Im Magazin des Wittener Notarchivs

Seit sieben Jahren arbeitet Max Bäcker (54) als Magazinverwalter im Stadtarchiv Witten – und geht in dem Job vollends auf. Der Magaziner, der viele Jahre lang als Dachdecker und Kanalarbeiter tätig war, liebt die Ruhe in seinem Reich, den Kellerräumen des städtischen Verwaltungsgebäudes an der Herbeder Straße, wo das Stadtarchiv Witten noch bis zum Jahresende als \“Notarchiv\“ untergebracht ist. Bäcker ist allein zuständig für die Pflege der städtischen Archivalien. Hauptsächlich sind es Verwaltungsakten; die älteste vorhandene ist das \“Marktbuch von Witten\“, das für die Zeit von 1692 bis 1794 auflistet, welche Gewerbebetriebe in der Ruhrstadt aktiv waren. Immer wieder versetzt Bäcker Aktenberge von den Verwaltungsstellen ins Archiv. Die Dokumente werden von den Archivmitarbeitern gesichtet: 80 Prozent werden vernichtet, 20 Prozent eingelagert, weil sie als wertvoll erachtete Daten für die Geschichtsschreibung Wittens enthalten bleiben sollen.

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Was dann an Büchern und Akten auf dem Schreibtisch des Magazinverwalters landet, ist nicht selten in einem bedauernswerten Zustand: Einband und Buchblock haben sich durch schiefe Lagerung stark verzogen. Einzelne Papiere sind nicht nur vergilbt, vor allem sind sie zerknittert, brüchig bis zerfallen, ihre Ränder verwellt. Blätter haben sich gelöst, sie sind von mikroskopisch kleinen Pilzen und Stäuben befallen, mitunter feucht. Was feucht ist und erhaltenswert, das wird zunächst in speziellen Kühlstätten des Landschaftsverbandes tiefgefroren, um es zu konservieren und später zu bearbeiten. Was das Stadtarchiv in trockenem Zustand erreicht, das säubert Max Bäcker zunächst. Mit einem speziellen Industrie-Staubsauger mit Bürstenaufsatz befreit er die einzelnen Blätter, auch den oberen Schnitt, Vorsätze und Falze von grobem Staub und Ähnlichem.

Die Feinarbeit erfolgt dann mit einem kleinen doppelseitigen Schwämmchen: die grobe Seite für Schimmelbefall, die feine, stumpfe Seite für Stäube. Bäcker reibt, mit einem Atemschutz vor dem Mund, vom Buchrücken weg nach außen, um keinen Knick oder Riss zu riskieren. Neben Staub und Schimmel sind sämtliche Metallteile (etwa Büroklammern, Drahtheftung) aus den Akten zu entfernen – der Rost frisst sonst das Papier kaputt oder hinterlässt zumindest hartnäckige Flecken. Bei den schließlich gesäuberten Werken nimmt sich Bäcker dann der maroden Fadenbindung an. Früher war Aktenbinder ein eigenständiger Ausbildungsberuf, Bäcker hat dieses Handwerk in einer Fortbildung erlernt. An der Innenseite des Kartoneinbands bringt Bäcker ein Buchklebeband an, schließlich näht er mit Nadel an Faden die einzelnen gefalzten Papierbögen ein.

Bei wertvollen alte Büchern, deren Seiten schon auseinander bröseln, setzt Bäcker die Fetzen mit einer Pinzette wieder zusammen. Danach rührt er Weizenstärke an und bettet die beschädigten Blätter in sehr dünnes und weiches, aber zähes Japanpapier ein, das aus dem Bast bestimmter ostasiatischer Sträucher hergestellt wird. Das dauert Wochen – auch weil Bäcker noch andere Aufgaben im Archiv zu erledigen hat: Mikrofilme und Interview-Kassetten müssen regelmäßig gespult werden, damit sie nicht verkleben, Archivnutzer müssen betreut, Akten transportiert werden … Auch trägt der Magaziner jede Woche 30 Liter reines, destilliertes Wasser aus dem Archiv. Gesammelt wird das Wasser in Luftentfeuchtern, die für ein trockenes, staubfreies Raumklima sorgen. Im Archiv für Verwaltungsakten, Bücher, Dauerleihgaben und Nachlässe einzelner Vereinsarchive soll die Luftfeuchtigkeit bei 50, bei Filmen, Fotos und Mikrofischen bei 30 Prozent liegen. Das sorgt bei Besuchern des Archivs regelmäßig für trockene Kehlen. Auch die Temperatur ist wichtig; sie wird übers Jahr konstant gehalten.

In den Archivregalen lagern auf einer zusammengerechneten Länge von fünf Kilometern bearbeitete Archivalien, fünf Kilometer sind noch in unhaltbarem Zustand. Man werde nie fertig, erklärt Bäcker, denn beim Eintreffen seien die Akten kaum mehr als Altpapier. \“Wenn ich sie bearbeitet habe, sind sie Dokumente, die davon erzählen, wie die Menschen früher hier in Witten gelebt haben.\“

Kontakt:
Stadtarchiv Witten
Herbeder Straße 43
58449 Witten
Telefon: 02302-581-2415
Telefax: 02302-581-2497
stadtarchiv@stadt-witten.de

Quelle: Mirco Stodollick, WAZ Witten, 29.4.2005

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