Überlieferungs-Geschichte der Goebbels-Aufzeichnungen

Von keinem anderen aus dem Führungszirkel der Nazipartei sind vergleichbar umfangreiche Selbstzeugnisse hinterlassen worden wie von Joseph Goebbels. Da die Originale weitgehend verloren sind, kommt den 1944 (auf Glasplatten) erstellten Mikrofiche-Kopien eine zentrale Bedeutung zu. Nun lässt sich dank neuen Funden deren Überlieferungsgeschichte erstmals genauer rekonstruieren (zum vollständigen NZZ-Artikel). 

Als die Alliierten im Juni 1946 südwestlich von Berlin vergrabene Mikrofilme von Unterlagen des Reichspropagandaministeriums fanden, enthielt das Versteck nicht einfach nur Ministerialakten, sondern vor allem die Sicherungskopien der Aufzeichnungen von Joseph Goebbels, dem Minister für Volksaufklärung und Propaganda. Dieser hatte über 21 Jahre hinweg, bis in die letzten Apriltage 1945 hinein, regelmässig Notizen gemacht, die eine zentrale Quelle für die Historiographie geworden sind, nicht zuletzt, weil kein anderer führender NS-Politiker ein vergleichbar umfangreiches und kontinuierliches Selbstzeugnis hinterlassen hat.

Zur Sicherung der Niederschriften kopierte seit Ende 1944 ein Experte das Material nach einem damals neuen Verfahren der Mikrofichierung auf Glasplatten. Die Platten wurden vor der Eroberung Berlins in einer Metallkiste außerhalb der Stadt vergraben. Bisher war man der Meinung, dass alle Glasplatten nach Kriegsende in sowjetische Hände gefallen seien, auch, weil sie 1992 in einem Moskauer Archiv von Mitarbeitern des Münchner Instituts für Zeitgeschichte wiederentdeckt wurden. In München arbeitet man seit 1987 an einer Gesamtausgabe aller verfügbaren Tageseinträge von Joseph Goebbels.

Neue Quellenfunde in französischen, amerikanischen und britischen Archiven geben der bisherigen Darstellung eine unerwartete Wende. Denn die Spur führt nicht allein nach Moskau, sondern auch in die französische Hauptstadt. Im Pariser Archiv des Quai d'Orsay, des Außenministeriums, fanden sich sogar vier Schachteln mit Glasplatten, die in der Moskauer Sammlung fehlen. Sie enthalten Kopien von Konferenzprotokollen, Korrespondenz, Erlasse und eben Tagesnotate aus dem Sommer 1941, deren Inhalt aus anderer Provenienz bereits bekannt ist. Wie die Glasplatten allerdings nach Paris kamen, das ist eine interalliierte Nachkriegsposse, die die Historiker Astrid M. Eckert und Stefan Martens vom DHI Paris bzw. Washington, in der aktuellen Ausgabe der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ nachzeichnen.

Info:
Astrid M. Eckert und Stefan Martens: Glasplatten im märkischen Sand. Zur Überlieferungsgeschichte der Tageseinträge und Diktate von Joseph Goebbels, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3/2004.

Quelle: Astrid M. Eckert und Stefan Martens, NZZ, 16.7.2004

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