Neuere Archiv-Funde sollten beweisen, dass der Reichsführer der SS und Chef der Polizei Heinrich Himmler (1900-1945) von den Briten ermordet wurde. Auf den letzten Seiten seines vor zwei Monaten erschienenen Buches \“Himmler\’s Secret War\“ enthüllte Autor Martin Allen, gestützt auf Dokumente des Britischen Nationalarchivs in Kew bei London, eine Sensation: Heinrich Himmler sei mitnichten, wie immer angenommnen, am 23. Mai 1945 durch Selbstmord in seiner Haft in Lüneburg aus dem Leben geschieden. Hingegen habe der britische Geheimdienst, unter Mitwisserschaft von Winston Churchill, den Reichsführer SS ermordet. Der Grund: Man habe befürchtet, Himmler würde seine Geheimkontakte mit schwedischen und britischen Stellen gegen Ende des Krieges preisgeben und damit London in den Augen des wichtigsten Verbündeten, Washington, als hinterhältig bloßstellen. Dies sollte um jeden Preis vermieden werden.
Doch die Aufregung ist verfehlt: Martin Allen, der Autor von \“Himmler\’s Secret War\“, ist einer Täuschung aufgesessen, genauer: gefälschten Dokumenten. Das sich diese im Besitz des geheiligten und bisher unbescholtenen Nationalarchivs in Kew befinden, fügt der Geschichte eine Peinlichkeit mehr hinzu, die auszubügeln das Archiv einige Zeit brauchen wird. Den Stein der Enttarnung hatte der \“Daily Telegraph\“ ins Rollen gebracht, dem Allens Buch zum Vorabdruck angeboten worden war. Um sich abzusichern, veranlasste die Zeitung, daß die entsprechenden Dokumente einem forensischen Labor in Amersham in Buckinghamshire unterbreitet wurde, und dort einer Koryphäe ihres Fachs, Dr. Audrey Giles. Dieser fiel es nicht schwer, die Unechtheit zu belegen: Unterschriften waren gefälscht, Briefköpfe der Zeit waren mit einem Laserprinter erstellt worden, wie er erst 50 Jahre später verfügbar war.
Martin Allen, Autor des Buches über Himmler und einer früheren, ebenfalls provozierenden Veröffentlichung über die Hess-Affäre, sagt, er sei am Boden zerstört, dass er dieser Fälschung aufgesessen sei. Eine für die vergangene Woche vorgesehene ZDF-Sendung mit dem Titel \“Himmler – Totenkult und Rassenwahn\“, in der die Dokumente berücksichtigt werden sollten, wurde in letzter Minute verschoben, um das Material eingehender prüfen zu können.
Nachtrag (24.6.2007):
vgl. dazu jetzt: Ernst Haiger: Fictions, Facts, and Forgeries: The \“Revelations\“ of Peter and Martin Allen about the History of the Second World War. – In: The Journal of Intelligence History. Vol. 6 No. 1 (Summer 2006) S. 105-117.
Quelle: Thomas Kielinger, Die WELT, 5.7.2005; Gina Thomas, F.A.Z., 4.7.2005, Nr. 152, S. 33