Nachdem er vom Nachfahren des Münchner Malers Johann Georg Edlinger im "Mozart-Streit" (AUGIAS-Net berichtete) scharf angegriffen worden ist, kontert der Leiter des Münchner Stadtarchivs, Richard Bauer, mit einer "notwendigen Klarstellung". Das Schreiben im Wortlaut:
"Mit einigem Erstaunen habe ich von dem als ,Offenen Brief` bezeichneten Leserbrief des Dipl.-Geologen Georg v. Edlinger in der Osterausgabe des Münchner Merkur Kenntnis genommen. Herrn v. Edlingers Kritik unterstellt dem Münchner Stadtarchiv ,fragwürdige Profilierungsversuche` und fordert eine zügige ,Sachklärung`. Obschon ich mir vorgenommen hatte, in dieser Angelegenheit vor dem Erscheinen meiner gerade in Druck gegangenen Dokumentation keine öffentliche Erklärung mehr abzugeben, sehe ich mich durch diesen heftigen öffentlichen Angriff zu einer erneuten Stellungnahme veranlasst.
Zunächst eine Bemerkung zur Person des Kritikers: Herr v. Edlinger als ,direkter Nachfahre des Künstlers in fünfter Generation` verschweigt in seinen Ausführungen tunlichst seine verwandtschaftliche Beziehung zu dem eigentlichen Urheber des ,Mozart`-Streites, dem Informatiker Wolfgang Seiller, der sich ebenfalls gerne als ,Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel` des Malers Edlinger ausweist. Die genetische Ableitung vom Künstler und die familiäre Verbundenheit sind keine wissenschaftlichen Argumente und tragen zur Aufklärung des Sachverhalts nichts bei. Sie erklären bestenfalls den momentanen Gleichklang in der Problembewertung. Auch ist die Auseinandersetzung um das angebliche Berliner ,Mozart`-Porträt keine Angelegenheit der Geologie oder der Informatik, sondern ein Problem der Kunstgeschichte, die trotz aller Verselbständigungsansätze eine historische Disziplin bleibt. Identifikationen benötigen deshalb nicht allein Stilkritik und ikonographische Analyse, sondern auch eine gründliche Auseinandersetzung mit der Provenienz (Herkunft) des untersuchten Gegenstandes.
Gerade dieser Punkt ist bislang völlig außer Acht gelassen worden. Hätte sich Herr Seiller jemals mit der Überlieferungsgeschichte des Gemäldes beschäftigt, wäre die absurde ,Mozart`-Theorie überhaupt nicht entstanden. Es zeugt von einer merkwürdigen Einstellung zum Wert (kunst)historischer Quellenarbeit, wenn man die sehr konkrete Aussage der letzten Privatbesitzerin des Bildes über die Person des Dargestellten einfach zur Seite schiebt. Nur weil deren Äußerung bereits 75 Jahre zurückliegt, ist sie nicht weniger wahr. Der Zweifel am Urteils- oder Erinnerungsvermögen eines unbequemen Zeugen ist die einfachste Form, einer Kontroverse auszuweichen.
Man kann die momentane Gegensätzlichkeit der Standpunkte auch so umschreiben: Archivische Spurensicherung steht gegen einen (übrigens von nur wenigen Betrachtern nachvollziehbaren) Bildvergleich, der bestenfalls Ähnlichkeiten, aber keinesfalls eine Identität nachweist. Ein Abgleich der unterschiedlichen Ausgangslage hat bislang deshalb nicht stattgefunden, weil sich die Berliner Gemäldegalerie trotz eines schon drei Wochen zurückliegenden Angebots des Stadtarchivs München dem wissenschaftlichen Gespräch verweigert. So weit zum Thema ,Sachklärung`.
Die Familie Edlinger kann versichert sein, dass die Münchner Widerrede gegen die Berliner ,Mozart`-Euphorie keine ,populistische Aktion` darstellt. Alle Untersuchungen wurden mit der gebotenen und für das Haus selbstverständlichen Gründlichkeit durchgeführt. Bedauerlicherweise werden sich die hochgespannten Hoffnungen der Edlinger-Nachkommen, den Namen ihres Vorfahren künftig in enger Verbindung mit Mozart zu sehen, der Sachlage nach wohl nicht erfüllen lassen." Dr. Richard Bauer, Stadtarchiv
Quelle: Marktplatz Oberbayern, 29.3.2005