Das Staatsarchiv Aurich begibt sich derzeit an die Arbeit, das Schicksal der kriegsgefangener Belgier, Franzosen, Russen und anderen Ausländer in Ostfriesland während des Zweiten Weltkriegs aufzuarbeiten. Dr. Paul Weßels vom Staatsarchiv hat bereits 175 Standorte von Lagern gefunden. In einem Lager lebten mindestens 30, mitunter aber auch 300 Gefangene, so dass sich eine beträchtliche Summe ergibt. Das Staatsarchiv will demnächst eine Karte mit den 175 Standorten ins Internet stellen. Weßels und Staatsarchivleiter Dr. Bernhard Parisius hoffen auf weitere Hinweise aus der Bevölkerung.
Das Leben und die Zwangsarbeit der nach rassistischen Kriterien geschiedenen Gefangenen sah in Ostfriesland sehr unterschiedlich aus: So waren unter russischen Kriegsgefangenen auf Langeoog in den Jahren 1941 und 1942 113 Soldaten zu Tode gequält worden. Langeoog war weder die Regel, noch die Ausnahme, steht aber zum Beispiel im Gegensatz zu Poghausen, in dessen Kriegsgefangenenlager 50 Franzosen und Belgier untergebracht worden waren.
Ihr Gefangenendasein sei vergleichsweise erträglich gewesen, so urteilt eine Dokumentation von Linda Hinrichs, die mit Zeitzeugen, aber wohl in erster Linie mit deutschen, gesprochen hat. Ein Teil der Kriegsgefangenen wurde damals für Entwässerungsarbeiten eingeteilt (ein kleiner Kanal heißt heute noch „Gefangenen-Schloot“), andere mussten auf den Bauernhöfen helfen. Sie durften Pakete von ihren Verwandten bekommen und verteilten manchmal Schokolade an die Kinder in Poghausen. Anfangs noch von einem Wachmann kontrolliert, bewegten sie sich später frei im Dorf und saßen beim Bauern am Mittagstisch. Genauso wie die Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine und aus Polen, in der Ideologie der Nationalsozialisten eigentlich „Untermenschen“. Auch sie gehörten zur Bauernfamilie: nicht zuletzt deshalb, weil sie wie die Kriegsgefangenen unentbehrliche Mitarbeiter geworden waren. – Die scheinbare Idylle des Dorflebens zu Kriegszeiten scheint gleichwohl noch weiteren Untersuchungen und einer Verbreiterung der Quellenbasis zu bedürfen, ebenso wie einer kritischen Bewertung der bisher herangezogenen deutschen lebenden und toten Quellen …
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Quelle: Heiner Schröder, Ostfriesen-Zeitung, 23.9.2004