Bayern und Salzburg im 19. und 20. Jahrhundert

Das Salzburger Landesarchiv und die Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns veranstalten am 25. und 26. November im Vortragssaal der Generaldirektion in München, Schönfeldstraße 5, die wissenschaftliche Tagung „Vom Salzachkreis zur EuRegio – Bayern und Salzburg im 19. und 20. Jahrhundert“, die von beiden Instituten vorbereitet und gestaltet wird. 

Die geschichtswissenschaftlich ausgerichtete Tagung beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Verhältnisses zwischen Bayern und Salzburg in den letzten beiden Jahrhunderten. Referentinnen und Referenten aus Salzburg und Bayern werden die wechselseitigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Beziehungen und Einflüsse historisch ausloten. Dabei sollen der (oft unbefriedigende) Forschungsstand bilanziert und wünschenswerte Forschungsperspektiven entwickelt werden. Die Veranstaltung ist als Expertentagung angelegt, auf der die Beiträge erstmals vorgelegt werden. 

Die wechselvolle gemeinsame und getrennte Geschichte beiderseits der Salzach wird in 13 Fachvorträgen zu unterschiedlichen Fachbereichen beleuchtet:

Donnerstag, 25. November, 9.30 bis 12.30 Uhr: 

  • Salzburg als Objekt der Außenpolitik in Wien und München 1789 bis 1816 (Ass. Prof. Dr. Alfred Stefan Weiß, Salzburg); 
  • Salzburg in Bayern – Der Salzachkreis (HR Dr. Fritz Koller, Salzburg); 
  • Das bayerische Salzburg: Der Rupertiwinkel – Veränderungen einer Identität 1816 bis 1945 bis 1972 (Hans Roth, Laufen); 
  • Die kirchliche Neuordnung: Das Ende der bayerischen Kirchenprovinz mit dem Metropolitansitz Salzburg (Dr. Peter Pfister, München).

Donnerstag, 25. November, 14.30 bis 17.30 Uhr: 

  • 175 Jahre Entwicklung der grenzüberschreitenden Holz- und Salzwirtschaft auf der Grundlage der Salinenkonvention 1829 bis 2004 (Dr. Johannes Lang, Bad Reichenhall); 
  • Die österreichische Kaiserin-Elisabeth-Bahn und die bayerische Tauern-Bahn: Der Salzburger Zentralraum und seine Bedeutung für das bayerische Verkehrswesen (Prof. Dr. Hermann Rumschöttel, München); 
  • Die zentrale Funktion der Stadt Salzburg für die Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein (EuRegio) und die Ständige Gesprächsgruppe Bayern-Salzburg (Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kramer, München); 
  • ‚Der kleine Grenzverkehr’: Wechselnde Orientierungen in der Migration von Arbeitskräften und im Kaufkraftabfluss (Univ.-Prof. Dr. Christian Dirninger, Salzburg); 
  • Öffentlicher Abendvortrag von Prof. Dr. Albert Scharf, Intendant des Bayerischen Rundfunks a. D.: Bayern und Salzburg im Wechsellicht oder Gott erhalte uns unsere Vorurteile.

Freitag, 26. November, 9.00 bis 13.00 Uhr: 

  • Die Wittelsbacher in Salzburg (HR Dr. Friederike Zaisberger, Salzburg); 
  • Wagnerianer und Großdeutsche in Salzburg: Die Festspielidee in Bayreuth und Salzburg (Univ.-Prof. Dr. Robert Hoffmann, Salzburg); 
  • Unruhige Grenzen – unruhige Nachbarn. Salzburg und Bayern 1918 bis 1938 vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NSDAP (Dr. Oskar Dohle, Salzburg); 
  • Der Reichsgau Salzburg im Hintergrund der ‚Führerresidenz’ Obersalzberg (Univ.-Prof. Dr. Ernst Hanisch, Salzburg); 
  • Volkskultur und Brauch in Salzburg und Bayern (PD Dr. Manfred Seifert; Passau).

Kontakt:
Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, 
Schönfeldstraße 5, 
D-80539 München
Tel. 0049-89-28638-2482
FAX 0049-89-2863-2615
poststelle@gda.bayern.de

Salzburger Landesarchiv, 
Michael-Pacher-Straße 40, 
A – 5010 Salzburg, 
Tel. 0043-662-8042-0
FAX 0043-662-8042-4661
landesarchiv@salzburg.gv.at

Quelle: ÖJ-Österreich-Woche, 16.-22.11.2004

Tickende Zeitbomben

Kleinbild-, Plan-, Schmal- und Kinofilme, die vor den fünfziger Jahren produziert wurden, können für die Keller und Archive, in denen sie gelagert werden, bekanntlich brandgefährlich werden: Das Trägermaterial, damals noch aus Nitrocellulose hergestellt, kann ohne fremdes Zutun explodieren – wie 1988 im Koblenzer Bundesarchiv auf der Festung Ehrenbreitstein. Die wertvollen Filmrollen schossen damals explosionsartig aus den Fenstern.

Im Reutlinger Stadtarchiv, der größten Fotosammlung Baden-Württembergs, entdeckte der Arbeitsschutzbeauftragte im vergangenen Jahr vierzig Regalmeter mit Negativen auf Nitrocellulosebasis: Wertvolle Zeugnisse städtischer Geschichte. Darunter auch zwei große Nachlässe der ortsansässigen traditionsreichen Fotohäuser Dohm und Näher, die das Reutlinger Stadtbild und -geschehen ab den 1920er Jahren in großer Dichte und Professionalität dokumentieren. Nun werden die Filme nach und nach in einen sprengstoff-geeigneten Bunker umgelagert. Aufschluss über die Gefährlichkeit von Filmen aus Nitrocellulose geben die Typenbezeichnungen am Rand.

Kontakt:
Stadtarchiv Reutlingen
Marktplatz 22 
72764 Reutlingen 
Telefon: 07121 / 303 – 2386
Telefax: 07121 / 303 – 2758
stadtarchiv@reutlingen.de

Quelle: Nachrichten, SWR.de, 16.11.2004

Notwendiger Dialog zwischen Archivaren und Historikern

Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2002 die Arbeitsgruppe „Informationsmanagement der Archive“ einsetzte, beabsichtigte sie, Perspektiven für zukünftige Arbeitsfelder und Strategien, für Kooperationen zu Bibliotheken, Museen und vor allem der Geschichtswissenschaft zu eröffnen. Über den in diesem Kontext am 5. Oktober 2004 im Westfälischen Landesmuseum durchgeführten DFG-Workshop \“Die Geschichtswissenschaften und die Archive. Perspektiven der Kooperation\“ berichten Ragna Boden, Christine Mayr, Christoph Schmidt und Thomas Schwabach (alle Staats- und Personenstandsarchiv Detmold) im Forum Bewertung.

Als erster Referent und Vertreter der universitären Geschichtswissenschaft trug Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer (Universität Münster) vier Vorschläge zu möglichen Kooperationsfeldern zwischen Forschung und Archiven vor. Er betonte dabei zunächst den seit dreißig Jahren voranschreitenden Wandel der historischen Fragestellungen, die eine Zusammenarbeit beider Institutionen bei der Erschließung neuer Quellengruppen ebenso sinnvoll erscheinen ließen wie bei der Zugänglichmachung historisch relevanter Altakten in den Behörden. Ein verstärktes Engagement der Archive sei aus Sicht der Geschichtswissenschaften zudem bei der Betreuung und Erschließung nicht-staatlichen Schriftgutes notwendig, da diese eine wertvolle Ergänzungsüberlieferung zu behördlichen Unterlagen darstellen könnten, sowie bei der immer noch problematischen Erschließung visueller Quellen.

Den zweiten Referatsteil der ersten Sektion eröffnete Dr. Robert Kretzschmar, der die aktuelle Diskussion der Überlieferungsbildung aus archivischer Sicht skizzierte und mögliche Formen der Kooperation mit den Geschichtswissenschaften aufzeigte. Unter Bezugnahme auf das DFG-Positionspapier sowie ein Positionspapier des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA erläuterte Kretzschmar aktuelle, prospektiv orientierte Bewertungsmodelle und skizzierte die dazugehörigen Arbeitsschritte. Eine mögliche Mitwirkung der Geschichtswissenschaften bei der Überlieferungsbildung sei weniger bei der genuin archivischen Aufgabe der Bewertung anzustreben, als vielmehr bei der Evaluation des „Erfolges“ von Bewertungsmodellen, bei der Diskussion um Zielsetzungen von Bewertungen sowie bei der Förderung der Historischen Hilfswissenschaften.

In das Thema der Nachmittagssektion, „Informationsvermittlung für die Geschichtswissenschaften aus Archiven – Angebot und Nachfrage“, führte Dr. Mechthild Black-Veldtrup ein, indem sie betonte, dass die Archive vor allem durch die verstärkte Bereitstellung von Metainformationen, wie etwa online zugänglichen Findmitteln, ihre Öffentlichkeitswirkung verbessern könnten. Gerade hier wirke sich auch die Zusammenarbeit mit der DFG positiv aus, welche die Nutzung des Internets durch Archive bereits sehr früh gefördert habe.

Als erster Referent stellte dann Prof. Dr. Hartmut Weber das Internetangebot des Bundesarchivs und die Planungen für ein gemeinsames Internet-Portal der deutschen Archive vor. Als Ziele des Bundesarchivs beim Angebot von Online-Dienstleistungen im Rahmen des Regierungsprogramms „Bund online 2005“ nannte er die Beratung von Behörden, die Koordinierung der Übernahme von Archivalien sowie deren Publikation. Anschließend referierte Dr. Frank M. Bischoff (Archivschule Marburg) zur „Kommunikation im Internet“, insbesondere über Austauschformate. Ebenso wie Weber forderte er, die Wahrnehmung der Archive im Internet zu stärken und sich dabei insbesondere auf die Präsentation von Findmitteln zu konzentrieren. Große Bedeutung maß er der Erstellung und dem Ausbau von Archivportalen zu, die die Archivlandschaft einer Region oder Sparte transparent machten und Archiven wie Benutzern einen „informationellen Mehrwert“ böten.

Im zweiten Teil dieser Sektion forderte Prof. Dr. Ute Daniel (Technische Universität Braunschweig) eine Überwindung der „Ressentimentkultur“ zwischen den „Zünften“ der Historiker und Archivare, die vor allem auf wechselseitiger Unkenntnis bei gleichzeitiger Abhängigkeit „engsten Grades“ voneinander beruhe. Schließlich sprach Prof. Dr. Gudrun Gersmann (Universität Köln) zum Thema „Geschichtswissenschaften und neue Medien“. Das Internetangebot, auch das von Archiven und Bibliotheken, habe in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Anhand einiger Beispiele erläuterte sie die Vorteile, die gut strukturierte Online-Angebote besonders für den universitären Lehrbetrieb böten.

Einstimmigkeit herrschte in der anschließenden Diskussion hinsichtlich der Auffassung, dass die Archive verstärkt allgemeinere Informationen über Bestände und Findbücher als Zugangsvoraussetzung in ihr Online-Angebot integrieren sollten. Es existierten im Internet bereits diverse hilfswissenschaftliche Angebote von Archiven und anderen Einrichtungen, die durch eine verstärkte Verlinkung besser integriert werden könnten, woraus sich Synergieeffekte ergäben.

Quelle: DFG-Workshop \“Die Geschichtswissenschaften und die Archive. Perspektiven der Kooperation\“ 5. Oktober 2004 Westfälisches Landesmuseum Münster
Tagungsbericht von Ragna Boden, Christine Mayr, Christoph Schmidt und Thomas Schwabach (Staats- und Personenstandsarchiv Detmold)

Reußen-Prozess um Immobilien-Rückgabe geht weiter

Nach mehr als neunmonatiger Unterbrechung wird der Prozess um Immobilien-Forderungen des durch die sowjetische Besatzungsmacht nach 1945 enteigneten Fürstenhauses Reuß im Dezember vor dem Verwaltungsgericht Gera fortgesetzt. Nach Informationen von MDR 1 Radio Thüringen will die Familie Dokumente aus russischen Archiven zur Enteignung präsentieren. Dabei geht es um eine so genannte Schutzliste. Vermögen, die auf dieser \“B-Liste\“ der sowjetischen Besetzungsmacht standen, waren von Enteignungen verschont. Das Fürstenhaus war auf einer \“B-Liste\“ im Moskauer Staatsarchiv vermerkt, nicht aber auf einem Papier im Weimarer Staatsarchiv

Die Reußen möchten erreichen, dass die Enteignung ihres Vorfahren Heinrich XLV. durch die sowjetischen Militärbehörden für unrechtmäßig erklärt wird. In diesem Fall müßten mehrere Immobilien in und um Gera zurückgegeben werden, darunter Schloß Osterstein. Das Adelshaus argumentiert, dass Erbprinz Heinrich XLV. außer der deutschen auch die englische Staatsbürgerschaft besessen habe. Er hätte damit nicht enteignet werden dürfen. 

Quelle: Die WELT, 16.11.2004

Düsseldorfer Stadtmuseum entdeckt die Museumspädagogik

Als die Direktorenstelle des Düsseldorfer Stadtmuseums im letzten Jahr mit Susanne Anna neu besetzt wurde, wurde zugleich die Gelegenheit genutzt, eine Neukonzeption des alten, dreigeteilten Speeschen Palais in Auftrag zu geben. Damit ist Düsseldorf die erste Stadt in Deutschland, die sich den Luxus eines so gut wie neuen Stadtmuseums leistet. Jahrzehntelang galt vor allem die Devise, das Bestehende zu erhalten und möglichst wenig zu investieren. Besonders die Stadtmuseen leiden unter den Sparzwängen der vergangenen Jahre. Sie gelten oft als unattraktiv und haben, im Vergleich etwa zu den großen Kunsthallen, kaum Spektakuläres zu bieten. Selbst in der ehemaligen Residenz- und heutigen Landeshauptstadt Düsseldorf fristete das Stadtmuseum ein Schattendasein.

Die neue Direktorin Susanne Anna wurde nun aber nicht nur mit weitreichenden Befugnissen, sondern auch mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet. Der Ausstellungsetat allein wurde auf eine viertel Million Euro verfünffacht, und für die Sanierung des Hauses stehen im nächsten Jahr 500.000 Euro zur Verfügung. Die Umbauphase soll im Mai 2005 beginnen, die Wiedereröffnung ist für Januar 2006 geplant. Bis dahin wird der Altbau mit seinen fast 50 Räumen von Grund auf saniert. Etliche Wände werden entfernt und alle mit Pappe verklebten Fenster geöffnet.

Die Dauerausstellung soll chronologisch und thematisch geordnet werden. Herausragende Gestalten der Stadtgeschichte, wie Johannes Ey oder Joseph Beuys, bekommen eigene Räume. Dazwischen stehen immer wieder Computer, an denen sich die Besucher umfassend informieren können. Zudem werden sie mit PDAs (Portable Digital Assistents) ausgestattet, die sie durch die Ausstellung begleiten. Auch wird es Projekträume geben, in denen aktuelle Bezüge zwischen dem Museum und der Stadt hergestellt werden können. Insgesamt wird es zwar weniger zu sehen geben – etwa zehn Prozent der rund 100.000 Exponate. Dafür wird das Düsseldorfer Stadtmuseum, das 30 festangestellte Mitarbeiter hat, aber künftig freien Eintritt gewähren: am Wochenende bis 24 Uhr, unter der Woche bis 20 Uhr.

Kontakt:
Stadtmuseum Düsseldorf
(ehem. Palais Spee)
Berger Allee 2
40213 Düsseldorf
Tel. 0211/8996170
Fax: 0211/8994019
gabriele.frind@stadt.duesseldorf.de

Quelle: Peter-Philipp Schmitt, FAZ, 15.11.2004, 8.

Abschiedsbriefe der Lübecker Blutzeugen

Während des 20. Jahrhunderts haben mehr Christen und Christinnen aufgrund ihres Lebenszeugnisses für Jesus Christus einen gewaltsamen Tod erlitten als in den vorangegangenen Jahrhunderten. In der russischen Revolution, unter den Regimen von Nationalsozialismus und Stalinismus und in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurden sie wegen ihres Glaubens, ihres Einsatzes für verfolgte oder ihnen anvertraute Menschen sowie ihres Widerstands gegen die Diktatur inhaftiert, gefoltert und getötet.

Der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink, seit 1934 an der Lutherkirche in Lübeck, wurde zusammen mit den drei jungen katholischen Geistlichen Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller am 10. November 1943 enthauptet. Gemeinsam hatten die vier Geistlichen Predigten des Bischofs von Münster, Graf von Galen, vervielfältigt und verteilt, in denen dieser sich gegen die Vernichtung psychisch und physisch Kranker wandte. Auf Gruppenabenden in der katholischen Herz-Jesu-Kirche war offen über die Sinnlosigkeit des Krieges diskutiert worden. Zusammen mit einigen Laien wurden die vier Geistlichen Anfang April 1942 verhaftet, nachdem Stellbrink nach der Bombardierung Lübecks am 28./29. März 1942 diese in einer Predigt als Strafe Gottes bezeichnet hatte. 

Im Juni 1943 wurden Stellbrink, Prassek, Lange und Müller vom eigens aus Berlin angereisten Volksgerichtshof wegen "landesverräterischer Feindbegünstigung\“, \“Wehrkraftzersetzung\“, Vergehen gegen das \“Rundfunkgesetz\“ und das \“Heimtückegesetz\“ zum Tode verurteilt und im Gefängnis von Hamburg-Hohenglacis mit dem Fallbeil hingerichtet; die Laien bekamen Zuchthausstrafen. 

In den folgenden Monaten ging es um die Frage, ob die Abschiedsbriefe der vier Lübecker freigegeben werden könnten. Es bestand nämlich die Sorge der NS-Justiz, durch eine Verbreitung der Abschiedsbriefe könnten die vier Geistlichen als Märtyrer angesehen werden. So wurden nicht nur Langes und Prasseks an den Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning, sondern auch ihre und Pastor Stellbrinks Briefe an die Familien nicht ausgehändigt. Klemens-August Recker entdeckte schon vor einigen Jahren Langes und Prasseks Abschiedsbriefe an Bischof Berning. Aber erst in diesen Tagen fand der Historiker Peter Voswinckel die Briefe Karl Friedrich Stellbrinks und Johannes Prasseks an ihre Angehörigen. Seinen Fund verdankt Voswinckel sowohl der Ordnungsliebe der Nationalsozialisten wie der notorischen Sammelleidenschaft der DDR. Die Briefe lagerten im Zentralen Staatsarchiv Potsdam und liegen nun im Bundesarchiv Berlin in Lichterfelde.

Der Kaplan Johannes Prassek schrieb am Tag seiner Hinrichtung Briefe, die allesamt nicht weitergeleitet wurden. Voswinckel entdeckte alle, und auch einen, der 1970 schon in einer DDR-Publikation verkürzt und ohne Quellenangabe von Luise Kraushaar, einer Mitarbeiterin von Anna Seghers, publiziert wurde. Mit der Entdeckung der Quellen fällt, so bemerkt Martin Thoemmes im Feuilleton der FAZ, eine neue Wendung in der Geschichte des Gedenkens an die Lübecker Märtyrer zusammen. Denn Ende November wird das Seligsprechungsverfahren der drei katholischen Geistlichen eingeleitet, das es in der evangelischen Kirche nicht gibt. Gleichwohl werden evangelische und katholische Kirche anlässlich des Seligsprechungsprozesses eine gemeinsame Stellungnahme herausgeben, in der die Verbundenheit des evangelisch-lutherischen Pastors Stellbrink und seiner drei katholischen Mitbrüder im gemeinsamen Glauben an Christus betont wird.

Quelle: Martin Thoemmes, FAZ, 15.11.2004, 36; BBKL; Ökumenisches Heiligenlexikon

Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945

Bereits 1998 wies das Hessische Finanzministerium die Finanzbehörden des Landes an, in ihren Aktenbeständen nach Unterlagen zu suchen, die die Beteiligung des Fiskus an der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung in der Nazizeit belegen. Die Übergabe der in Hessen aufgefundenen Dokumente an das Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, das zu diesem Zeitpunkt bereits über einschlägiges Schriftgut der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung und über Unterlagen jüdischer Rechtsanwälte sowie einen Bestand an Schriftgut aus dem Bereich der Wiedergutmachung in sehr erheblichem Umfang verfügte, gab Anlass zu einem Dokumentations- und Forschungsprojekt, das vom Fritz Bauer Institut durchgeführt wurde. Die gesichteten Devisenakten, Steuerakten, Vermögenskontrollakten und Handakten jüdischer Rechtsanwälte belegen eindrücklich die fiskalische Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung Hessens im Dritten Reich. 

Das Forschungsprojekt des Fritz Bauer Instituts bildete die Grundlage für eine gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk (hr) konzipierte und realisierte Ausstellung sowie den Film „Der große Raub“ (hr, 2002). "Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945" lautet der Titel der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des hr, die das Geschehen der fiskalischen Judenverfolgung auf regionalgeschichtlicher Ebene dokumentiert. Noch bis zum 4. Dezember kann die Ausstellung von Mittwoch bis Samstag in der Zeit von 11 bis 18 Uhr besichtigt werden. Zur Vor- und Nachbereitung eines Ausstellungsbesuches steht eine Mappe mit Arbeitsmaterialien und Bearbeitungsvorschlägen zur Verfügung. Zur Ausstellung ist außerdem in der Reihe s-selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ein Katalog erschienen.

Begleitprogramm

Mittwoch, 17. November, 19.30 Uhr 
„Rückerstattung und Wiedergutmachung. Vermögensrestitution in der Amerikanischen Besatzungszone und ihre Folgewirkungen für die Rückerstattung in der BRD“ 
Vortrag von Peter Heuss 
Ort: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Rheinstr. 23-25 

Mittwoch, 24. November, 18 Uhr 
Depotführung im Museum Wiesbaden mit Dr. Renate Petzinger und Dr. Volker Rattemeyer 
Treffpunkt: Eingang Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2 

Samstag, 27. November, 10 – 12 Uhr 
\“Archivgut im Hessischen Hauptstaatsarchiv zur fiskalischen Ausplünderung der Juden unter der NS-Diktatur\“ 
Ort: Hessisches Hauptstaatsarchiv
Es wird um Anmeldung gebeten unter der Telefonnummer 0611 / 8810 in der Zeit von Montag bis Freitag von 9 – 12 und 13 – 15 Uhr. 

Samstag, 27. November, 15 Uhr 
Erzählcafé mit Gertie Mayer-Jorgensen 
Bistro „Durchblick“ in der vhs 
Ecke Schiersteiner Straße/Willy-Brandt-Allee, 65197 Wiesbaden, 
ESWE-Buslinien 5,8,15, Haltestelle Willy-Brandt-Allee/Volkshochschule 

Dienstag, 30. November, 19.30 Uhr 
Deutschland, ich komme wieder 
Lesung mit Moritz Neumann 
Thomas Richter (Flöte), Peter Bechtel (Fagott) und Karin Scholz (Gitarre) spielen Kompositionen von George Dreyfus 
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Rheinstr. 23-25 
Eintritt: 5 €, erm. 2,50 € 

Donnerstag, 2.12., 20 Uhr 
Die Akte Joel 
Caligari FilmBühne 
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden 
Eintritt: 5 €, erm. 4 € 

Samstag, 4.12., 15 Uhr 
Stadtführung zu den Stätten der Ausplünderung in Wiesbaden 
mit Dorothee Lottmann-Kaeseler, Aktives Museum Spiegelgasse 
Treffpunkt am Rathaus; Abschluss in der Spiegelgasse 11, 
Anmeldung: Tel. 0611-305221 

Rückfragen
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst
Elisabeth Abendroth
Tel.: 0611/32-3471 
e.abendroth@hmwk.hessen.de 
Hessischer Rundfunk
Dr. Bettina Leder-Hindemith 
069 / 1554038 
Fritz Bauer Institut
Katharina Stengel 
069 / 798322-40

Quelle: hr, 12.11.2004

Fiskalische Judenverfolgung

Noch bevor die deutschen Juden in den Konzentrationslagern ermordet wurden, raubte man ihnen die materielle Existenz. Zu den wichtigsten Akteuren im Prozess der wirtschaftlichen Ausplünderung der deutschen Juden gehörten die staatlichen Finanzbehörden. Die fiskalische Verfolgung umfasste vor allem steuerliche Diskriminierungen, die Sperrung und Beschlagnahmung von Emigrantenvermögen, Sonderabgaben (insb. die "Judenvermögensabgabe") sowie die Einziehung und Weiterverwertung des Eigentums der Deportationsopfer ("Aktion 3").

Erstmals stellte nun ein seit Sommer 2001 laufendes Forschungsprojekt der Universität München eine Untersuchung zu diesem deutschlandweit bisher wenig beachteten Thema der fiskalischen Judenverfolgung vor. Das 900 Seiten starke Ergebnis der vom bayerischen Finanzministerium angestoßenen und mit rund 375.000 Euro geförderten Forschung verdeutlicht die Methoden der staatlichen Finanzbehörden in diesem Geschehen. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: die erste ist die der steuerlichen Diskriminierungen und Sonderabgaben. In diesem Zusammenhang kam es gegenüber Juden zur Außerkraftsetzung zweier zentraler steuerrechtlicher Grundsätze – nämlich die Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen und die Leistungsbezogenheit der Steuern. Den zweiten Bereich der Judenverfolgung bildete der große Komplex der Verwaltung und Verwertung konfiszierten Eigentums von jüdischen Emigranten und später von Deportierten ("Aktion 3"). Hier war die Finanzverwaltung ausführender Arm einer umfassenden staatlichen Ausplünderung. 

Das mit dem Forschungsprojekt beauftragte und unter der Leitung von Hans-Günter Hockerts (LMU München) arbeitende Historiker-Trio Axel Drecoll, Christiane Kuller und Tobias Winstel wertete mehrere tausend Akten aus, die bis dahin teils Verschlusssache waren, durchforstete dabei – mit Mundschutz ausgerüstet – verschimmelte Archivbestände in München oder Nürnberg. Dabei versuchten sie genau die Wege der jüdischen Besitztümer nachzuzeichnen, von der Enteignung und Versteigerung bis hin zu ihrer teilweisen Rückgabe nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Profiteur dieses ungeheuren fiskalischen Raubzugs und gleichzeitig zentrale Vermittlungsinstanz war vor allem der Staat. Aber auch weite Kreise der Bevölkerung erzielten ihren Vorteil. Was das Finanzpräsidium oder öffentliche Einrichtungen selbst nicht verwenden konnten, wurde von den Stadtverwaltungen verkauft. 

Link: Projekt \“Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern\“ an der LMU München:
http://www.geschichte.uni-muenchen.de/ngzg/hockerts/forschung_finanzverwaltung.shtml 

Kontakt:
Prof. Dr. Hans Günter Hockerts
Besucheradresse:
Schellingstr.12 / I
Lst.Hockerts[at]lrz.uni-muenchen.de

Postadresse des Lehrstuhls:
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Tel: 089/2180-2495
Fax: 089/2180-2862

Quelle: Julia Lenders (dpa), Stern, 12.11.2004; Christiane Kuller: Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Antisemitische Fiskalpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, 13.09.2004.

Quellen zur badischen Landeskirche im Dritten Reich

Nach den in den Jahren 1991 bis 2003 erschienenen umfangreichen Dokumentenbänden I-IV zur Geschichte der badischen evangelischen Landeskirche während des Dritten Reiches konnte nunmehr mit Band V (1933-1945) der letzte Dokumentenband dieser Quellensammlung vorgelegt werden (2005 soll noch ein abschließender Generalregisterband folgen).

Dieser von mehreren Autorinnen und Autoren aus der Fachkommission des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden bearbeitete Band unterscheidet sich – ebenso wie sein vor Jahresfrist veröffentlichter Vorläufer – in seiner Herangehensweise von den älteren Bänden der Quellensammlung: Es sollte hierin weniger um (staats-)kirchenrechtliche Auseinandersetzungen und institutionelle Fragen gehen, sondern vielmehr konkretes Verhalten der Kirchenleitung und der Pfarrerschaft sowie kirchlicher Einrichtungen und Einzelpersonen in der Gemeinden der Landeskirche in den Blick genommen werden.

Der vor allem aus den Archivalien des Landeskirchlichen Archivs Karlsruhe, hiesigen Staats-, Anstalts- und Gemeindearchiven sowie aus zeitgenössischen Periodica bestückte Dokumentenband beinhaltet auf mehr als vierhundert Druckseiten rund 300 Quellen zu folgenden, wiederum mehrfach untergliederten Oberthemen: 1. Das Verhalten in der Landeskirche angesichts von Eugenik-Gesetzgebung und Euthanasie-Aktionen, 2. Die Innere Mission in Baden während des Krieges, 3. Widerständiges Verhalten in der Landeskirche, 4. Der Einfluss des Krieges auf die Arbeit in der Landeskirche, 5. Der Neuanfang in der Landeskirche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Juni 1945 bis Februar 1946.

Bei dem ältesten Dokument dieses Bandes handelt es sich um die bereits publizierte Treysaer Resolution des Central-Ausschusses für Innere Mission (IM) vom 20. Mai 1931, in der die evangelische „Fachkonferenz für Eugenik“ in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise programmatisch die IM-Position für eine „differenzierte Fürsorge“ und gegen die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ formulierte. Zwar fordere die ärztliche Ethik unbedingte Hilfsbereitschaft, doch sollten erhebliche Aufwändungen nur für solche Gruppen Fürsorgebedürftiger gemacht werden, „die voraussichtlich ihre volle Leistungsfähigkeit wieder erlangen“.

Bei dem jüngsten Dokument der Quellensammlung handelt es sich – abgesehen von Inschriften auf Gedenksteinen, an Mahnmalen und Gedenkstätten – um ein Solidaritätsschreiben von Landesbischof D. Julius Bender (1946-1964) an den zeitweilig wegen vermeintlicher „Tötung von geisteskranken Kindern im Unterschwarzacher Hof bei Mosbach“ angeklagten Pfarrer und ehemaligen Anstaltsleiter Robert Wilckens vom 14. Juli 1948. Als im Sommer 1940 auch aus der kirchlichen Anstalt Mosbach Transporte von Heimbewohnern in staatliche Vernichtungsanstalten im Rahmen der sog. „Aktion T4“ durchgeführt wurden, habe Wilckens jedoch um die „Erhaltung Ihrer Pfleglinge gerungen“, so Landesbischof Bender 1948. – 1951 wurde Wilckens die Wichernplakette des Central-Ausschusses für IM für wertvolle Dienste in der Diakonie verliehen.

Die beiden vorgestellten Quellen, die mit der Euthanasie nur eines der im Buch angesprochenen Themenfelder berühren, verweisen gleichwohl auf ein allgemeines Dilemma kirchlicher Existenz im Nationalsozialismus: Die badische Kirchenleitung nahm die Entwicklungen im Kontext der „Endlösung der Sozialen Frage“ zwar am Rande wahr, bezog aber keine Stellung. Die Innere Mission reagierte, als auch kirchliche Anstalten vom Massenmord an Heimbewohnern betroffen waren, auf verschiedene Weise. Es gab verwaltungsinterne Proteste wie auch eine widerstrebende Beteiligung an den Todestransporten. Äußerungen aus der Nachkriegszeit machen deutlich, so formuliert es Hans-Werner Scheuing in dem von ihm verantworteten Abschnitt des Dokumentenbandes, dass die Innere Mission in der NS-Zeit in erster Linie für den Erhalt ihrer Einrichtungen gekämpft habe. So hätten dann die kirchlichen Einrichtungen das Dritte Reich „überlebt“, während ein großer Teil ihrer Bewohner sterben musste.

Info:
Die Evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich. Quellen zu ihrer Geschichte,
im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe gemeinsam mit einer Fachkommission herausgegeben von Gerhard Schwinge,
Band V: 1933-1945/46, Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden, Bd. 61,
PV Medien Verlag Karlsruhe 2004, ISBN 3-87210-916-2

Zugang zu Archiven in Rumänien gefordert

Nachdem der scheidende rumänische Präsident Ion Iliescu vor einem Jahr eine 30-köpfige internationale Expertenkommission unter dem Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel zur Untersuchung des Holocaust in Rumänien während des Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatte, stellte er nun in Bukarest den fast 1.000 Seiten starken Abschlussbericht der Kommission vor. Dem Bericht zufolge waren die rumänischen Machthaber des Militärdiktators Ion Antonescu die Haupttäter des Holocaust, bei dem ab 1941 in Rumänien und in den von Rumänien kontrollierten Gebieten bis zu 410.000 Juden und 25.000 Roma ermordet worden sind. Außer Deutschland sei kein Land in einem solchen Ausmaß in Massaker an Juden involviert gewesen. 

Allerdings verbindet die internationale Expertenkommission auch Kritik an der aktuellen "Vergangenbewältigung" mit der Vorstellung ihres Bericht, verweist unter anderem auf den Umstand, dass es seit dem Ende des Kommunismus in Rumänien mehrere Fälle gegeben habe, wo Kriegsverbrecher rehabilitiert wurden. Des weiteren mahnt die Kommission an, vorhandene Gesetze anzuwenden oder zu verbessern, und fordert schließlich die rumänische Regierung auf, ein ständiges Gremium einzurichten, das über die Umsetzung des Berichtes wacht und die Forschung über den Holocaust weiter vorantreibt. Dazu, so die Kommission, sei der unbeschränkte Zugang zu den Archiven der rumänischen Regierung unbedingte Voraussetzung. Zwar war der Kommission dieser unbeschränkte Zugang zugesichert worden, die Archive der Verwaltungsbehörde der Securitate waren jedoch ebenso nur bedingt zugänglich, wie auch die Archive der katholischen Kirche in Temeswar. 

Quelle: Barbara Oertel, taz Nr. 7511 vom 11.11.2004, 10