Eine nicht gerade populäre Wissenschaft betreiben jene Forscher, die danach fahnden, was die Welt im Innersten zusammenhält: die Teilchenphysiker, stets auf der Suche nach Dingen, die kleiner als Atome sind. Wissenschaftler am Lawrence Berkeley-Institut in Kalifornien, die Bosonen ergründen, also Teilchen, die gar keine Masse mehr innehaben, aber die Materie steuern und deren Zusammenhalt bestimmen, können nun eine Errungenschaft mit besonderem Wert präsentieren.
Dank der Bosonenjäger Carl Haber und Vitali Fadejew ist es nun möglich, sich alte Schallplatten, ob aus Vinyl oder Schellack, ja selbst Wachszylinder in digitaler Qualität zu Gemüte zu führen. Selbst wenn sie so marode sind, dass man keine Plattenspielernadel mehr aufsetzen mag – und sogar wenn sie schon zerbrochen sind.
Die beiden Physiker nutzen dazu ein hoch exaktes optisches Abtastverfahren, das sie eigentlich zum Aufspüren jener Elementarteilchen entwickelt haben und dem nichts entgeht, und sei es auch ein tausendstel Millimeter klein. Damit können sie die Oberflächenstruktur einer Schallplatte ohne Berührung genau kartographieren und die Daten über eine Art virtuelle Saphir-Nadel in einen Computer eingeben. Der schließlich bläst die Musik aus dem Lautsprecher oder brennt sie auf eine CD. Kratzer und Hintergrundrauschen können dabei, da sie auf der Plattenkarte leicht zu erkennen sind, eliminiert werden. Dies erhöht die Klangqualität gegenüber dem heute üblichen Überspielen von Platte auf CD, bei dem man alle Nebengeräusche erst nach der Aufnahme herausfiltert.
Völlig zufällig kam die Erfindung nicht zu Stande. Die Leitung der Bibliothek des Kongresses in Washington hatte die beiden Wissenschaftler um Hilfe gebeten. In dem Haus lagern 128 Millionen Objekte, auch Tonträger aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert. Unzählige und unschätzbare alte Klassik-, Blues-, Jazz- und Dixieland-Platten können nun der Welt demonstrieren, dass das US-Parlament noch andere Dinge ausstrahlen kann als leidige Irak- und Haushaltsdebatten. Reden längst verstorbener Prominenter sind ebenso zuhauf gelagert. Auch im British Library's National Sound Archive dürfte man sich über die Erfindung freuen. Mehr als eine Million Vinyl-Platten harren dort ihrer digitalen Erfassung.
Quelle: Ulli Kulke, Morgenpost, 25.4.2004