Der Sammelband "Die Überlieferung der Diktaturen" von Agnés Bensussan, Dorota Dakowska und Nicolas Beaupré, den Katarzyna Stoklosa für H-Soz-u-Kult rezensiert hat, bietet nach den Worten der Verfasser einen Vergleich \“der deutschen und polnischen Erfahrungen in ihrem jeweiligen Umgang mit den Polizeiarchiven des Kommunismus\“. Die meisten Buchbeiträge betreffen die Öffnung der Archive der Geheimpolizeien und deren Auswirkungen auf politische und wissenschaftliche Debatten in Deutschland und Polen, wodurch mögliche Analogien bzw. Konvergenzen festgestellt werden sollen. Der Sammelband gliedert sich in zwei Teile: \“Geheimpolizeiarchive: Archive wie andere?\“ (I.) und \“Geschichte schreiben\“ (II.).
Die Autoren des ersten Teiles, die überwiegend Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) und des polnischen Instituts für Nationales Gedenken (IPN) sind, beschreiben die beiden Institutionen, ihre Funktionsweisen, die Gründungsgeschichten sowie Möglichkeiten und Probleme, die sich aus dem Zugang zu den Archivquellen ergeben. Bei der Analyse der rechtlichen Voraussetzungen kommt der Historiker Krzysztof Persak zu dem Schluss, Wissenschaftler hätten leichteren Zugang zu den Akten als die \“Geschädigten\“ selbst.
Günter Bormann schildert aus der internen Perspektive die Arbeit der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen mit dem Ziel, die für die Wissenschaftler relevanten Probleme und Chancen erkennbar zu machen. Das BStU-Archiv sei \“ein besonders schwieriges, anspruchsvolles und in der Erschließung befindliches Archiv\“, das den Wissenschaftlern mit Einschränkungen zur Verfügung stehe. Johannes Beleites übt dabei in seinem Beitrag deutliche Kritik an den Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit durch die Vorauswahl der vorzulegenden Unterlagen seitens der BStU und den begrenzten Zugang zu Findmitteln. Er plädiert für uneingeschränkten Aktenzugang und die Anonymisierungspflicht nicht schon vor der Auswertung der Unterlagen, sondern erst vor deren Veröffentlichung.
Im Teil II des Sammelbandes beschäftigen sich deutsche und polnische Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologen mit Themen, die dank der Nutzung der Akten der Geheimdienste der DDR und der VR Polen wissenschaftlich bearbeitet werden konnten. Im abschließenden Artikel plädiert Konrad H. Jarausch "für eine differenzierte DDR-Geschichte\“. Wenn die Welt zu stark aus der Sicht des Geheimdienstes betrachtet werde, drohe eine \“dichotomische Perspektive\“, \“die überall Feinde sieht, wo nur Andersdenkende vorhanden sind, und Verschwörungen auch dort wittert, wo es nur um unabhängige Aktivitäten geht\“, so Jarausch.
Für diejenigen, die mit Unterlagen der Geheimdienstarchive arbeiten, wird sich der Band, so die Rezensentin, mit Sicherheit als nützliches Nachschlagewerk erweisen.
Info:
Dakowska, Dorota; Bensussan, Agnés; Beaupré, Nicolas (Hrsg.):
Die Überlieferung der Diktaturen. Beiträge zum Umgang mit Archiven der Geheimpolizei in Polen und Deutschland nach 1989.
Essen: Klartext Verlag 2004. ISBN 3-89861-164-7; 247 S.; EUR 39,90.
Quelle: Rezension für H-Soz-u-Kult von Katarzyna Stoklosa, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, TU Dresden
Katarzyna.Stoklosa [at]mailbox.tu-dresden.de
URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-012