Einige Dokumente aus der hintersten Ecke des Archivs der Nürtinger Johannesgemeinde, die lange Zeit niemand beachtet hatte, spannen nunmehr einen Bogen in Nürtingens vorreformatorische Zeit. Nach der Reformationszeit waren die Katholiken fast 400 Jahre lang eine Minderheit in Nürtingen. Erst 1906 wurde wieder eine Katholische Kirchengemeinde in der Stadt am Neckar ins Leben gerufen.
Horst Gammel und Walter Nuber zählen zu dem kleinen Team aus geschichtsinteressierten Menschen der Nürtinger Johannesgemeinde, die sich auf die Spuren der Wieder-Gründung der katholischen Gemeinschaft in der Stadt begeben haben. Da stöbert man in alten Archivbeständen, schaut mal bei Gemeinden in der Nachbarschaft, ob sich Quer-Verbindungen erschließen lassen, die einem weiterhelfen, taucht in die Tiefen der Akten in den Beständen der Diözese in Rottenburg, die die „katholische Renaissance“ in Nürtingen natürlich mitbegleitet hatte. Kürzlich stießen Nuber und Gammel auf einen wahren Schatz der Nürtinger Kirchengeschichte.
Sie stießen auf ein umfangreiches Verzeichnis von Gerätschaften, Ornaten und Bildern aus der Nürtinger Laurentiuskirche vom 7. Juli 1515. Dieses Verzeichnis ist eine penible „Momentaufnahme“ davon, wie es kurz vor der Reformation in der Kirche brodelte und wie in Sankt Laurentius aussah. Das Inventarbuch belegt, dass viele Nürtinger, um das ewige Seelenheil zu erlangen, fromme Stiftungen machten. 25 doppelte Seiten aus einem Stiftungsbuch fielen den Hobby-Historikern dabei in die Hände. Sie regelten insgesamt 32 Stiftungen – aus den Jahren 1465 bis 1518! Besonders begeistert ist Horst Gammel von einem „wunderschönen Pergament mit rot unterlegten Anfangsbuchstaben“ aus dem Jahr 1465.
Das „Johannes-Geschichtsteam“ nahm Kontakt zu Reinhard Tietzen auf, und in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchivar ließ sich noch etwas mehr Licht ins historische Dunkel bringen, ja entwickelte sich die Geschichte sogar zum „kleinen Krimi“. In einem Verzeichnis des Nürtinger Stadtarchivars fand sich zum Beispiel die Inventarliste von 1515, die im Bestand allerdings fehlte. Irgendjemand musste sie also irgendwann auf die Seite geschafft haben: Zum damaligen Stadtpfarrer Bernhard Kah sei Ende der 1960er Jahre ein Mann gekommen und habe ihm „gegen ein geringes Entgelt ältere Papiere aus seinem Besitz“ angeboten. Etwas dubios mutete das schon an, aber da sich dadurch ja die Frühzeit der Kirche dokumentieren ließ, fragte man offenkundig nicht zu genau nach.
In den Tiefen des Archivs verschwanden so auch diese wertvollen Zeugnisse der Nürtinger Kirchen- und Stadtgeschichte. Im Einvernehmen mit Dekan Wolfgang Sedlmeier übereignete man sie die Unterlagen jetzt aber im Tausch gegen beglaubigte Kopien an Reinhard Tietzen, der sie wieder ins Stadtarchiv stellte.
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Quelle: Jürgen Gerrmann, Nürtinger Zeitung, 14.8.2004