Der Zahn der Zeit macht auch vor historisch wertvollen Tonaufnahmen nicht halt. Reden von Kaiser Wilhelm II., Fonograf-Erfinder Thomas Edison oder Abraham Lincoln liegen in den Archiven zwar noch auf Schellacks und in Wachszylinder geprägt vor, doch die sind zerkratzt, verbeult und schmutzbedeckt, sodass ein Abspielen das Tonmaterial weiter zerstören würde.
Vitaliy Fadeyev und Carl Haber vom Lawrence Berkeley National Lab der Universität von Kalifornien haben eine Methode entwickelt, wie sich der Inhalt der alten Medien wieder abspielen lässt, ohne sie weiter zu beschädigen. Die beiden Physiker hatten die Idee, mit einem hochpräzisen Mikroskop, dem Smart Scope, das normalerweise in der Teilchenphysik zum Einsatz kommt, den Rillenverlauf auf der Plattenoberfläche zu scannen. Einzelbilder zerbrochener oder beschädigter Platten können genauso digital wieder zusammengesetzt werden.
Die hochauflösende Aufnahme wird von einer speziellen Software verarbeitet, die aus den vielen kleinen Wellen im Rillenverlauf den eigentlichen Ton rekonstruiert. Durch die hohe Auflösung beim Scannen erhalten die Forscher dabei mindestens zehnmal mehr Informationen, als die Nadel eines Plattenspielers abtasten kann. So stehen die Chancen für eine Rekonstruktion schadhafter Stellen gut. Ähnlich wie bei heute für den Heimbereich zur Überspielung von Langspielplatten auf CD-ROM verfügbarer Software rechnet das Programm dabei störende Kratzer heraus.
Die Datei, die eine digitale Kopie der Platte darstellt, kann auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das erste Werk, das durch die neue Technik wieder hörbar gemacht wurde, ist die Cover-Version von \“Goodnight Irene\“ der Gruppe The Weavers aus dem Jahr 1950.
Interesse und Fördergelder für die Entwicklung hat die Konservierungsabteilung der Library of Congress in Washington angemeldet, die 128 Millionen Tonaufnahmen auf verschiedenen Medien in ihrem Archiv beherbergt, darunter auch Wachszylinder, auf denen Töne vor 1902 aufgezeichnet wurden. Die Hälfte dieser Zylinder ist zerbrochen. Erste Erfolge in der Rekonstruktion dieses Mediums verzeichneten John McBride und Christian Maul an der Southampton-Universität, die einen Wachszylinder einscannten und von den Kollegen in Berkeley in eine Sounddatei transformieren ließen.
Die Forscher sehen es als Anreiz, Stimmen von Queen Victoria, Florence Nightingale oder sogar von Abraham Lincoln wieder hörbar zu machen. Laut Fadeyev und Haber wird es aber noch mindestens ein Jahr dauern, bis sie ein schnelleres und kompakteres Gerät entwickeln, das problemlos in den Archiven und nicht nur im Labor eingesetzt werden kann.
Quelle: diepresse.com, 12.2.2005