Als vor fünf Jahren Wissenschaftler der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen (Link) damit begonnen haben, den Einsatz von Zwangsarbeitern an den Göttinger Unikliniken während der NS-Zeit zu untersuchen, sollte dies ein bundesweit einmaliges Forschungsprojekt mit Vorbildfunktion sein. Die Untersuchungen sollten die genauen Umstände klären, unter denen Zwangsarbeiter an den Göttinger Uni-Kliniken eingesetzt waren.
Der Vorstand des Bereichs Humanmedizin in Göttingen bekundete damals, dass er das Projekt unterstütze. Doch die Erfahrungen der beteiligten Forscher lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Aussage aufkommen. Immer wieder stieß der Arbeitskreis bei seinen Recherchen, die ergaben, dass zwischen 1939 und 1945 über 120 Zwangsarbeiter als Arbeitskräfte ausgenutzt wurden, auf interne Widerstände. So durften die Historiker neu aufgefundene Archivakten zunächst nicht in ihre Untersuchung einbeziehen, und ihr bereits vor drei Jahren vorgelegter Abschlußbericht ist immer noch nicht veröffentlicht.
Im Sommer 2001 stießen die Wissenschaftler auf bislang unbekannte Patientenunterlagen der Klinik für Neurologie und Psychiatrie, in denen auch Daten über Zwangsarbeiter zu erwarten waren. Der Klinkvorstand untersagte ihnen jedoch die Auswertung und berief sich dabei auf den Datenschutz der Patienten und die ärztliche Schweigepflicht. Der Medizinhistoriker Andreas Frewer, der das Projekt initiiert und geleitet hat, hält das Argument für vorgeschoben. Auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz und der Leiter des Göttinger Stadtarchivs hielten die Bedenken für unbegründet. Trotzdem blieben die Akten über eineinhalb Jahre gesperrt. Erst als das Wissenschaftsmagazin \“Nature\“ darüber berichtete, lenkte der Vorstand ein.
Für das laufende Forschungsprojekt war dies zu spät, im Abschlußbericht blieben die Akten unberücksichtigt. Die Sperrung sei gegen das Entschädigungsgesetz, das Archiv- und das Grundgesetz gewesen, das die Freiheit der Forschung garantiere, sagt Frewer, inzwischen Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Bereich Humanmedizin will die Akten zwar weiter bearbeiten lassen, teilte Pressesprecher Stefan Weller mit. Dies solle allerdings \“unter einem anderen Blickwinkel\“ und \“nicht mit dem Thema Zwangsarbeiter\“ geschehen.
Info:
Andreas Frewer, Günther Siedbürger (Hrsg.), Medizin und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Einsatz und Behandlung von \“Ausländern\“ im Gesundheitswesen, Frankfurt/New York: Campus 2004
Kontakt:
Bereich Humanmedizin – Universität Göttingen
Abt. Ethik und Geschichte der Medizin
Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Humboldtallee 36
37073 Göttingen
Tel.: 0551-39 90 06
Fax: 0551-39 95 54
Quelle: Heidi Niemann, Ärzte Zeitung, 26.07.2005