Wissenswertes über Erlangen

Zum 1000-jährigen Jubiläum von Erlangen leistete sich ein Historiker einen dicken Fauxpas: Seinen Artikel zur Stadtgeschichte hatte er ausgerechnet beim Erlanger Stadtarchivar abgekupfert. Nun flog der Schwindel auf. Plagiate in der Wissenschaft sind nicht gerade selten – auch gestandene Gelehrte klauen mitunter Ideen und Texte.

„Fürstliche Stadtentwicklung in der frühen Neuzeit: Toleranz und Geometrie“ lautete der etwas sperrige Titel des Artikels, den der Erlanger Geschichtsprofessor Wolfgang Wüst vor zwei Jahren zum 1000-jährigen Erlanger Stadtjubiläum veröffentlichte. Ein Text mit deutlichen Schönheitsfehlern: In seinem Beitrag verzichtete Wüst darauf, erhebliche Textübernahmen aus einem früheren Artikel des Erlanger Stadtarchivars Andreas Jacob deutlich zu machen.

„Diese Kennzeichnung von wörtlichen Passagen ist normalerweise wissenschaftlich üblich, und wenn man das unterlässt, dann ist der Vorwurf eines Plagiats zutreffend“, kommentiert der Erlanger Uni-Rektor Wolf-Dieter Grüske den Fall. Wüst habe, so der Rektor, den Text- und Ideenklau nach einem Gespräch mit der zuständigen Untersuchungskommission auch eingeräumt: „Er hat die Vorwürfe, nachdem er damit konfrontiert wurde, bestätigt.“ Wolfgang Wüst wurde gerügt, erhielt einen Eintrag in seine Personalakte und wurde obendrein dazu vergattert, eine Richtigstellung zu seinem Fake-Artikel zu veröffentlichen.

Und so geschah es: „In einem von mir veröffentlichten wissenschaftlichen Beitrag wurden substanzielle Textteile aus Veröffentlichungen von Herr Dr. Jacob verwendet, die als solche nicht als wörtliche Zitate oder als sinngemäße Wiedergaben gekennzeichnet wurden“, heißt es in der mittlerweile erschienenen Abbitte, „durch die Art meiner Darstellung konnte zudem der Eindruck entstehen, ich hätte die entsprechenden Archivalien selbst recherchiert. Dies ist nicht der Fall.“

Für den Erlanger Rektor Wolf-Dieter Grüske ist die schnelle Erledigung des Falls Beleg dafür, wie gut die Selbstkontrolle der Wissenschaft in Erlangen mittlerweile funktioniert. Vor vier Jahren hatte es in einem anderen Fachbereich schon einmal einen ganz ähnlichen Fall gegeben. Das Bekanntwerden des aktuellen Plagiats inner- und außerhalb der Universität, hofft Rektor Wolf-Dieter Grüske, sei für den Betroffenen „eine wichtige Lehre“, die „mit Sicherheit dazu führen wird, dass hier sorgfältiger gearbeitet wird“. In der im Internet veröffentlichten Publikationsliste von Wolfgang Wüst ist der inkriminierte Artikel allerdings immer noch zu finden.

Kontakt:
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Quelle: Armin Himmelrath, SPIEGEL online, 26.4.2004

Ortsarchiv bleibt in Kappishäusern

Die Neuffener Geschichte liegt säuberlich gesichtet, geordnet und katalogisiert in den Archivräumen des Rathauses. Die Stadt hatte die Archivbestände in den letzten Jahren durch das Esslinger Kreisarchiv durchforsten lassen. Was dem Neuffener Archiv zu Gute kam, will man nun auch dem Kappishäuserner Archiv angedeihen lassen. Bürgermeister Schmidt stellte das Angebot des Kreisarchivs in der jüngsten Sitzung vor. Die geschätzten Kosten von 23.000 Euro lösten Erstaunen in der Runde aus, war doch die wesentlich umfangreichere Ordnung der Neuffener Bestände nur mit 48.000 Mark in Rechnung gestellt worden.

Stadtrat Jörg Döpper schlug vor, das Archivgut über eine Vorauswahl zu reduzieren und damit Kosten zu sparen. Stadtrat Dieter Kammerer, der das gleiche Ziel  verfolgte, regte an, die Fachleute des Kreisarchivs durch städtisches Personal zu unterstützen. Für Stadtrat Dieter Reiss gingen diese Vorschläge nicht weit genug. Er könnte sich vorstellen das Kappishäuserner Archiv aufzulösen und nach Neuffen einzugliedern, da die Archivpflege dann zukünftig einheitlich betrieben werden könne.

Schon aus Platzgründen lehnte Bürgermeister Wolfgang Schmidt dieses Ansinnen ab. Er warb dafür, diese schwierige Materie ausschließlich Fachleuten zu überlassen. Darüber, dass die Ordnung des Kappishäuserner Archivs im kommenden Jahr angegangen werden müsse, herrschte dann doch Einigkeit. Über den Preis soll jedoch nochmals verhandelt werden.

Quelle: Nürtinger Zeitung, 27.4.2004

Urkunden kehren nach 60 Jahren ins Sächsische HSTA Dresden zurück

Zufällig stoßen im Herbst 2003 beim Entrümpeln eines unlängst übernommenen Hauses im kleinen Erzgebirgsvorort Bieberstein die neuen Besitzer auf dem Dachboden auf drei alte Kisten mit besonderem Inhalt: Siegel und Aktenstapel. Wenig später kreuzen die Leute mit dem Fund im Freiberger Bergarchiv auf. Freiberger Archivare erkennen, dass es sich um Urkunden und Akten vom sächsischen Hofe handelt. Sie benachrichtigen das Sächsische Hauptstaatsarchiv in Dresden. Dessen Spezialisten identifizierten schnell das Siegel Kaiser Karls V. (1500-1551) und Papiere des kurfürstlichen Geheimen Rates aus dem 17. Jahrhundert.

Der Fund gilt als kleine Sensation. Die Entdecker – sie erhielten eine „kleine Finderprämie“ – wollen unerkannt bleiben, sagt Guntram Martin, Leiter des Sächsischen Hauptstaatsarchivs. „Seit einem halben Jahrhundert werden diese Akten vermisst“, betont er. Es gehe um historisch einzigartige Dokumente der sächsischen Geschichte.

In der gesiegelten Urkunde mit der Archivnummer 11 005 bestätigte der römisch-deutsche Kaiser Karl V. am 27. Juli 1541 den Reichsfürstenstand der meißnischen Bischöfe. Zuvor hatte sich der Meißner Bischof Johann beim Kaiser beschwert, weil er sich vom sächsischen Kurfürsten ins politische Abseits gedrängt sah. Die wiederentdeckten Akten des Geheimen Rates behandeln vor allem Vorgänge in der Lausitz: Standesangelegenheiten, die Landesordnung in der Niederlausitz, Vermögenssteuerangelegenheiten der Stände, auch eine Strafermittlungsakte von 1607 ist dabei.

Die Dresdner Archivare können mittlerweile die Odyssee der alten Papiere einigermaßen rekapitulieren. Begonnen hat sie in den Wirren der letzten Monate des Zweiten Weltkrieges. In einer Zeit, in der auch das Dresdner Staatsarchiv eines der dramatischsten Kapitel in seiner Geschichte erlebte.

Schon am 18. Oktober 1943 inspiziert der Dresdner Archivinspektor Karl Jäger erstmals den Ort Bieberstein. Er ist auf der Suche nach „Ausweich- und Auffangstellen“ für sein Archivgut. Auch Schloss Bieberstein hat er dafür ins Auge gefasst. Es „liegt frei auf einer Felszunge über der Talsohle der Bobritzsch“, notiert Jäger damals und nimmt die Zusage von Rittergutsbesitzer Görg mit. Der will dem Archiv das Blaue Zimmer, eine ehemalige Wachstube und einen dritten Raum zur Verfügung stellen. Mit vielen Besitzern und Verwaltern von Burgen, Schlössern oder Rittergütern kommt es ab 1942 zu ähnlichen Verhandlungen. Ausweichquartiere auf dem Lande sind gefragt. Die Kriegsfurcht treibt die besorgten Verwalter der Dresdner Kunst- und Kulturschätze zur Suche nach Depots in der Provinz.

Im Sommer 1944 nimmt das Dresdner Hauptstaatsarchiv das Depot im Schloss in Anspruch. 128 Pakete mit Volkszählungslisten werden nach Bieberstein gebracht, auch zehn Kisten mit wertvollen alten Urkunden. Auch Akten des Geheimen Rates sind dabei, darunter ein Schriftwechsel der Jahre 1466 bis 1471, der als „Irrungen zwischen König Georg von Böhmen und dem Papste“ überliefert ist.

Bis zum Kriegsende reist Archivinspektor Jäger immer wieder durch Sachsen, um die ausgelagerten Bestände zu kontrollieren. Auch nach dem berühmten Wittenberger Archiv schaut er. Es sind quasi die ältesten überlieferten Aktenbestände Sachsens. Sie liegen mit Schätzen des Dresdner Grünen Gewölbes in den Kasematten des Königsteins. Wenige Tage nach dem Zusammenbruch des Naziregimes kommt Nachricht von Schloss Bieberstein. Der Verwalter teilt im Juni 1945 der Dresdner Archivverwaltung mit: „400 Russen“ hätten das Schloss besetzt. Mitte Juli macht sich Archivinspektor Jäger mit einem Kollegen auf den Weg nach Bieberstein, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Sein Bericht ist erschütternd: „Schloss unbewohnt und ausgeplündert“, „Besitzer nicht anwesend“, „Akten im Keller durcheinander geworfen“, „8 Urkundenkästen fehlen offenbar“, „Abtransport vordringlich“, so schreibt er seine Beobachtungen nieder. Bei Jägers nächstem Besuch im Oktober hat die KPD vom Schloss Besitz ergriffen. Der Hausmeister erzählt, dass ganze Aktenpakete „aus dem Fenster geschmissen wurden“. Mit „größeren Verlusten“ sei zu rechnen, hält Jäger fest. Ein Teil der Dresdner Akten wird versehentlich nach Freiberg geschafft.

Anfang Dezember 1945 gehört das Schloss der SPD, und die verbliebenen Archivalien landen in einem alten Stollengang. „Bedeutend verschlechtert“ habe sich ihr Zustand, berichtet Jäger in Dresden. Im März 1946 alarmiert die Stadt Freiberg das Staatsarchiv: In der SPD-Arbeiterakademie Bieberstein würden „wertvolle Akten“ völlig unsachgemäß, verwahrlost und beschädigt lagern. Wenig später schildert Staatsarchivleiter Hellmut Kretzschmar dem Schulleiter in Bieberstein sein Dilemma. Ihm fehlen Autos und Benzin, um die ausgelagerten Bestände zurückzuholen. Im Großen und Ganzen seien die Akten „gut durch die Kriegswirren hindurchgekommen“, aber nun bestehe die Gefahr, dass „noch nachträglich schmerzliche Verluste eintreten“, schreibt er. Bis zum 30. März 1949 sollte es noch dauern, ehe Archivinspektor Jäger die letzten Akten aus Bieberstein zurück nach Dresden geholt hatte. Alle fand er nicht.

So sind die Bestände im Dresdner Staatsarchiv bis heute noch nicht wieder vollständig vorhanden. Ähnliches wie in Bieberstein erlebte Inspektor Jäger auch in Rochlitz und Schieritz bei Meißen. Das Schloss sei unbewohnt und „völlig ausgeplündert“, die Akten in „wüster Unordnung“, berichtet er am 19. Juli 1945 über Schloss Schieritz.

Fast 60 Jahre später hat Peter Wiegand, der stellvertretende Leiter des Dresdner Hauptstaatsarchivs, noch immer die stille Hoffnung: „Das kleine Wunder in Bieberstein ist vielleicht kein Einzelfall.“ So manche wertvolle Akte aus Dresden könnte auch in Schieritz und Rochlitz auf eine „Wiederentdeckung“ warten. Bis heute fehlen dem Staatsarchiv hunderte bedeutende Archivalien und historische Karten. Einige gelten als verschollen. Größtenteils ist allerdings bekannt und dokumentiert, wo sie derzeit liegen.

Auf Wiegands Schreibtisch steht ein unscheinbarer Karteikasten. Sein Inhalt: vergilbte, aber hoch brisante Ausleihscheine aus den Jahren 1945 bis 1947. Sie dokumentieren, wem die Dresdner Archivare historisch besonders wertvolle Akten in die Hand gegeben haben. Empfänger waren in allen Fällen Offiziere der damaligen sowjetischen Militäradministration (SMA). Schon wenige Tage nach Kriegsende erhalten Mitarbeiter des Archivs Anweisung, ihre Bestände nach Akten zur Geschichte Russlands, zu den deutsch-russischen Beziehungen und zur Entwicklung der Arbeiterbewegung zu durchsuchen. So muss Archivinspektor Jäger am 25. Mai 1947 die Ermittlungsakte des Leipziger Amtsgerichts gegen August Bebel wegen „staatsgefährlicher Schmähung“ bei der Archivabteilung der SMA abliefern. Auch andere Prozessakten landen dort, so die gegen Wilhelm Liebknecht oder Richard Wagner, Gottfried Semper und Michail Bakunin wegen deren Teilnahme am Dresdner Maiaufstand 1849.

Meist handschriftlich, aber bürokratisch exakt füllen die Dresdner Archivare bis 1950 für jede abgegebene Akte einen Leihschein aus – insgesamt kommen etwa 1 500 Einzelquittungen zusammen. Sie belegen unter anderem die Ausleihe so wertvoller Bestände wie Akten der sächsischen Gesandtschaft im Russland des 17. Jahrhunderts, Archivalien des „Geheimen Rates“ und des „Geheimen Kabinetts“.

Bis 1955 kommt knapp die Hälfte der Dresdner Bestände aus Moskau zurück. Außerdem fehlen zu dieser Zeit auch etwa 530 Bände des Wittenberger Archivs. Sie waren 1945 zusammen mit den Kunstschätzen vom Königstein nach Moskau verbracht worden. Etwa zwei Drittel der Wittenberger Akten kehren 1958 mit den Schätzen des Grünen Gewölbes nach Dresden zurück. Der beträchtliche Rest fehlt. Noch 1963 bemüht sich das Dresdner Staatsarchiv um die Rückkehr der „ausgeliehenen“ Bestände. Das Argument: DDR-Historiker, die im SED-Auftrag die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung aufschreiben, monieren die fehlenden, aber unerlässlichen Quellen. DDR-Archivare haben die Dresdner Bestände im Moskauer Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus sogar gesehen. Fast 700 Akten und historische Karten lagern bis heute in einem Moskauer „Sonderarchiv“, sagt Peter Wiegand. „Sie gelten als Teil des deutsch-russischen Beutekunst-Problems.“ Das heißt: Auf ungewisse Zeit bleiben sie Dauerleihgaben.

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Quelle: Thomas Schade, Sächsische Zeitung, 26.4.2004

Service historique de la Marine in Paris

Der »Service historique de la Marine« in Paris, eines der weltweit umfangreichsten Marinearchive, blickt auf eine reiche Tradition zurück. In seiner heutigen Form wurde es vor 85 Jahren im Juli 1919 gegründet (Link). Vorläufer dieser einmaligen Institution reichen jedoch bis ins Jahr 1699 zurück, als der damalige Staatssekretär Jérôme de Pontchartrain am Place des Victoires das erste Marinearchiv Frankreichs einrichten ließ. Doch unbeständiges Interesse der Marinebehörden und häufige Orts- sowie Führungswechsel bescherten den Marinearchiven bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine ausgesprochen turbulente Geschichte. Erst mit der Gründung des »Service historique« erhielten sie eine Struktur, die bis heute nahezu unverändert fortbesteht.

1919 wurden im neugegründeten »Service historique« zwei bereits seit längerem existierende Einrichtungen vereint: Die »Section historique de la Marine« und der »Service des Archives et bibliothèques de la Marine«.

Der Gründungserlass legte die Aufgabenteilung fest. Während der »Service des Archives« als zentrale Einrichtung die Archive der Marine sowohl in Paris als auch in den fünf Militärhäfen Cherbourg, Brest. Lorient, Rochefort und Toulon verwalten soll, hat die »Section historique« die Aufgabe, »nach wissenschaftlichen und kritischen Methoden die Vergangenheit auszuwerten«, damit der Führungsstab »auf soliden Grundlagen allgemeine Grundsätze für die Politik und die Seekriegsführung festlegen kann.«

Dazu stehen beeindruckende Bestände zur Verfügung: Die Zentralbibliothek allein umfasst 175.000 Bände. Neben Druckwerken besitzt sie eine umfassende Sammlung mit mehr als 1.000 Manuskripten zur französischen Marine und den Kolonien seit dem 15. Jahrhundert. Hinzu kommen mehr als 10.000 kartographische Werke über Frankreich und die Welt seit dem 16. Jahrhundert, mehr als 1.400 Karten, Pläne und Aufrisse der Marinearsenalgebäude, ein inkonographischer Bestand von etwa 100.000 Bildern, darunter mehrere Tausend Postkarten und Ansichten von Schiffen, Häfen, Szenen aus dem Leben an Bord und anderen Motiven.

Die Bibliotheken in den fünf Seehäfen verwalten jeweils noch einmal 10000 bis 20000 Bände, außerdem verfügen sie über zum Teil sehr umfangreiche Manuskriptsammlungen. Insgesamt füllen die Bestände des »Service historique« etwa 50 Regalkilometer.

Inhaltlich sind sie von unschätzbarem Wert. Die französische Marine hat in mehr als drei Jahrzehnten außergewöhnliche schriftliche Zeugnisse zusammengetragen, deren historische Bedeutung weit über die Kriegsmarine hinaus geht.

Seit 1974 sind die Leitung und die Zentralverwaltung des »Service historique« im Schloss von Vincennes untergebracht, das ebenfalls eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Nach umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen durch das Verteidigungsministerium beherbergt es heute neben dem »Service historique« die Paralleleinrichtungen des Heeres und der Luftwaffe.

Link: http://www.servicehistorique.marine.defense.gouv.fr/

Kontakt: contact@servicehistorique.marine.defense.gouv.fr

Quelle: Henri Sieber, Netecho.info, 24.4.2004

Wertvolle Kulturgüter vor dem Zerfall retten

Bis ins 19. Jahrhundert war Papier ein aus Lumpen hergestelltes, handwerkliches Produkt. 1805 wurde dann die saure Harz-Alaun-Leimung erfunden, und ab 1844 konnte Papier aus Holz hergestellt werden. So praktisch das Verfahren für die Massenherstellung war, für Archive wie das Schweizerische Bundesarchiv wurde es zum Problem: Die Säure setzt sich allmählich frei, das Papier verfärbt sich bräunlich und wird brüchig. Rund 13.000 Tonnen Dokumente sind in Schweizer Archiven und Bibliotheken vom Zerfall bedroht.

Jetzt aber können Schweizer Archivare und Bibliothekare ein wenig aufatmen. Dank der weltweit modernsten und grössten, bundeseigenen Papierentsäuerungs-Anlage im bernischen Wimmis kann zum Beispiel das „nationale Gedächtnis“ im Bundesarchiv nun gerettet werden.

Seit dem Jahr 2000 behandelt die Nitrochemie AG dort Papier, stoppt den Papierzerfall und schützt die Dokumente für mindestens 150 Jahre vor einer weiteren Zersetzung. Das ergab eine kürzlich durchgeführte Qualitätskontrolle: Von über 820.000 überprüften Akten waren 97 Prozent erfolgreich entsäuert worden. Für die Entsäuerung wird das Papier zunächst in einer äusserst dünnflüssigen, organischen Siliziumverbindung gebadet. Diese enthält eine spezielle Wirksubstanz aus Magnesium- und Titanverbindungen.

„Die Behandlungsflüssigkeit durchdringt in kürzester Zeit sowohl dicke, gebundene Bücher wie auch lose Papiere in geschlossenen Archivschachteln“, sagt Markus Reist, Leiter der Produktion. Die Wirksubstanz neutralisiert die im Papier vorhandene Säure und wirkt gleichzeitig neu freigesetzter Säure über Jahrhunderte entgegen. Bis heute konnten so über 250 Tonnen Schriftgut erfolgreich behandelt werden.

Das ursprünglich in Deutschland patentierte Verfahren wurde für den industriellen Einsatz in Wimmis zur Marke „papersave swiss“ weiterentwickelt. Wesentlich ist, dass die Dokumente unverändert bleiben: „Sogar handgeschriebene Texte mit Tinte, Kugelschreiber, Blei- oder Filzstift bleiben intakt, wie auch alle Arten von Bilddruck und Einbänden“, sagt der Chemiker Bruno Walther von „papersave swiss„.

Die Behandlung ist vergleichsweise preiswert: Sie beläuft sich auf rund 30 Franken je Kilo Dokumente, eine Sicherung auf Mikrofilm kostet dagegen das Dreifache, die Digitalisierung der Dokumente verschlingt sogar mehr als das Zehnfache. Die Entsäuerung hat zudem den Vorteil, dass das Original selbst konserviert wird.

Mit einer Kapazität von 120 Tonnen pro Jahr kann die Anlage in Wimmis den Bedarf nur in vielen Jahrzehnten bewältigen. Allein die Behandlung der rund 3000 Tonnen säurehaltiger Dokumente des Schweizerischen Bundesarchivs und der Landesbibliothek würde fast 40 Jahre in Anspruch nehmen. Die Geldmittel dazu sind vorerst aber nur für die ersten fünf Jahre gesichert. Priorität haben darum die Bestände zwischen 1930 und 1980 – für manche ältere Dokumente kommt die Rettung zu spät.

Auch viele Spiel- und Dokumentarfilme der Vergangenheit drohen zu zerfallen. „Gut gelagert können sie mehr als hundert Jahre überstehen“, erklärt Reto Kromer vom Schweizer Filmarchiv in Penthaz. „Bei schlechten Lagerbedingungen treten Probleme mit der Haltbarkeit auf, zum Beispiel Abgabe von Essigsäure, die die Bilder bleichen, oder Verschimmelung.“

Um bedrohtes Filmgut zu bewahren, muss man rechtzeitig eine Kopie erstellen. Die Filmstreifen werden zuerst gereinigt und zerrissene Stellen zusammengeklebt. Wenn nötig, lässt sich durch fotochemische Verfahren der Kontrast steigern. Digitale Kopien sind nur sinnvoll, wenn man elektronische Retuschen vornehmen will.

Dann wird aber auf Film zurückkopiert, denn Filme sind beständiger als digitale Kopien. Die Konservierung von Filmgut ist aufwändig und kostspielig: „Für 8 Minuten Film muss im Mittel mit 12 Stunden Arbeit gerechnet werden“, schätzt Kromer. „Aus Kostengründen gehen deshalb viele wertvolle Streifen leider verloren.“

Quelle: Jean-Jacques Daetwyler, swissinfo, 24.2.2003

Angebliche Nazi-Pornos sind aus den fünfziger Jahren

Die als angebliche Nazi-Pornos bekannt gewordenen „Sachsenwaldfilme“ stammen nach Einschätzung des Filmhistorikers Helmut Regel vom Bundesarchiv in Koblenz zweifelsfrei erst aus den fünfziger Jahren. „In den 34 Jahren, die ich mich mit der Zeit 1933 bis 1945 beschäftige, habe ich nicht einen einzigen Meter pornografischen Films aus deutscher Produktion gesehen“. Die Machart der angeblichen Nazi-Pornos sowie Details der Ausstattung deuteten auf Amateuraufnahmen aus der Zeit nach der Währungsreform hin. Der Schriftsteller Thor Kunkel hatte dagegen nach Recherche der Geschichte der „Sachsenwaldfilme“ in seinem Roman „Endstufe“ beschrieben, wie in der NS-Zeit Porno-Filme gedreht worden seien, um sie gegen Rohstoffe einzutauschen.

Kontakt:
Bundesarchiv
Potsdamer Str. 1
56075 Koblenz
Telefon  0261/505-0
Telefax  0261/505-226
koblenz@barch.bund.de

Quelle: dpa/Die Welt, 23.4.2004

Oh Gott, nix für mich – Girls´ Day im Archiv

Seite für Seite blättern die Mädchen die Zeit zurück. „Guck mal, was für komische Schuhe“, kichert Vanessa über eine historische Werbeanzeige für Stiefeletten in einem Ingelheimer Zeitungsband aus dem 19. Jahrhundert. „Zu Ostern gesucht: Ein braves Mädchen, welches Haus- und Küchenarbeit versteht sowie ein zuverlässiges Kindermädchen“, liest ihre Freundin unter großem Gelächter den heute seltsam anmutenden Text einer alten Chiffre-Annonce vor. Dass Frauen damals bloß für Küche und Kinder gut waren, finden die Fünft- und Neuntklässlerinnen des Sebastian-Münster-Gymnasiums „nur lächerlich“.

Die Schülerinnen haben gestern am bundesweiten „Girls´ Day“ das Ingelheimer Stadtarchiv besucht und sich über den Beruf des Archivars schlau gemacht. Der Aktionstag hat eigentlich das Ziel, Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren. Doch auch zwischen Aktenbergen und dickleibigen Folianten arbeiteten nur wenige Frauen, erzählt Stadtarchivar Hans-Jürgen Finkenauer.

Von der Aussicht, inmitten mittelalterlicher Haderbücher oder zerbröselnder Dokumente zu verstauben, sind nicht alle der Mädchen begeistert: „Oh Gott“, seufzt eine aus tiefstem Herzen, als sie durch die endlosen Regalfluchten schreitet. „Das wär´ echt nix für mich.“ Ihre Freundin hingegen könnte sich mit dem Gedanken anfreunden und stellt auch für ihre Schwester kluge Fragen: „Die will nämlich mal Buchwissenschaft studieren.“

Kontakt:
Stadtarchiv Ingelheim
Neuer Markt 1
55218 Ingelheim
Tel.: 06132-782131
Fax: 06132-782134
http://www.ingelheim.de/

Quelle: Achim Reinhardt, Allgemeine Zeitung, 23.4.2004

Fielmann hilft Stadtarchiv Frankfurt/O.

Eine Spende des Unternehmers Günther Fielmann ermöglicht es dem Stadtarchiv Frankfurt/Oder, nun Wechselausstellungen in seinem Haus an der Collegienstraße durchzuführen. Die Fielmann AG, die seit zwölf Jahren in Frankfurt eine Niederlassung hat, stellt dem Archiv ein dafür notwendiges Bilderpräsentationssystem zur Verfügung.

Das Hamburger Brillen-Unternehmen will das Stadtarchiv nach eigenem Bekunden weiter unterstützen. So sollen etwa die Bestände der Frankfurter Drucke ergänzt und die Frankfurter Stadtansichten, die 2003 im Rathaus gezeigt wurden, durch Zukäufe erweitert werden. Eigens dafür verfolgt Jürgen Ostwald, der Leiter der optischen Sammlungen bei der Fielmann AG, den gesamtdeutschen Auktionsmarkt. „Wenn etwas zum Vorschein kommt, was mit Frankfurt zu tun hat, wird es gekauft“, sagt er. Meist spricht er sich dann kurzerhand mit dem Leiter des Stadtarchivs Ralf-Rüdiger Targiel ab. Ostwald blickt schon etwas weiter voraus. Er will mit dem Archiv für die Feierlichkeiten zum 2006 anstehenden 500. Gründungsjubiläum der Europa-Uni eine Austellung zum Thema Optik machen. „Dieses Kapitel hat Bedeutung. Die Professoren haben damals selbst Linsen geschliffen“, erzählt der Fachmann. Dass die Oderstadt einst für Brillenproduktion bekannt war, daran hatten Fielmann-Niederlassung und Stadtarchiv mit ihrer Ausstellung im Vorjahr erinnert. 

Kontakt:
Stadtarchiv Frankfurt (Oder)
Collegienstraße 8 – 9
(Collegienhaus)
15230 Frankfurt (Oder)
Telefon: (03 35) 6 80 30 04 oder 6 65 96 10
Fax: (03 35) 6 80 27 73
stadtarchiv@frankfurt-oder.de
http://www.frankfurt-oder.de/archiv 

Quelle: Märkische Oderzeitung, 21.4.2004

53. Thüringischer Archivtag am 16. Juni in Arnstadt

Der 53. Thüringische Archivtag wird am 16. Juni 2004 im Theater im Schlossgarten in Arnstadt stattfinden. Die Stadt Arnstadt war bereits 1899, 1907 und 1912 Gastgeber des Thüringischen Archivtages.

In diesem Jahr begeht Arnstadt als ältester urkundlich erwähnter Ort der neuen Bundesländer seine 1300-Jahrfeier. Dass der diesjährige Archivtag in Arnstadt stattfindet ist unter anderem dieser Tatsache geschuldet. Passend zu diesem Anlass steht die Fachtagung unter der Thematik „Archive und Jubiläen – Organisation, Finanzen und Kooperationen“.

Folgende Referate sind vorgesehen:

  • Beate Kaiser, Stadtarchivarin von Mühlhausen: „ ‚in dulci iubilo‘ – Zum Jubiläum eine Bestandsvisite von A-Z“
  • Tobias Kaiser, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte: „Eine neue Universitätsgeschichte. Zur Vorbereitung des 450-jährigen Jubiläums der Universität Jena“
  • Dr. Tilde Bayer, Leiterin SCHOTT GlasMuseum & Unternehmensarchiv: „120 Jahre SCHOTT in Jena – Beiträge des Unternehmensarchivs zur Ausgestaltung eines Firmenjubiläums“
  • Dr. Cornelia Hobohm, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Marlitt e.V.: „Wiederbelebung einer Autorin“

An die Fachtagung wird sich die Mitgliederversammlung des Thüringer Archivarverbandes mit der turnusmäßigen Neuwahl des Vorstandes anschließen. Die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalarchivare im Thüringer Archivarverband wird in diesem Jahr vor Beginn der Fachtagung von 9.00-9.30 Uhr stattfinden. Als Beiprogramm zum Archivtag ist eine Stadtführung geplant.

Infos:
Für weitere Informationen zum Ablauf des Archivtages stehen der Vorstand des Thüringer Archivarverbandes (c/o Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Tel. 03672/ 4319-12) und der Ortsausschuss (Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt, Tel. 03628/ 583739) zur Verfügung.

Quelle: Veranstaltungskalender des VdA, Einladung und Programm (*.doc), 20.4.2004

Forschungsbilanz zum Thema Zwangsarbeit und die Kirchen

Vier Jahre nach der Debatte um die Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und die Einrichtung des Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft hat sich das Thema zu einem der größten Projekte der deutschen Zeitgeschichte gemausert. Das wurde bei einer ökumenischen Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart deutlich. Dort wurde der Versuch einer Bilanz unternommen. Dabei konzentrierten sich die Referenten auf den Bereich der Zwangsarbeit in der Kirche.
Mittlerweile liegen zahlreiche Einzeluntersuchungen für Landeskirchen und Diözesen sowie kirchliche und diakonische Einrichtungen vor.

In seinem Überblick für den evangelischen Bereich konstatierte der Marburger Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser eine Konkurrenz zwischen der Aufklärung des Sachverhaltes und der „kirchenpolitischen Verwertbarkeit“ der Ergebnisse. Die kirchlichen Auftraggeber machten die Erfahrung, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Erregung über die vermeintlich ungenügende Aufarbeitung häufig größer sei als über die Zwangsarbeit selbst.

Trotz teilweise schwieriger Quellenlage – es gibt überhaupt nur Untersuchungen aus dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik – sollen mindestens 15.000 ausländische Zwangsarbeiter bei der evangelischen Kirche und der Diakonie eingesetzt worden sein, was einem Anteil von fünf Prozent aller Beschäftigten entspricht. Angesichts des Arbeitskräftemangels im Krieg bemühten sich viele Einrichtungen um die Zuteilung von Kriegsgefangenen und anderen Zwangsarbeitern.

Das konnte so weit gehen, dass kirchliche Mitarbeiter bereits am Bahnhof geeignete Gefangene aussuchten und mitnahmen. Selbst etliche evangelische Pfarrhaushalte beantragten beim Arbeitsamt die Zuteilung von „hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen“, die sie bei politischer Zuverlässigkeit auch erhielten. So wie jetzt die Rolle der Kirchen im Krieg systematisch erforscht wird, entwickelten beide christlichen Konfessionen erst durch die Diskussion der vergangenen Jahre ein Unrechtsbewusstsein für die Lage der Zwangsarbeiter.

Dabei entschied sich die katholische Bischofskonferenz für einen Sonderweg, indem sie nicht der für die Entschädigungszahlungen gegründeten Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ beitrat, sondern in Eigenregie 2,5 Millionen Euro für Ausgleichsleistungen und 2,5 Millionen Euro für Versöhnungsarbeit bereitstellte. Evangelische Kirche und Diakonie beteiligten sich mit der gleichen Summe an der Entschädigung innerhalb der Stiftung.

Bisher konnten 4.519 Zwangsarbeiter in katholischen Diensten namhaft gemacht werden, von denen 533 Personen Entschädigungen in Höhe von durchschnittlich 2.500 Euro bewilligt wurden. Da zum Stichtag 30. Juni 2004 die Entschädigungszahlungen eingestellt werden sollen, wurde der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, aufgefordert, bei der Bischofskonferenz eine Verlängerung der Frist zu beantragen. Es wird mit der Ermittlung weiterer Zwangsarbeiter gerechnet, hieß es zur Begründung.

Der Alltag der Zwangsarbeiter, die überwiegend aus Polen und Frankreich, aber auch aus Russland oder der Ukraine kamen, war im Krieg sehr unterschiedlich. Weil die vornehmlich jungen Menschen der Jahrgänge 1920 und jünger bei den Kirchen und diakonischen Einrichtungen nicht in der Industrie, sondern hauptsächlich in der Landwirtschaft, in Haus- und Gartenwirtschaft oder Krankenhäusern arbeiteten, waren die Lebensbedingungen besser.

Gleichwohl fielen auch die kirchlichen Zwangsarbeiter unter die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, die etwa für Ostarbeiter Lager vorsahen. Und so wie die deutschen Kirchenbeschäftigten dieselben Vorurteile gegenüber den Fremden hatten wie ihre Landsleute, waren auch die kirchlichen Entscheidungsträger in das Netzwerk der örtlichen nationalsozialistischen Amtsträger eingebunden.

Links:

Quelle: Evangelische Pressedienst (epd), Südwest, 21.4.2004