151 Jahre Archiv der rheinischen Landeskirche

Aus Anlass seines 150-jährigen Bestehens veröffentlichte das Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland im Jahr 2003 eine umfangreiche Übersicht über seine rund 400 Bestände an den beiden Standorten Düsseldorf und Boppard (bzw. bis 1996 Koblenz, wo sich seit 1953 ein Kirchenbucharchiv als Dependance befand). Der sich an die Archivbenutzer richtenden und durch Benutzungshinweise (S. 90-93), Karten und Fotos ergänzten Bestandsübersicht (S. 103-442) ist eine 90-seitige Geschichte des rheinischen Kirchenarchivwesens vorgeschaltet, die es in ihrer meist chronologisch gehaltenen Darstellungsform ermöglicht, den gewundenen Weg der archivischen Professionalisierung vom Rheinischen Provinzialkirchenarchiv 1853 bis hin zum – nach heutigem Selbstverständnis – „Haus der Geschichte“ (S. 56) für die gesamte rheinische Landeskirche nachzuvollziehen.

Als ältestes evangelisches Landeskirchenarchiv in Deutschland war das rheinische Archiv stets Ansporn, Bezugspunkt und auch Vorbild für ähnliche Bestrebungen in anderen Provinzialkirchen, beispielsweise die westfälische. Und konnte auch das Landeskirchliche Archiv in Westfalen 2003 erst sein 40-jähriges Bestehen feiern, so sind die archivischen Traditionen durchaus vergleichbar: Die Umsetzung einer effizienten preußischen Bürokratie seit 1815, die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung im Kontext des Historismus und der allmähliche Ausbau presbyterial-synodaler Kompetenzen gerade der beiden rheinisch-westfälischen Provinzialkirchen, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Trennung von Staat und Kirche einläutete, seien hierfür als Beispiele genannt.

Typisch für die Entwicklung des Landeskirchenarchivwesens ist zudem, dass auch beim rheinischen Kirchenarchiv von seiner Gründung an „ein starker Akzent auf Einrichtung und Ausbau einer korrespondierenden historischen Handbibliothek“ lag (S. 69), das Archiv ohnehin zunächst eher Sammlungscharakter aufwies, als dass es Teil der lebendigen Kirchenverwaltung und deren Aktenablieferungen gewesen wäre. So wurde in den Anfangsjahren wohl vor allem wertvolle kirchenhistorische und kirchenrechtliche Literatur gesammelt; die Provinzialsynode ließ sich hingegen ihre Unterlagen nach einem kurzen archivischen Zwischenspiel wieder aushändigen (S. 6f.). Archivfragen sind offenbar immer auch Vertrauensfragen, und insofern ist es auch berechtigt, wenn Stefan Flesch und seine Mitarbeiter am Buch, Michael Hofferberth und Andreas Metzing, neben der Phaseneinteilung der rheinischen Archivgeschichte, die sich an den unterschiedlichen Archivstandorten orientiert, vor allem auf die Bedeutung der Archivleiter für das Gedeihen des Archivs abheben: Nach Max Goebel (1853-1857), dem bekannten Gründervater sowie Verfasser der mehrbändigen „Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch-westfälischen evangelischen Kirche“ wird die Reihe der rheinischen Archivare mit einigen Pfarrern aus Koblenz und Umgebung fortgesetzt, die bis 1925 allesamt das Provinzialkirchenarchiv im Nebenamt betreuten (S. 9). Ihre Aufgabe musste es regelmäßig sein, überhaupt ein Bewusstsein für die Bedeutung der archivalischen Überlieferung unter den Amtsbrüdern, der Provinzialsynode, der Kirchenverwaltung in summa zu bilden. Von ihnen hing insgesamt der Erfolg des Unternehmens „Archiv“ ab, Zeiten des Fortschritts und Zeiten der Stagnation lösten sich insofern ab. Der Weg zu einer Professionalisierung des Provinzialkirchenarchivwesens, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechend angemahnt wurde, konnte Ende der 1920er Jahre schließlich energischer beschritten werden, nachdem der damalige Präses Walther Wolf sowie die Provinzialsynode sich erstmals zur Anstellung eines hauptamtlichen, fachlich vorgebildeten Archivars entschlossen. Zugleich wurde das Archiv 1928 von Koblenz nach Bonn verlagert, um hier eine engere Anbindung an die wissenschaftliche Theologie und Kirchengeschichte zu gewährleisten. Trotz seines gesteigerten Stellenwerts war das Provinzialkirchenarchiv aber zunächst weiterhin nicht für die Archivpflege in den Kirchengemeinden zuständig (S. 21). Dieser Aspekt wurde erst in die Dienstanweisung von Lic. Albert Rosenkranz mit aufgenommen, der noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Archivleitung übernahm und sie beinahe bis zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 1951 ausübte. Seiner intensiven und bekanntermaßen erfolgreichen Arbeit am Pfarrer- und Gemeindebuch, die mit einer Zentralisierung älterer lokaler Archivbestände in Bonn einherging, fiel hingegen das Archiv im Kriege gleichsam zum Opfer, da dessen Auslagerung von ihm nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben worden war (S. 30). – An einem wiederum neuen Archivstandort, nun in direkter Nachbarschaft zum Düsseldorfer Landeskirchenamt, wurde der Neubeginn des Landeskirchlichen Archivs 1951 begleitet vom Dienstantritt Pfarrer Walter Schmidts, für den eine hauptamtliche Archivarsstelle eingerichtet worden war.

Die Probleme, denen der Archivar in diesen Jahren zu begegnen hatte, lagen begründet in seinem breiten Aufgabenspektrum von der Beaufsichtigung der Archivbenutzer, über die Teilnahme an Verwaltungslehrgängen bis hin zur nur „wanderarchivarisch“ zu bewerkstelligendem Archivpflege im gemeindlichen Außendienst. Die chronische personelle und strukturelle Unterversorgung des Archivs tat ein Übriges, so dass nicht zuletzt der Verzeichnungsstand der eigenen Bestände bis in die 1980er Jahre unzureichend war (S. 47). Wenngleich sich u.a. durch die Archivgesetzgebung seit Ende der 1980er Jahre Aufgabenzuschreibung und Kompetenz des rheinischen Landeskirchenarchivs auf gesicherten Pfaden bewegen, so lassen sich doch auch heute noch traditionelle Problemfelder für die Archivarbeit konstatieren (S. 52f.): Der verwaltungsinterne Kampf um angemessene Archivräumlichkeiten, die Verständnislosigkeit für den Nutzen eines effizienten Schriftgutmanagements für die Verwaltung, die kirchenhistorisch und archivfachlich unzureichende Theologenausbildung sowie die kostenintensive Archivpflege für die Kirchengemeinden und Kirchenkreise werden als Beispiele genannt für immer noch bestehende Defizite und Unkenntnis. – Auch hier sind Vergleiche zu anderen Landeskirchen durchaus angemessen.

Info:
Das Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seine Geschichte und seine Bestände, hrsg. aus Anlass des 150-jährigen Bestehens von Stefan Flesch unter Mitarbeit von Michael Hofferberth und Andreas Metzing (Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland 33), Düsseldorf 2003, XIII + 473 S., ISBN 3-930250-46-2, 36 Euro

(Jens Murken, Bielefeld)

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.