Dementis und Widersprüche folgten auf ein am Freitag bekannt gewordenes Arbeitspapier eines Staatssekretärs bei der Kulturstaatsministerin Christina Weiss, das die Auflösung der Bundesbehörde für die Stasiunterlagen (BStU) projektiert. Zwar dementierte die Staatsministerin beim Bundeskanzler und Beauftragte für Kultur und Medien, Christina Weiss, dass die Birthler-Behörde abgewickelt werde. Aber nach dem vergangene Woche angekündigten, umstrittenen Wechsel der Dienstaufsicht über die Behörde vom Innenministerium zur Kulturstaatsministerin zum 1. Januar 2005 wird nun vor einer Schwächung oder gar \“Entsorgung\“ der BStU mit dem Ziel, einen Schlussstrich unter das SED-Unrecht zu ziehen, gewarnt.
Dem internen Papier aus der Feder von Weiss-Staatssekretär Knut Nevermann zufolge, sollen 180 laufende Kilometer Akten, die die Bürgerbewegung der DDR 1989/90 vor den Stasi-Reißwölfen gerettet haben, bis zum Jahr 2010 ins Bundesarchiv "integriert" werden. Dazu gehören 40 Millionen Karteikarten und Hunderttausend Bild- und Tondokumente. Das Ansinnen löst sofort scharfe Proteste von SPD, FDP und Grünen aus, zumal sie auch vom Wechsel der Zuständigkeiten überrascht worden sind und sich übergangen fühlen. Weiss erklärte darauf sofort, dass man mit einer "Neukonzeption für die Aufarbeitung des SED-Unrechts "die Birthler-Behörde aufwerten, nicht abwickeln" wolle. Das "nicht abgesprochene\“ interne Papier sei nach ihren Worten "gegenstandslos \“. Der Vizepräsident des Bundesarchivs, Klaus Oldenhage, spekuliert nicht über ein Datum, wann die Zeit gekommen ist, die Stasi-Akten seiner Behörde zu übergeben. Dass sie aber nach Koblenz kommen, schließt er aus, weil das völlig unhistorisch wäre. Sie bleiben nach seiner Meinung in jedem Fall in Berlin, wo das nationale Gedächtnis der Nation bereits eine große "Filiale\“ besitze.
Die kulturpolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Alice Ströver, hat sich skeptisch über Pläne der Kulturstaatsministerin geäußert, die Stasiunterlagen-Behörde in ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der DDR-Vergangenheit einzubinden. Überlegungen, Aufgaben der Birthler-Behörde mit einem Gedenkstättenkonzept zu verbinden, bezeichnete Ströver als falsch. Die SED-Gedenkstätten seien bei Kulturstaatsministerin Weiss richtig angesiedelt, weil dies eine \“Kulturaufgabe\“ sei. Die Birthler-Behörde sei aber keine Gedenkstätte.
Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Konrad Weiß übt scharfe Kritik an der Bundesregierung. Die Bundesbehörde erfülle auf der Basis des deutschen Einigungsvertrags einen Verfassungsauftrag, den ein Minister nicht im Alleingang übergehen könne. Es sei allein Sache des Bundestages, über die Zukunft der Birthler-Behörde zu bestimmen. Die Zukunft der Birthler-Behörde sei, so Weiß, an den Interessen der Betroffenen zu orientieren. Daher ist es aus seiner Sicht Jahrzehnte zu früh, die Stasiunterlagen wie ganz normale staatliche Akten zu behandeln und dem Bundesarchiv oder Landesarchiven zu übergeben, wie es in dem Arbeitspapier vorgeschlagen werde. Der Auftrag der Behörde sei die Offenlegung der Akten für die Betroffenen, die im Rahmen der Archivgesetzgebung nicht mehr möglich wäre, so Weiß. Die Übertragung der Akten ans Bundesarchiv wäre somit eine \“politische Entscheidung, die den Intentionen der Bürgerbewegung entgegen liefe, die die Öffnung erkämpft hatte\“, erklärte er gegenüber der Netzeitung. Weiß äußerte Verständnis für die Kritik des Berliner SED-Forschers Manfred Wilke, der beklagt hat, dass es ein \“Sonderrecht\“ für den Zugang zu Stasiunterlagen gebe, das die Forschung erschwere. Wer ernsthaft forschen wolle, komme in der Regel auch an die Informationen, die er brauche, meint Weiß. Das \“höhere Gut\“ sei jedoch der Auftrag der Behörde, die \“unbegrenzte Einsichtnahme für die Betroffenen zu gewähren\“. Sie werde darin ohnehin durch das restriktive Urteil zur Öffnung der Akte von Altkanzler Helmut Kohl behindert.
Der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Nooke, begrüßte, dass die Staatsministerin Gerüchte dementiert habe, die von der Abwicklung der Birthler-Behörde wissen wollten. Es komme darauf an, die Kontinuität der Arbeit zu gewährleisten. Die Behörde müsse ihre Aufgaben solange erfüllen können, wie der Bedarf danach bestehe. Die Leidtragenden seien sonst diejenigen, die den Wunsch persönlicher Akteneinsicht besäßen.
Quellen: Dietmar Neuerer, Netzeitung, 10.12.2004; ots-Originaltext: CDU/CSU – Bundestagsfraktion; Joachim Widmann, Netzeitung, 10.12.2004; Ursula Samarv, Rhein-Zeitung, 11.12.2004, 3.