Archive beherbergen größtenteils Einzelstücke, die im Brandfall oder durch Wasserschaden unwiederbringlich verloren gehen können. Aus diesem Grund erarbeitet das Sankt Augustiner Stadtarchiv derzeit einen \“Notfallplan\“. Neben präventiven Maßnahmen hat der Leiter der Einrichtung, Michael Korn, minutiös erarbeitet, wie im \“Fall der Fälle\“ vorzugehen wäre, um zumindest Teile des kostbaren Guts zu retten.
Bis ins 16. Jahrhundert reichen die Nachbarschaftsbücher, Akten oder Urkunden zurück, die im Untergeschoss des Rathauses aufbewahrt werden. \“Wir haben allein zwei Kilometer Regalfläche für Schriftgut\“, berichtet Korn, seit 2003 Stadtarchivar. Hinzu kommen eine Bildsammlung mit etwa 15 000 Fotos und Postkarten aus hundert Jahren sowie Zeitungen von 1922 bis heute – reiche Beute für zündelnde Flammen. \“Notfallpläne gibt es jedoch in vielen Archiven noch nicht\“, so Korn. \“Dabei ist es sehr wichtig, bei einem größeren Problem innerhalb weniger Stunden reagieren zu können.\“ Für das Stadtarchiv in Solingen, in dem er zuständig war für die Bestandserhaltung, hat er bereits ein ähnliches Konzept entwickelt.
Eine wichtige Rolle spielt die Vorbeugung. Über Brandmelder mit einer Direktschaltung zur Feuerwehr verfügt das Aktenmagazin im Augustiner Rathaus schon lange. Erst seit dem vergangenen Jahr werden hingegen die Klimawerte laufend überwacht, um gute Lagerbedingungen für die historisch wertvollen Unterlagen zu schaffen. Eine Klimaanlage gibt es nicht, dafür sind Messgeräte aufgestellt: Etwa 50 Prozent relative Luftfeuchtigkeit und 16 bis 18 Grad Raumtemperatur bedeuten ideale Bedingungen für die papieren Zeitzeugen. \“Da heißt es, gezielt zu heizen und zu lüften.
\“Um die Akten vor eventuellen Wasserschäden zu schützen, ist über den Regalen ein \“Spritzschutz\“ angebracht, der die dort verlaufenden Rohre umschließt. \“Wenn es ein Leck gibt, soll das Wasser dadurch aufgehalten werden und zur Seite spritzen\“, erläutert der Archivar. Bei akuten Wasserschäden würden Luftentfeuchter aufgestellt, zwischen die Seiten der Bände Löschpapier eingelegt und der Trocknungsprozess durch den Einsatz von Föns beschleunigt. Zur Prävention gehört auch die Lagerung der Schriftstücke in lichtundurchlässigen, säurefreien und alterungsbeständigen Kartonagen. \“Zudem würden sie sich so im Notfall besser transportieren lassen, als wenn die Akten lose in den Regale lägen.\“ Darüber hinaus führen Korn und sein Kollege Michael Becker detailliert Buch über die Bestände und deren Lagerungsort, \“um im Ernstfall zu wissen, was wo ist\“.
Träte dieser doch einmal ein, träfe es das Archiv nicht unvorbereitet. Korn hat eine Prioritätenliste erstellt nach der Wertigkeit der Archivalien. Danach hätten die Akten des alten Amtes Menden die \“höchste Dringlichkeitsstufe\“ und wären als erste zu retten, es folgten die Protokolle des Rates, der Ausschüsse und der Gemeinderäte und an dritter Stelle Fotos und Dias. \“Plakate und Flugschriften\“ stehen an letzter Stelle der Liste.
Mehr als ein mögliches Feuer fürchtet Korn das Löschwasser. \“Wenn die Unterlagen nass werden, haben Schimmelpilze und Mikroorganismen ideale Bedingungen.\“ Um deren Tun zu unterbinden, sieht der Notfallplan vor, die Akten binnen zwölf Stunden in zwei Kühlhäuser in Troisdorf und Köln zu transportieren. \“Es darf kein fleischverarbeitender Betrieb sein, sonst würde die Gewerbeaufsicht einschreiten.\“ Dort würden sie bei minus 18 Grad schockgefrostet. \“Das stoppt das Eindringen des Wassers, die Mikroorganismen könnten sich nicht entwickeln\“, erläutert Korn. Wieder lesbar soll die Unterlagen eine Gefriertrocknung machen, wie sie auch bei der Obsttrocknung angewandt wird: Mittels Unterdruckschränken wird das gefrorene Wasser in einen gasförmigen Zustand überführt.
Mit der Feuerwehr hat Korn Kontakt aufgenommen zwecks eines behutsamen Einsatzes der Löschmittel. Die Devise lautet, sparsam vorzugehen mit reinem Wasser und Pulver sowie Schäume nur bei akuter Gefährdung von Personen einzusetzen. \“Denn die darin enthaltenen aggressiven Säuren würden die Schriften zerfressen, und dagegen gibt es kein Mittel.\“ Vor Ort wäre zudem ein \“Notfallteam\“ des Westfälischen Archivamtes aus Münster. \“Die haben das Know-how und sind drei, vier Mal im Jahr bei Einsätzen in NRW draußen.\“ Das nähere Rheinische Archiv- und Museumsamt hat eine derartige Spezialistentruppe noch nicht.
Verschont gebliebene Unterlagen würden laut Plan in Augustiner Sporthallen zwischengelagert. Um das umfangreiche Material zu transportieren, hat der Stadtarchivar Verbindung zu Baumärkten aufgenommen, die umgehend Verpackungen, Schutzkleidung und Transportgerät liefern könnten, \“da dürften wir auch nachts anrufen\“. Ein Verzeichnis mit allen wichtigen Telefonnummern vom Hausmeister bis zu Speditionen ist daher ein Kernstück des Notfallplans. Einen Testlauf indes wird es nicht geben. \“Der wäre nicht zu organisieren\“, sagt Korn, der den Plan in den nächsten Wochen fertig stellen will. \“Obwohl ich hoffe, dass wir ihn niemals benötigen.\“
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Quelle: Michael Hochheuser, Kölner Stadt-Anzeiger, 14.4.2005