Da mit dem heutigen Tag die Tätigkeit des Sachbearbeiters für die Zwangsarbeiternachforschungen im Stadtarchiv Braunschweig, Frank Wegener, endet, soll kurz an die dortigen Recherchen erinnert werden. Als besonderer Schatz entpuppten sich die Karteikarten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). „Schicksalsträger“ nennt Wegener diese abgegriffenen Karteikarten mit Eselsohren und ausgefransten Rändern. Sie sind der Grund dafür, warum Braunschweig die beste Nachweisquote in ganz Niedersachsen hat: Im vergangenen Jahr konnten 361 von 859 gesuchten NS-Zwangsarbeitern ermittelt werden. Das sind 42 Prozent. Im übrigen Niedersachsen seien Quoten im einstelligen Bereich die Regel, so Wegener.
Nach Anfragen von Archiven, denen ein Beschluss der AOK Niedersachsen folgte, die Akten zugänglich zu machen, wurde die Kartei schließlich im März 2002 aus dem Keller der Braunschweiger AOK-Hauptstelle ans Tageslicht befördert. 45.000 Meldekarten von überwiegend osteuropäischen Arbeitern, die in der Stadt und dem damaligen Landkreis Braunschweig unter anderem in der Rüstungsindustrie, in Konservenfabriken, der Landwirtschaft und Privathaushalten eingesetzt waren, sind für das Stadtarchiv ein wertvoller Bestand.
„Das Besondere ist, dass Ausländer überhaupt in einer eigenen Kartei erfasst wurden – das ist deutschlandweit eine Seltenheit“, sagt Dr. Bettina Schmidt-Czaia, die das Stadtarchiv leitet. Allerdings seien nicht alle Ausländer Zwangsarbeiter gewesen, auch freiwillige Arbeitskräfte befänden sich in der Kartei. Und nicht alle Zwangsarbeiter waren bei der AOK gemeldet. „Einige waren gar nicht versichert, andere in einer werkseigenen Krankenversicherung, etwa bei VW“, so Wegener. Dennoch komme der AOK-Kartei eine enorme Bedeutung zu: 95Prozent der Nachweise gelängen dadurch, der Rest werde mit Hilfe von Unterlagen des Standes- und des Einwohnermeldeamtes ermittelt.
Dass die so genannten Fremdarbeiter, die oft unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und leben mussten, überhaupt krankenversichert waren, erklärt Wegener so: „Die wurden bis aufs Blut ausgepresst, sollten aber am Leben bleiben – wegen ihrer Arbeitskraft.“ „Man hat im Dritten Reich versucht, die bürokratische Hülle zu wahren“, ergänzt Bettina Schmidt-Czaia.
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Quelle: Katja Dombrowski, Newsclick.de, 11.4.2003