale Wende in der Gesundheitspolitik bedeutete. Dem Phänomen \’Krankheit\‘ sollte nicht mehr durch eine Verhütung von Erkrankungen, sondern durch die Verhütung kranker Menschen vorgebeugt werden, womit sich der Gegenstand präventivmedizinischer Bemühungen von der Krankheit auf den Kranken selbst verschob (Astrid Ley, 2004). Dieser Perspektivwechsel diente, neben dem langfristigen Fernziel der Beseitigung von Krankheitsanlagen aus dem Genpool der Nation, zugleich der Senkung der so genannten \“Fürsorgelasten\“, wie der Gesetzeswortlaut klarstellte. Eine formale Anknüpfung an rechtsstaatliche Verfahren durch die Errichtung der neuen \“Erbgesundheitsgerichtsbarkeit\“ diente in erster Linie der Suggestion von Rechtssicherheit durch das rechtsförmige Verfahren.
Von 1936 bis 1945 wurden etwa 250.000 körperlich und geistig Behinderte im Rahmen der NS-Euthanasie ermordet, etwa 400.000 Menschen wurden auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert. Bis heute kämpfen Opfer um Rehabilitierung und die Annullierung dieses Gesetzes. Die Ausstellung „Lebensunwert – zerstörte Leben“, eine Wanderausstellung des „Bundes der ‚Euthanasie’-Geschädigten und Zwangssterilisierten“ e.V. (BEZ), die das Stadtarchiv Dieburg im November im Dieburger Rathaus präsentiert, erinnert an zwangssterilisierte und „Euthanasie-geschädigte“ Menschen, und zeigt die gesellschaftlichen Bedingungen auf, die zu ihrer Ausgrenzung, Verstümmelung oder Tod führten.
„Die Ausstellung informiert nicht nur über ein dunkles Kapitel unserer Geschichte sondern greift auch hochaktuelle Themen auf,“ so Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith. Denn auch die aktuelle Sterbehilfe-Debatte oder die gegenwärtige Entwicklung der Humangenetik und die Anstrengungen zur genetischen Verbesserung des Menschen sind angesprochen.
Die Ausstellung „Lebensunwert – zerstörte Leben“ wird am Freitag, 4. November um 19 Uhr von Bürgermeister Dr. Werner Thomas im Rathaus eröffnet und ist bis zum 25. November zu sehen.
Kontakt:
Stadtarchiv Dieburg und Archiv Löwengasse
Rathaus
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D-64807 Dieburg
Tel.: (06071) 2002-206
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Weitere Informationen:
Bund der \“Euthanasie\“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V.
Schorenstraße 12
D-32756 Detmold
Telefon: (05231) 5 82 02
Telefax: (05231) 30 04 49