Dass aus Gunter Demnig kein Maler werden würde, zeigte sich früh: Den in viele Stücke zerschlagenen Ziegelstein, den er als Fingerübung an der Kunstakademie von Kassel zu Papier zu bringen versuchte, sah jedes Mal aus "wie ein Pfannkuchen". Statt dessen baute der 1947 in Berlin Geborene erst ein paar merkwürdige Möbel, um dann als Aktionskünstler von sich reden zu machen. Die politische Motivation seiner Arbeit äußerte sich anfangs noch sehr plakativ, etwa als er 1971 die Sterne der amerikanischen Flagge durch Totenköpfe ersetzte. Mit der Zeit aber wurden seine Ideen konzeptueller. Wichtige Themen waren Spurensuche und -sicherung.
Aus Demnig wurde so etwas wie der Forrest Gump der deutschen Kunstszene, der eine Kreidelinie von Kassel, wo er inzwischen selbst lehrte, bis nach Paris zog, einen Ariadne-Faden zwischen der documenta-Stadt Kassel und der Biennale-Stadt Venedig knüpfte oder von einem polnischen Container-Schiff auf dem Weg nach New York im sechs-Stunden-Rhythmus eine Flaschenpost dem Atlantik übergab. Ernster wurde er, als er bis in vorchristliche Zeit zurück weisende Daten von Friedensverträgen in Blei schlug oder an den Übergängen zwischen Berlin West und Ost Bleiteppiche auslegte.
Heute ist Demnig in Köln zu Hause. Von dort aus erinnert er seit 2000 in ganz Europa an Holocaust-Opfer, indem er vor deren früheren Wohnungen "Stolpersteine" verlegt. Ein Stein steht für ein Schicksal. Messingplatten, auf denen jeweils ein Name eingeschlagen ist und die die obere Stein-Seiten abschließen, machen dies greifbar. 5 000 dieser zehn mal zehn mal zehn Zentimeter großen Betonquader liegen inzwischen in insgesamt 70 Städten. Öffentliche Etats werden dadurch nicht belastet. Paten übernehmen die anfallenden Kosten von 95 Euro pro Stein.
Auch in Wiesbaden will Gunter Demnig bekanntlich und womöglich schon Mitte April aktiv werden. Eine entsprechende, von Magistrat und auch Stadtparlament bereits abgesegnete Initiative geht auf die Fraktionen von SPD und Grünen zurück. Dass er sich und sein Projekt in Wiesbaden selbst vorstellt, ließ Gunter Demnigs, von Projektkoordinatorin Uta Franke straff geführter Terminkalender nun erstmals zu. So berichtete er in den vollen Räumen des Presseclubs von seinem Werdegang und erzählte von so erfreuten wie empörten Reaktionen auf seine Arbeit. Ärger mit den Behörden bekam er regelmäßig. Das begann bei bürokratischen Hindernissen und endete nicht selten mit Polizei-Einsatz.
Bei seinem Stolperstein-Projekt ist Demnig angewiesen auf archivarische Mithilfe an Ort und Stelle. Positive Erfahrungen hat er dabei mit Schulklassen gemacht. In Wiesbaden unterstützt ihn bereits das Stadtarchiv. Dessen Leiterin Brigitte Streich und ihr Team werten Gedenk- und Adressbücher, Akten und Register aus. So versuchen sie, die eklatante Lücke zu schließen, die seit 1945 in ihrem Datenfundus klafft, als ein Brand die Einwohnermeldedatei zerstörte. Dennoch: Nicht alles werd sich aufhellen lassen, sagte Streich. Das liegt aber auch gar nicht in der Absicht des Künstlers, der symbolisch an ausgewählten Stellen und nicht dokumentarisch arbeitet. Auch darauf, dass er jeden einzelnen Stein selbst herstellt und verlegt, besteht er. "Fabrikarbeit" verletze die Würde des Themas.
Quelle: Katinka Fischer, Wiesbadener Kurier, 15.2.2005