Die türkische Politik versucht krampfhaft, den Völkermord an den Armeniern unter dem Tuch des Vergessens zu halten. Deutsche Dokumente heben es an. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Potsdamer Pfarrer Johannes Lepsius (1858-1925) zu. Er hatte die Deutsche Orient-Mission und das Armenische Hilfswerk gegründet. In mehreren Büchern und weiteren Sammlungen dokumentierte er die armenische Tragödie. Im Februar dieses Jahres ist das Lepsius-Archiv an der Hallenser Luther-Universität erstmals umfassend veröffentlicht worden.
Orginalschreiben von Lepsius finden sich auch im gerade erschienenen Band "Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 – Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes" (zu Klampen Verlag). Herausgeber Wolfgang Gust, früher beim "Spiegel" tätig, vermittelt durch bislang häufig unbekannte Quellen ein erschütterndes Bild vom Leiden und dem Tod der Armenier im untergehenden Osmanischen Reich.
Das wurde 1915 von der ursprünglich reformorientierten Bewegung der Jungtürken regiert. Diese zettelten in den Nächten zum 24. und 25. April 1915, ausgehend von Konstantinopel (Istanbul), landesweite Verhaftungen der armenischen Elite an. Ausgenutzt wurden dabei die schwelenden Spannungen zwischen muslimischer türkischer Mehrheit und christlicher armenischer Minderheit, die bereits 1894/96 in offene Gewalt umgeschlagen waren. Als Vorwand diente eine armenische Erhebung in der mehrheitlich von ihnen bewohnten Stadt Van nach türkischen Drangsalierungen.
Was sich anschloss, zielte auf die systematische Ausrottung der Armenier. Deren Siedlungsgebiete verteilten sich über das gesamte Land, mit besonderer Konzentration im Osten. Die Armenier wurden – wenn nicht sofort getötet – vielfach gefoltert und zu Tausenden aus ihren Dörfern und Städte meist zu Fuß auf irrsinnige Märsche bis in die Wüste Syriens getrieben. Ohne ausreichende Versorgung mit Nahrung und Wasser in unwirtlicher Umgebung war es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen erschöpft zusammenbrachen. Wer diese Torturen doch überlebt hatte, wurde in Lager zusammengepfercht, erschossen oder anderweitig zu Tode befördert.
Deutschland, mit den Türken im Ersten Weltkrieg gegen Russland verbündet, ließ die Schlächter gewähren. Dabei war die kaiserliche Reichsregierung bestens über die Vorgänge informiert. Konsuln und Botschafter kabelten ständig neue Schreckensmeldungen nach Berlin durch, hinzu kamen Berichte von Offizieren, Beamten, Lehrern und Missionaren. Zwar kämpften auch Armenier auf russischer Seite gegen die Türken. Doch die Massaker richteten sich gegen Zivilisten. Von etwa zwei Millionen Armenier im damaligen Osmanischen Reich verloren rund 1,5 Millionen ihr Leben. Eine genaue Zahl wird nie zu ermitteln sein.
Info:
Wolfgang Gust (Hg.): Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts,
Springe 2005, 704 S., ISBN: 3934920594, 39.80 EUR(D)
Quelle: Steffen Honig, Volksstimme (Magdeburg), 20.4.2005