Im September 2004 waren 24 ehemalige Zwangsarbeiter aus Russland, Weißrussland, Lettland und der Ukraine Gäste der Stadt Bielefeld. Mit der Einladung wollte die Stadt ein Zeichen der Annäherung und Aussöhnung setzen.
Das Besuchsprogramm wurde seitens der Stadt erarbeitet, koordiniert und mit vielen freiwilligen Helfern durchgeführt. Von Anfang an stand fest, dieses Projekt in einer zweisprachigen Dokumentation (deutsch-russisch) festzuhalten. Die Publikation umfasst 120 Seiten mit vielen Farbphotos, die den Inhalt prägnant unterstützen. Die Photos sind von einer professionellen Bielefelder Fotografin erstellt, die das Besuchsprogramm eine Woche lang intensivst begleitet hat.
Die Dokumentation vermittelt Eindrücke von den offiziellen Empfängen, dem Besuch von Mahnmalen und Friedhöfen. Sie berichtet von der Spurensuche im Stadtarchiv, den Erfahrungen mit dem Besuch der ehemaligen Arbeitsstätten und von Zeitzeugengesprächen in Schulen. Die Bielefelder Kirchen waren schon mehrere Jahre vorher aktiv an der Verbreitung des Themas in der Bielefelder Öffentlichkeit beteiligt. Nun wollten Pfarrer und Gemeindemitglieder die ehemaligen Zwangsarbeiter persönlich kennen lernen. Spannend ist auch das Kapitel über Bielefelder Bürger, die sich spontan gemeldet und die Besuchsgruppe aufgesucht haben, um sich gemeinsam zu erinnern oder Erinnerungen auszutauschen.
Alle Autoren haben aktiv am Besuchsprogramm teilgenommen: Frau Krasa als Organisatorin und Koordinatorin. Die gebürtige Ukrainerin Frau Schuh war Dolmetscherin vor Ort und hat anschließend alle Texte übersetzt. Aber auch \“Fremdbeiträge\“ wurden eingesetzt: die Eindrücke mehrerer Pfarrer, einer Lehrerin, einer Historikerin und eines Mitglieds einer Bürgerinitiative, der sich für ein Mahnmal für ehemalige Zwangarbeiter in Bielefeld eingesetzt hat. Zudem wurden Zitate aus den Briefen der Gäste nach dem Besuchsprogramm verwendet. Sie geben dem Buch eine sehr persönliche und auch emotionale Note.
Das Buch ist in erster Linie als Hommage an die Gäste der Stadt Bielefeld vom vergangenen September gedacht. Sie haben inzwischen diese (ihre) Dokumentation per Post erhalten. Inna Klimenko, ehemalige Zwangsarbeiterin aus der Ukraine, war vor kurzem wieder einmal zu Besuch in Bielefeld. Von ihr erhielt die Stadtverwaltung und der Verein \“Gegen Vergessen-Für Demokratie\“ ein wunderbares Lob: sie hatte bis um 3 Uhr in der Nacht gelesen. Sie konnte einfach nicht aufhören. Und in ihrer Heimat wird das Buch nicht mehr aus der Hand gelegt: Kinder und Enkelkinder lesen über das Schicksal ihrer Eltern, bzw. Großeltern während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland.
Es wirkt somit nachhaltig über die Generation der Betroffenen hinaus. Und es trägt dazu bei, Aufklärungsarbeit in der Heimat der Betroffenen zu leisten, denn die Zwangsarbeiter kamen nicht freiwillig. Sie wurden mit vorgehaltener Waffe gezwungen und selbst verstecken oder klagen half nichts. \“Wenn du nicht mitgehst,\“ erzählt Bronislawa Sidorowa, \“sperren wir deine Eltern dort in das Haus und zünden es an.\“ So und auch schlimmer waren die Androhungen, die halfen, dass die arbeitsfähigen Jugendlichen in die Züge zur Deportation kletterten. Ziel: Zwangsarbeit im Deutschen Reich. Bronislawa war damals gerade 14 Jahre alt. Wie ihr, erging es vielen jungen Mädchen und Jungen aus ihrem Ort.
Ganze Geburtsjahrgänge verschwanden in den Deportationszügen Richtung Westen. Schwere Jahre erlebten diese Jugendlichen entweder bei der Feldarbeit oder in den Fabriken. Dort wurden sie eingesetzt, um die deutsche Kriegsmaschinerie auf dem Laufenden zu halten, denn die eigenen Männer kämpften an der Front. Sie knechteten – 12 Stunden am Tag oder in der Nacht unter unwürdigsten Bedingungen: fern der Heimat und der Eltern, ohne Sprachkenntnisse, gefangen in Lagern mit Stacheldraht umzäunt, von Ungeziefer geplagt, erniedrigt und gedemütigt und ohne ausreichende Nahrung.
Als der Krieg zu Ende war, wurden sie wieder in ihre Heimat gebracht. Dort widerfuhr ihnen eine böse Überraschung: sie wurden nicht mit Freude von ihren Landsleuten empfangen. Sie wurden beschimpft und der Kollaboration beschuldigt. Sie wurden verhört. Dieses Mal nicht von der Gestapo, sondern von den eigenen Landsleuten. Wer sich zu freundlich über den Feind äußerte, kam ins GULAG. Diese Generation erlebte eine zweite Leidenszeit: sie bekam keine oder nur die schlechteste Ausbildung und damit eine geringe Aussicht auf einen guten Arbeitsplatz. Diese Generation erlebte eine zweite Strafe in ihrem Leben – und darüber wurde bis zur Ära Gorbatschow geschwiegen.
Jetzt ist es an der Zeit, das Schweigen auch im eigenen Land zu brechen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Möge dieses Buch einen kleinen Beitrag dazu leisten.
Die vorliegende Publikation ist interessant für die Betroffenen selbst und ihre Kinder und Enkelkinder. Es ist aber auch interessant für Schulen, für Bürgerinitiativen, für Städte und Gemeinden, die noch Besuchsprogramme durchführen, für Bibliotheken und Archive, aber auch für den Leser, der sich über das Thema \“Zwangsarbeit\“ informieren möchte.
Info:
Das Buch kostet 15 Euro (120 Seiten/DIN A 4 Sonderformat/mehrfarbig) und ist ausschließlich erhältlich über:
Stadtarchiv Bielefeld
z. Hdn. Petra Krasa
Rohrteichstr. 19
33602 Bielefeld
Telefon: 0521 – 512471
petra.krasa@bielefeld.de