Verwaltung des Krankenmordes

Der Geschichte des Wiesbadener Landeshauses am Kaiser-Friedrich-Ring im Dritten Reich, heute Wirtschaftsministerium, hat der Historiker und Archivar am Hauptstaatsarchiv, Peter Sandner, in seinem Buch „Verwaltung des Krankenmordes“ nachgespürt (siehe früheren Bericht). Im Wiesbadener Kurier stellt Lothar Bembenek Sandners Arbeit vor:

Nach den Wirren des Ersten Weltkriegs versuchte in diesem Gebäude der Wiesbadener Separatist Dr. Dorten eine „Rheinische Republik“ einzurichten. Das Landeshaus war 1907 als Sitz des preußischen Kommunalverbandes gebaut worden.

Am 12. September 1933 tagte hier der 3. (evangelische) Landeskirchentag unter der „Peitsche“ des Bierstadter Nationalsozialisten August Jäger. Die erste Sitzung dauerte nur eindreiviertel Stunden, inklusive eines dreifachen „Sieg Heils“ und dem Singen des Deutschlandliedes. Bei drei Gegenstimmen schickte Jäger, der bald versuchen sollte, die gesamte Evangelische Kirche Deutschlands „gleichzuschalten“, den Landesbischof Kortheuer in den Ruhestand – er drohte ihm mit Einweisung ins KZ – und ließ den Arier-Paragraphen verabschieden, das heißt Pfarrer konnte nur werden, wer „arischen Blutes“ war.

Im Oktober 1945 führten die Amerikaner im Landeshaus den ersten Kriegsverbrecher-Prozess gegen Verantwortliche der NS-Euthanasie in Hadamar. Es fehlte aber der Hauptbeschuldigte Fritz Bernotat. Er war mit seiner Frau in Neuhof bei Fulda unter falschem Namen untergetaucht. Unbehelligt von Strafverfolgung starb er 1951.

Die Geschichte des Landeshauses in der NS-Zeit ist eng mit der Karriere des SS-Mannes Bernotat verbunden, der 1925 dort als kleiner Landesverwaltungsassistent des Bezirksverbandes Nassau begann. Am 15. März 1933 organisierte er zusammen mit dem SA-Standartenführer Reutlinger einen „spontanen Volksauflauf“. Ein neuer „Landeshauptmann“ der SS übernahm die Macht, sein „Adjutant“ und gelehriger Schüler wurde der kaum qualifizierte Bernotat. Als „politischer Diktator“ brachte er die anpassungsbereite Belegschaft „auf Vordermann“.

Im Jahr 1936, Bernotat sprach sich bereits öffentlich für die Ermordung von Geisteskranken aus, nahm sein Vorgesetzter Dienstsitz in Kassel, und Bernotat, vier Dienstränge überspringend, zog in dessen Büro um. Er wurde „Anstaltsdezernent“ und Landesrat. Protegiert von NSDAP-Gauleiter Jakob Sprenger war dem Choleriker nun fast keine Schranke mehr gesetzt. Das Personal aller Heilanstalten wurde „nazifiziert“ – und die Pflegesätze pro Patient wurden drastisch gesenkt.

Über eine SS-Tarnorganisation „entkonfessionalisierte“ der 47-jährige Landesrat die kirchlichen Heilanstalten. Kranke wurden zentralisiert und die Immobilien verkauft. So wurde das katholische Antoniusheim Wiesbaden-Bahnholz bald „Lebensborn“-Entbindungsheim mit einer Adoptionsstelle im Landeshaus. Statt um „Fürsorge“ ging es nun um skrupellose „rassehygienische Volkspflege“ durch Überbelegung und reduzierte Pflegesätze, die große wirtschaftliche Gewinne brachten.

Bereits ein Jahr vor Beginn der offiziellen NS-Euthanasie setzte in hessischen Anstalten ein Massensterben durch Nahrungs- und Medikamentenentzug ein. Diese Art des Mordes durch übereifrige Verwaltungsbeamte prädestinierte den Bezirksverband Nassau dazu, der aktivste Unterstützer des Krankenmord-Programms der NS-Euthanasie zu werden. In der „Tiergartenstraße 4“ (T4) in Berlin befahl Hitler im Oktober 1939 den Gasmord an „lebensunwertem Leben“ im Deutschen Reich. Bernotat überließ die Anstalt Hadamar kostenlos „T4“. Gaskammer, Sezierraum und Krematorium wurden eingebaut. Von Januar bis August 1941 wurden über 10 000 Kranke vergast. Der 10 000. Tote wurde aufgebahrt und in einem makabren Saufgelage „gefeiert“.

Oberstaatsanwalt Quambusch protestierteAbgemagert und oft verwirrt kamen die Opfer in Bussen mit Milchglasscheiben – die Kinder Hadamars nannten sie „Mordkisten“ – aus den „Zwischenanstalten“ an. Der Krematoriumsschornstein blies ständig schwarzen Ruß heraus, die Kinder redeten vom „Backofen“. Der Ruß setzte sich auf den Fensterbänken fest.

Auch in Wiesbaden gerieten durch das Personal im Landeshaus und durch „Trostbriefe“ der Verwaltung an die Hinterbliebenen Gerüchte im Umlauf. Der Wiesbadener Oberstaatsanwalt Dr. Quambusch und der katholische Bischof von Münster Graf von Galen waren die ersten, die öffentlich gegen die Euthanasie protestieren, der Bischof von Limburg folgte.

Aus Furcht, dass die Unruhe in der Bevölkerung die Front im Osten verunsichern könnte, ließ Hitler die Gasmorde in Hadamar einstellen. Die Gaskammer wurde abgebaut und in den Osten geschafft, zur Weiternutzung in einem Konzentrationslager. Der Mord der so genannten Kinder-Euthanasie durch Verhungernlassen, ging indessen weiter. Bald folgten die Morde mittels Medikamenten durch Ärzte und Pfleger. Bernotat, in seiner Machtentfaltung nicht mehr gehemmt, weitete – ohne Anweisung von Berlin – den Kreis der zu Ermordenden aus: jüdische „Mischlingskinder“, „Gemeinschaftsfremde“, „Erziehungsunfähige“, Tbc-kranke Zwangsarbeiter. Später, nach dem Krieg konnte der Landeswohlfahrtsverband einen Bezirksverband mit hohen finanziellen Rücklagen übernehmen. Die vielen Korruptions- und Veruntreuungsvorwürfe gegen Bernotat hatte Gauleiter Sprenger nur mit großer Mühe unterdrücken können.

Nichts charakterisiert Fritz Bernotat klarer als folgende Aussage im Landeshausprozess 1945, in dem drei Personen aus Hadamar die Todesstrafe und andere lebenslange Haftstrafen erhielten: Der 53 jährige Bernotat habe seine junge Geliebte Ruth Pappenheimer, eine „Halbjüdin“, die als geistig und körperlich völlig gesund und als außerordentlich schön bezeichnet wurde, in der Anstalt Kalmenhof (Idstein) durch eine Morphiumspritze beseitigen lassen. Benutzt wurde wohl auch bei ihr der wiederverwendungsfähige „Klappsarg“, den Bernotat zur Kostenersparnis hatte einführen lassen.

Haupttäter Bernotat nie zur Rechenschaft gezogenWie anfangs erwähnt, tauchte Bernotat, die schrecklichste Figur der hessischen NS-Euthanasie, mit seiner Frau im Zuge der Evakuierung der Wiesbadener Stadtverwaltung und der NS-Organisationen im Raum Schlüchtern unter. Von den willfährigen Verwaltungsbeamten im Landeshaus wurde nach dem Krieg keiner strafrechtlich belangt. Es wurden lediglich zwei Drittel der Belegschaft aus politischen Gründen entlassen.

Info:
Peter Sandner, Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus (Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Hochschulschriften Bd. 2), Psychosozial-Verlag Gießen 2004, 788 Seiten, 35 Euro.

Quelle: Lothar Bembenek, Wiesbadener Kurier, 6.4.2004

Arndts Beziehungen zur Uni Greifswald

Den 75. Geburtstag feiert das Garzer Ernst-Moritz-Arndt-Museum auf besondere Weise: Mit einer ersten Sonderausstellung zu dem wortgewaltigen, bewunderten und geschmähten Pommern, dessen Namen die Greifswalder Universität seit sieben Jahrzehnten trägt.

Sie ist Arndts Verhältnis zu der Hohen Schule an der er studierte und lehrte gewidmet, umfasst also im Wesentlichen die Zeit bis 1812. Weitere thematische Ausstellungen sollen folgen, kündigte Direktorin Sylvia Knöpfel bei der mit über 60 Interessenten sehr gut besuchten Eröffnung der Ausstellung am Sonnabend an. Ein Besuch in Garz lohnt sich schon wegen der Exponate. So haben die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim das Originalstammbuch Arndts zur Verfügung gestellt. Ein farbenprächtiger Blick in das Greifswalder Studentenleben. Das Stadtarchiv Bonn steuerte ein Schulheft des 12-Jährigen bei, das Universitätsarchiv Greifswald Hörerzettel von Kommilitonen, die verraten, wer wann mit wem auf einer Bank saß.

In großen Linien zeichnet die Ausstellung auch die viele Druckseiten füllende und bis heute andauernde Auseinandersetzung um Arndt nach, wie Universitätsarchivar Dr. Dirk Alvermann in seiner Rede zur Eröffnung sagte. Alvermann, der den Rüganer als eine „kantige Persönlichkeit“ des 19. Jahrhunderts bezeichnete, führte die Gäste zu dem „jungen Arndt“, den Theologiestudenten und späteren Geschichtsprofessor der Uni Greifswald. Der in Schoritz Geborene suchte geradezu den geistigen Austausch, den er einst mit dem Zusammenschlag von Kieselsteinen verglich. Die Universität sei für das Funkenschlagen der ideale Lebensraum gewesen, bestätigte Dr. Alvermann. Dieser Lebensausschnitt ist Bestandteil eines biographischen Überblicks von 1769 bis 1812 und der Darstellung wertvoller Zeitzeugnisse.

Der Bogen dieser Sicht auf Arndts Lebenswelt schließt sich mit der Namensverleihung an die Uni Greifswald 1933 und die dieser Tage geführte Debatte um die Bedeutung des streitbaren Professors. „Dieser Streit, von dem ausgiebig Gebrauch gemacht wurde und wird“, so Dirk Alvermann, „spiegelt nur zu gut die sich entwickelnde öffentliche Meinung über Arndt wider“. Die Ausstellung solle eine grobe Linie für diese Auseinandersetzung vorgeben, die Frage „Können wir Arndt lieben?“ aber nicht beantworten.

Dafür ist auch die Verewigung auf dem Greifswalder Rubenowdenkmal (1856) ein Beispiel, die mit dem Faksimile von Arndts Dankes-Brief illustriert wird. Ein Bild vom Festzug zur 500-Jahrfeier der Uni 1956, das ihn inmitten von Burschenschaftern zeigt, belegt die seinerzeitige Traditionslinie Richtung Arndt.

Durch die Fülle seiner Publikationen und Äußerungen hat er verschiedensten Interpretationen und Vereinnahmungen Tür und Tor geöffnet, so von der Deutschtümelei bis zur Vision von der EU. „Ich bin so geboren, dass ich reden und sprechen muss, damit meine Gefühle und Gedanken sich ordnen; ich bedarf der umrollenden und gegeneinander Funken schlagenden Kieselsteine des Gesprächs und der Rede, damit mein bisschen Geist aus mir herauskomme“, zitierte Alvermann nicht von ungefähr aus Ernst Moritz Arndts Erinnerung an das Lehrverbot, mit dem man ihn 1819 im Zuge der „Demagogenverfolgung“ belegte.

Die Ausstellung ist bis Oktober geöffnet.

Kontakt:
Ernst-Moritz-Arndt-Museum
An den Anlagen 1
18574 Garz auf Rügen
Tel. 038304 / 12212
arndt-museum-garz@gmx.de

Quelle: Quelle: A. Farin, Ostsee-Zeitung, 4.4.2004; Ostsee-Zeitung, 6.4.2004

Verschollenes von Gustav Knuth

Er war einer der großen deutschen Volksschauspieler der Nachkriegszeit und berühmtes Kind der Stadt Braunschweig – Gustav Knuth. Am 7. Juli 1901 in Braunschweig geboren, blieb er vielen Menschen aufgrund seiner Filmrollen – unter anderem an der Seite von Romy Schneider, Heinz Rühmann oder Hans Albers – in Erinnerung. Jetzt ist durch einen Zufall ein Koffer aus dem Privatbesitz Knuths aufgetaucht: mit Fotos, Dokumenten, Briefen und mehr.

Bei Aufräumarbeiten im nordrhein-westfälischen Velen kam das bislang unbekannte Material zum Vorschein. Darunter Knuths in Braunschweig ausgestellte Geburtsurkunde, mehr als 1000 private und offizielle Theater-Fotos, Gagenabrechnungen, Briefe von Knuth an Intendanten sowie von seinem zu Hause sehnsüchtig auf ihn wartenden Sohn Klaus.

Doch vorher stammen diese Dinge? Die Antwort gibt Angelika Bone. Ihr Lebensgefährte, der Restaurator und Antiquitätenhändler Richard Schmitz, nahm vor genau 20 Jahren nach der Rückkehr von einer Reise aus Marokko den Koffer vom Sperrmüll vor einer Hamburger Villa mit, um dessen Inhalt auf dem Trödelmarkt zu Geld zu machen. Doch dazu kam es nicht. Vielmehr landete der Koffer auf dem eigenen Dachboden und geriet mit der Zeit in Vergessenheit.

„Im Nachhinein ist wirklich ärgerlich, dass mein Freund damals aufgrund der Reise so müde war“, bedauert Angelika Bone. Hätte bei der Haushaltsauflösung doch wohl noch vieles mehr aus dem privaten Besitz der Familie in der Dunkelheit gestanden. „In dem Haus hat früher Klaus, Gustav Knuths Sohn aus erster Ehe mit der Schauspielerin Gustel Busch, bei einem gewissen Willi Knauer gewohnt; bevor ihn sein Vater im Alter von 12 Jahren zu sich und seiner zweiten Frau Elisabeth Lennartz nach Basel holte“, so die 42-Jährige.

Sie war es, die den Koffer beim Umbau der Geschäftsräume wieder gefunden und die Bedeutung des wertvollen Inhalts erkannt hat: „Ich war sofort fasziniert; schließlich handelt es sich dabei um historisch-einzigartige Dokumente über einen großen deutschen Schauspieler, die nicht auf irgend einem Dachboden verstauben, sondern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten.“

Entsprechend engagiert machte sich Angelika Bone auf die Suche nach einem Interessenten; allerdings unter der Prämisse, dass der Inhalt des Koffers als Ganzes erhalten bleibt. Zunächst wandte sie sich an das Braunschweiger Stadtarchiv. Dort sei man zwar sehr interessiert gewesen, habe jedoch rechtliche Bedenken hinsichtlich etwaiger Ansprüche der Erben geäußert. Auch beim Filmmuseum in Frankfurt am Main hatte sie kein Glück. Dort wurde das Fundstück mit der Begründung abgelehnt, dass es sich ja um Souvenirs aus Knuths Theaterkarriere handele. Blieb letztlich das Theatermuseum in München. „Auch hier hat man großes Interesse geäußert, will das Ganze aber ebenfalls von der hausinternen Rechtsabteilung prüfen lassen. Wir warten zwar noch auf eine Rückmeldung, gehen aber davon aus, dass es am Ende klappen wird“, äußert sich Angelika Bone hoffnungsfroh.

Im Koffer befinden sich außerdem: Autogrammkarten, Theateraushänge, ein Haushaltsbuch, Taxiquittungen, eine Übersicht über Mieteinnahmen. Die privaten Bilder zeigen Knuth in seiner Freizeit mit Freunden und Schauspiel-Kollegen in der Kneipe, Familienaufnahmen mit Gustel und Klaus und im Italienurlaub. Außerdem barg der Koffer Lohnabrechnungen von Gustel, die zu jener Zeit als Souffleuse und Synchronsprecherin arbeitete, sowie Zeitungsausschnitte mit Notizen des Sohnes von Auftritten des Vaters.

Quelle: Sven Wiebeck, newsclick.de, 6.4.2004

DFG-Projekt für Stadtarchiv Grimma

Wie bereits vor einem Monat berichtet, ist das Grimmaer Stadtarchiv bzw. das Pressezentrum Gegenstand eines von der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft (DFG) finanzierten wissenschaftlichen Projektes (siehe Bericht). Ironie des Schicksals: Die Zusage für das Projekt „Sachinventar zur Grimmaer Verlags- und Pressegeschichte von den Anfängen bis 1945“ wurde am 13. August 2002 erteilt. Da versank das Grimmaer Stadtarchiv gerade in den Fluten der Mulde. Nach Ansicht von Historiker Dr. Matthias John gab es in der neueren deutschen Geschichte nur einen vergleichbaren Fall, in dem ein Stadtarchiv so stark geschädigt wurde, jenes von Königsberg am Ende des zweiten Weltkrieges.

Vor diesem Hintergrund ist die jetzige wissenschaftliche Aufarbeitung der verbliebenen Bestände um so wichtiger, sagt John. Ohne die Unterstützung der DFG, die das Grimmaer Projekt als Teil ihrer Förderung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens sieht, „wäre Quellenforschung im Grimmaer Archiv nicht mehr möglich gewesen.“

Der Leipziger Wissenschaftler hat bereits bei früheren Projekten über und in Grimma geforscht. Das brachte ihn zu der Erkenntnis, dass Grimma in der deutschen und sächsischen Verlagsgeschichte „eine ganz besondere Rolle spielte“. In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts war die Stadt neben Leipzig und Dresden Zentrum der sächsischen Presse und sogar „die Hochburg der sächsischen oppositionellen Presse.“ Mit seinem jetzigen Projekt, das die vor wenigen Wochen ausgeschiedene ehemalige Grimmaer Archivleiterin Marita Schön und Prof. Dr. Wolfgang Flach von der Universität Leipzig gemeinsam beantragt hatten, will John den Boden für spätere Forschungen zur Grimmaer Pressegeschichte bereiten.

Kontakt:
Stadtarchiv Grimma im Stadthaus, 3. OG
Stadt Grimma
Markt 16/17
04668 Grimma
Tel. 03437/98 58 217

Quelle: Andrè Neumann, Leipziger Volkszeitung, 4.4.2004

Neue Archivarin in Tornesch

Letzte Woche übergab Hans-Joachim Wohlenberg, seit vier Jahren Archivar der Gemeinde Tornesch, sein Amt an die Ortshistorikerin Annette Schlapkohl. Nachdem Wohlenberg im Jahr 1985 im Festausschuss bei der 700-Jahr Feier der Gemeinde mitwirkte, gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Kulturgemeinschaft, der er seit 1992 vorsitzt. Der Archivar ist seit 1991 Mitglied im Dorferneuerungsausschuss und arbeitete vor allem im Bereich der Bauleitung an der Entwicklung und Konzeption für die Restaurierung des ehemaligen Ostermann´schen Hofes mit. Im September des Jahres 2002 wurde dem engagierten Mitglied der Gemeinde für seine unzähligen Leistungen die Schleswig-Holstein Medaille verliehen. „Wenn wir das Archiv damals nach der neuen Gesetzgebung nicht so zügig eingerichtet hätten, wären die gesamten Materialien wahrscheinlich zum Kreis- oder Landesarchiv gegangen“, berichtete er in Bezug auf das Archivgesetz. Neben seinen anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten nimmt die Arbeit im Archiv mittlerweile zu viel Zeit – wöchentlich etwa zehn Stunden – in Anspruch.

In die Räume des Archivs wurde jüngst massiv investiert: So wird eine maximale Raumausnutzung durch auf Schienen fahrbare Regalreihen erreicht. Außerdem sind neue Brandschutzmaßnahmen getroffen worden, die die wertvollen Dokumente auch im Fall eines Reetdachbrandes schützen werden.

Bürgermeister Roland Krügel zeigte sich hoch erfreut über die seit zwölf Jahren am Ort lebende neue Archivarin Schlapkohl. Seit geraumer Zeit arbeitet die gebürtige Hamburgerin bereits an der Dorfchronik Torneschs, mit der zum Ende dieses Jahres gerechnet werden darf. „Es ist schön zu wissen, dass wir eine würdige Nachfolgerin gefunden haben.

Als erstes möchte Schlapkohl ihre Kontakte zu den Kollegen intensivieren, die sie auf Kreisarchivtreffen bereits kennen lernen konnte. Nach diesen Vorbildern soll dann mit einer Computererfassung der Archivbestände begonnen werden, und in naher Zukunft eine Suchmaschine für die wissensdurstigen Tornescher zu Verfügung stellen zu können. Denn außer der Möglichkeit, geschichtlich womöglich bedeutende Gegenstände aus Nachlässen im Archiv abzugeben, besteht für jeden das Recht, selbiges auch einzusehen.

Kontakt:
Gemeinde Tornesch
Rathaus Tornesch
Wittstocker Str. 7
25436 Tornesch
Tel.: 04122/9572-0

Archiv und Ortschronik
Annette Schlapkohl
Tel. 04122/960480
Schlapkohl@t-online.de

Quelle: Patrick Delaney, Schenefelder Tageblatt, 31.3.2004

Vermisste Bach-Kantate in Japan wieder aufgetaucht

Seit 80 Jahren vermisste Original-Manuskripte einer Kantate von Johann Sebastian Bach sind im Nachlass einer japanischen Pianistin entdeckt worden. Dabei handelt es sich um acht Seiten der Hochzeitskantate von 1728 (BWV 216), wie der Musikwissenschaftler Tadashi Isoyama jetzt in Tokio mitteilte.

Für die Wissenschaft ist der Fund von hohem Wert, da bisherige Kopien der Noten in einigen Details vom Original abweichen. Es wird vermutet, dass die Handschrift von Bach-Schülern unter der Aufsicht des Meisters erstellt wurde und auch der Uraufführung der Kantate zugrunde lag.

Bis 1926 war das Manuskript mit Alt- und Sopran-Stimmen im Besitz der Nachfahren des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und galt seitdem als verschollen. Aufgetaucht ist es jetzt im Nachlass der Pianistin Chieko Hara, die vor allem in Europa auftrat und vor drei Jahren verstarb.

Hara war mit dem spanischen Cellisten Gaspar Cassado (1897-1966) verheiratet. Es wird vermutet, dass der Cellist die Noten einst von der Familie Mendelssohn erhalten hat. Die Musikhochschule Kunitachi in Tokio plant jetzt eine Faksimile-Edition der wertvollen Notenhandschrift.

Quelle: ORF.at, 4.4.2004

Wahlkampfrede Hitlers im pädagogischen Einsatz

Die vom Göttinger Stadtarchiv Anfang März veröffentlichte Multimedia-CD, in deren Mittelpunkt eine Rede Adolf Hitlers vom 21. Juli 1932 in der Universitätsstadt steht, hat für aufgeregte Diskussionen gesorgt (siehe Bericht). Diese greift Ulrich Kurzer in der Wochenzeitung FREITAG auf, um die Notwendigkeit der Heranziehung von sorgfältig editierten Originaldokumenten, wie es dem Göttinger Stadtarchiv mit der CD gelungen sei, für die sachgerechte historische Bildungsarbeit herauszustellen.

Die CD enthalte eben neben der Hitler-Rede zehn Tage vor der Reichstagswahl Ende Juli 1932 zudem erläuternde und kommentierende Texte, weiterführende Literatur über die NSDAP in Göttingen, die Geschichte der Stadt während der NS-Herrschaft und schließlich ausgewählte Dokumente aus dem Stadtarchiv, die im Zusammenhang mit dieser Rede entstanden (etwa die Anmeldung der Kundgebung durch die örtliche NSDAP oder die Verfügung der Ortspolizeibehörde zur Regelung des Verkehrs an diesem Tage).

Die Kritik des engagierten Göttinger DGB-Vorsitzenden Sebastian Wertmüller, der mit „Erstaunen“ auf die Ankündigung des Stadtarchivs, diese CD herauszubringen, reagiert hatte (siehe Bericht und Presserklärung) und von „Verkaufsförderung mit dem größten Verbrecher der deutschen Geschichte“ sprach, gehe dabei fehl, da die CD nach den Worten von Ernst Böhme, dem Leiter des Göttinger Stadtarchivs, nicht frei im Handel erhältlich sein wird, sondern vor allem im Schulunterricht zum Einsatz kommen soll (diese Information hatte allerdings in der gekürzten Presseerklärung des Stadtarchivs, die im Göttinger Tageblatt veröffentlicht worden war, gefehlt).

Wie denn anders, so fragt Kurzer, als auch unter Verwendung authentischer Originaldokumente könne Geschichte Schülerinnen und Schülern anschaulich gemacht werden? Was spreche gegen historische Originaldokumente, die mit sorgfältig bearbeiteten Begleittexten bereitgestellt werden und es so ermöglichen, einen „Zugang“ zum Gegenstand zu finden, der nicht durch vorweggenommene Interpretationen, wie beispielsweise in den Doku-Dramen des ZDF, verstellt wird?

Kontakt:
Stadtarchiv Göttingen
Hiroshimaplatz 4
37083 Göttingen
0551/400-3122
0551/400-2764
stadtarchiv@goettingen.de

Quelle: Ulrich Kurzer, FREITAG 15 – Die Ost-West-Wochenzeitung, 2.4.2004

Osterhofen hat weiter Probleme mit der NS-Vergangenheit

Nachdem der örtliche Kulturausschuss auf Antrag des Ehrenbürgers und Stadtarchivars Hans Schön dem Themenkomplex 'Nationalsozialismus und Drittes Reich' in Osterhofen kein Kapitel im neuen Heimatbuch widmen wird (siehe Bericht), sorgte bereits im Vorfeld auch ein jetzt gehaltener Vortrag von Professor Winfried Becker (Uni Passau) zum Thema für Wirbel.

Marco Naumann führte darüber für die Passauer Neue Presse ein Interview mit dem Historiker.

Herr Professor Becker, können Sie die Diskussionen, die bereits im Vorfeld Ihres Vortrags geführt wurden, nachvollziehen?

Becker: Eigentlich nicht. Die Regionalgeschichte ist im Rahmen der allgemeinen Erforschung der Zeitgeschichte und des Nationalsozialismus bereits fest etabliert. Selbstverständlich ist es keineswegs zu früh, über Osterhofen während der nationalsozialistischen Zeit zu forschen. Eine der ersten Pilotstudien über den Nationalsozialismus behandelte übrigens die Geschichte einer Kleinstadt zwischen 1933 und 1945, allerdings in Norddeutschland.

Hat Johann Schön, der sich ja vehement gegen eine Veröffentlichung Ihres Vortrags im Heimatbuch ausgesprochen hat, sich jemals mit Ihnen in Verbindung gesetzt bzw. den Inhalt des Vortrags gekannt?

Becker: Nein, ich erfuhr aus der Zeitung bzw. von meinen Osterhofener Schülern von diesem Vorbehalt, als ich noch an dem Referat schrieb und den Inhalt selbst noch nicht kannte. Wir wollen aber Herrn Schöns Verdienste auch erwähnen. Ich habe seine Veröffentlichungen über die Zeit nach 1945 mit Gewinn benutzt, und Herr Schön ist auch ein sehr guter Kenner des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Osterhofen und Altenmarkt.

Herr Schön sprach davon, für die Stadt Osterhofen „höchst peinliche Dokumente“ im Archiv gefunden zu haben. Können Sie sich vorstellen, was er damit gemeint haben könnte?

Becker: Darüber kann ich nicht viel sagen. Bei meinen Besuchen im Kulturamt der Stadt Osterhofen wurde mir mitgeteilt, dass ein Archiv aus der NS-Zeit nicht bestünde. In einer mir zugänglich gemachten Archiv-Übersicht endeten die Materialien etwa um 1920.

Welche Quellen bzw. Literatur haben Sie herangezogen? Wurden Sie bei Ihren Recherchen unterstützt?

Becker: Man ist mir, wie seinerzeit bei dem von mir herausgegebenen Passau-Band, sehr entgegengekommen. […] Ich benutzte hauptsächlich die Osterhofener Zeitungen, die Chroniken von Nestler und Sinds, das Beratungsbuch der Gemeinde Osterhofen und die bereits vorhandene Literatur, u. a. in den „Deggendorfer Geschichtsblättern“.

Quelle: Passauer Neue Presse (Lokalteil Deggendorf), 3.4.2004

Überraschungsfund füllt Lücke im Archiv Heiligenstadt

Mit älteren Häusern ist das so eine Sache. Beim Umbau warten sie in bislang verborgenen Ecken und Winkeln oft mit den größten Überraschungen auf. So ging es Heinz Dzick, der in Großtöpfer ein lange leer stehendes Haus erworben hatte und beim Renovieren wertvolle Unterlagen fand: das Protokollbuch der Jahre 1933 bis 1950 der Gemeinde Großtöpfer. Den erstaunlich gut erhaltenen Band übereignete der Finder gestern dem Archiv des Landkreises Eichsfeld.

In einem Zwischenboden „und lediglich, weil es dort durchgeregnet hatte“, entdeckte Dzick die nur äußerlich vom Zahn der Zeit benagten Annalen. Der gebürtige Ostpreuße, der von 1946 bis 1954 in Großtöpfers Nachbardorf Frieda und danach 40 Jahre in Dortmund lebte, um schließlich wieder nach Großtöpfer zurückzukehren, hatte den Band dann der Vorbesitzerin des Hauses gezeigt. Magdalena Bertikow konnte mit dem Fund nichts beginnen, bat aber Albert Kohl, Vorsitzender des Eichsfelder Heimatvereins Hülfensberg-Werratal, sich den Band anzuschauen. Und der umtriebige und engagierte Heimatfreund, lange Zeit auch Vorstandsmitglied im Verein für Eichsfeldische Heimatkunde, knüpfte sogleich die Fäden zum Landkreis. Bei der Übergabe gestern in den Archivräumen strahlte Leiterin Regina Huschenbeth. Das Dokument aus Privatbesitz fülle eine Lücke. Denn im Kreisarchiv würden sämtliche Protokollbücher der Gemeinden gehütet. Nun werde der Band vernünftig aufbewahrt und dauerhaft erhalten. Nur zu oft, weiß die Expertin, kämen solche Unterlagen aus Unkenntnis in falsche Hände oder würden schlimmstenfalls sogar weggeworfen.

Mit Begeisterung blätterten gestern Kohl und Huschenbeth in dem Band aus Großtöpfer. Akribisch sind alle getroffenen Festlegungen und Beschlüsse der Gemeindevertretung und später des Gemeinderates vermerkt. Der Protokollband endet mit der Niederschrift vom 9. November 1950, die unter anderem den Entschluss über die Einführung eines Gemeindesiegels registriert.

Kontakt:
Kreisarchiv des Landkreises Eichsfeld
Leinegasse 12
37308 Heilbad Heiligenstadt
Tel.: 03606/650491
Fax: 03606/612263

Quelle: Monika Köckritz, Thüringer Landeszeitung, 1.4.2004

Märkischer Kreisarchivar 30 Jahre im öffentlichen Dienst

„Geschichte ist außerordentlich spannend!“ – Die Begeisterung für das Studium von Originalquellen, das Aufspüren historischer Details und die Aufbereitung für geschichtsbewusste Bürger nimmt man Kreisarchivar Dr. Rolf Dieter Kohl auch noch nach 30 Jahren im öffentlichen Dienst ab.

Als er am 1. April 1974 im Staatsarchiv Detmold seine Ausbildung für den höheren Archivdienst für das Land Nordrhein Westfalen begann, erhielt er gleich seine Verbeamtung auf Widerruf. Eintrittskarte für die Archivschule waren ein Philologisches Studium in Köln, Bonn und Münster, das erste Staatsexamen und seine Dissertation über das Thema „Absolutismus und städtische Selbstverwaltung – Die Stadt Soest und ihre Landesherren im 17. Jahrhundert.“ Sein Studium hatte Dr. Kohl sehr vielseitig angelegt: Geschichte, Anglistik, Kunstgeschichte, Erziehungswissenschaften, Theologie, Philosophie und andere Fächer standen auf dem Lehrplan des neugierigen Studenten.

Seit frühester Jugend hat ihn aber die Geschichte seiner Geburtsstadt Soest fasziniert. Und so wundert es nicht, dass er nach Ablegen des Assessor-Examens am Institut für Archivwissenschaften in Marburg die sichere Planstelle im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ausschlug. Statt dessen entschied er sich 1976 wegen des Standortes Märkisches Sauerland für das damals vergleichsweise kleine Burg-Archiv in Altena. Denn auch Soest gehörte ehemals zur Grafschaft Mark und es gibt viele Beziehungen untereinander. „Mich hat einfach die Aufgabe gereizt, aus diesem bescheidenen Bestand mit 200 Archivkartons etwas zu machen“, erinnert sich Dr. Kohl.

Heute ist das Archiv des Märkischen Kreises mit 7,5 Kilometer laufenden Akten eines der größten Kommunalarchive Westfalens. „Es liegt in der Natur eines Archivs, dass es wächst“, ist Dr. Kohls Kommentar. „Viele Dokumente haben wir vor der Vernichtung gerettet, oftmals in letzter Minute aus den Häusern und Dachböden herausgeholt“, erklärt er. Darunter ganze Firmenarchive und Privatnachlässe nicht nur von hochgestellten Persönlichkeiten, sondern auch von normalen Bürgern. Seit Jahren verwaltet das Kreisarchiv durch Vertrag die Archive der Städte und Gemeinden Balve, Herscheid, Nachrodt-Wiblingwerde, Werdohl und Schalksmühle.

Ein gewichtiger und reizvoller Aufgabenbereich ist für den Wissenschaftler die Herausgabe der Landeskundlichen Zeitschrift für den Bereich der ehemaligen Grafschaft Mark und den Märkischen Kreis „Der Märker„, der überregional einen guten Ruf genießt. Etliche Artikel seiner über 300 Publikationen sind in dieser Zeitschrift erschienen.

Kontakt:
Märkischer Kreis, Kulturamt/Kreisarchiv,
Bismarckstr. 15,
58762 Altena
Tel: 02352/966-7056
Fax: 02352/966-7166

Quelle: Westfalenpost, 2.4.2004