Am Mittwoch lag der \“Financial Times Deutschland\“ (FTD) wieder mal ein Klassiker der Ökonomie bei: Milton Friedmans \“Kapitalismus und Freiheit\“, wie üblich gekürzt auf 32 Seiten. Die Beilage ist Teil einer Reihe, die die FTD mit der \“Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft\“ herausgibt. Nun hätte der Zeitung an diesem Tag eigentlich ein anderer Wirtschaftsklassiker beiliegen sollen: Walter Euckens \“Grundlagen der Nationalökonomie\“ von 1940. Der müsse \“aus rechtlichen Gründen\“ entfallen, heißt es in der Zeitung lapidar. Weitere Erklärungen gibt es nicht.
Die erhält man von Walter Oswalt, Mitarbeiter des Walter-Eucken-Archivs in Frankfurt am Main. Das Archiv, das die Rechte an Euckens Nachlass hält, hat beim Landgericht Frankfurt eine Einstweilige Verfügung gegen die FTD erwirkt. Bei der schwierigen Kürzung des 300-Seiten-Werkes auf Broschüren-Format (vorgenommen von einer Firma namens Getabstract) sei Euckens Werk sinnentstellt wiedergegeben worden. Und es wimmle von Fehlern im Beitext. Da werde etwa erfunden, der NS-Gegner Eucken habe 1943 zusammen mit dem Nationalsozialisten Alfred Müller-Armack ein Werk namens \“Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft\“ herausgegeben.
Oswalt ist entsetzt über die Fehler und hat einen Verdacht. Schließlich geht es hier um die Kirchenväter des westdeutschen Wirtschaftsdenkens. Und die \“Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft\“ ist eine von der Industrie geförderte Lobbygruppe, die die deutsche Öffentlichkeit auf Reformkurs bringen will, indem sie rhetorisch an die Ursprünge der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Krieg anknüpft. Wollten die nun neben Ludwig Erhard und Müller-Armack plötzlich auch Eucken für sich vereinnahmen? Der aber war ein Radikalliberaler, dem schon diese Lobby ein Greuel wäre, meint Oswalt; er war ein Kämpfer nicht gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht, sondern gegen wirtschaftliche Macht schlechthin.
Eine Verschwörung also? Kaum, wenn man sich anschaut, wie schon der Name Ludwig Erhards auf den Webseiten der INSM falsch buchstabiert wird. Wohl eher Dummheit.
Quelle: Christian Esch, Berliner Zeitung, 27.1.2005