Wertvolle Kulturgüter vor dem Zerfall retten

Bis ins 19. Jahrhundert war Papier ein aus Lumpen hergestelltes, handwerkliches Produkt. 1805 wurde dann die saure Harz-Alaun-Leimung erfunden, und ab 1844 konnte Papier aus Holz hergestellt werden. So praktisch das Verfahren für die Massenherstellung war, für Archive wie das Schweizerische Bundesarchiv wurde es zum Problem: Die Säure setzt sich allmählich frei, das Papier verfärbt sich bräunlich und wird brüchig. Rund 13.000 Tonnen Dokumente sind in Schweizer Archiven und Bibliotheken vom Zerfall bedroht.

Jetzt aber können Schweizer Archivare und Bibliothekare ein wenig aufatmen. Dank der weltweit modernsten und grössten, bundeseigenen Papierentsäuerungs-Anlage im bernischen Wimmis kann zum Beispiel das „nationale Gedächtnis“ im Bundesarchiv nun gerettet werden.

Seit dem Jahr 2000 behandelt die Nitrochemie AG dort Papier, stoppt den Papierzerfall und schützt die Dokumente für mindestens 150 Jahre vor einer weiteren Zersetzung. Das ergab eine kürzlich durchgeführte Qualitätskontrolle: Von über 820.000 überprüften Akten waren 97 Prozent erfolgreich entsäuert worden. Für die Entsäuerung wird das Papier zunächst in einer äusserst dünnflüssigen, organischen Siliziumverbindung gebadet. Diese enthält eine spezielle Wirksubstanz aus Magnesium- und Titanverbindungen.

„Die Behandlungsflüssigkeit durchdringt in kürzester Zeit sowohl dicke, gebundene Bücher wie auch lose Papiere in geschlossenen Archivschachteln“, sagt Markus Reist, Leiter der Produktion. Die Wirksubstanz neutralisiert die im Papier vorhandene Säure und wirkt gleichzeitig neu freigesetzter Säure über Jahrhunderte entgegen. Bis heute konnten so über 250 Tonnen Schriftgut erfolgreich behandelt werden.

Das ursprünglich in Deutschland patentierte Verfahren wurde für den industriellen Einsatz in Wimmis zur Marke „papersave swiss“ weiterentwickelt. Wesentlich ist, dass die Dokumente unverändert bleiben: „Sogar handgeschriebene Texte mit Tinte, Kugelschreiber, Blei- oder Filzstift bleiben intakt, wie auch alle Arten von Bilddruck und Einbänden“, sagt der Chemiker Bruno Walther von „papersave swiss„.

Die Behandlung ist vergleichsweise preiswert: Sie beläuft sich auf rund 30 Franken je Kilo Dokumente, eine Sicherung auf Mikrofilm kostet dagegen das Dreifache, die Digitalisierung der Dokumente verschlingt sogar mehr als das Zehnfache. Die Entsäuerung hat zudem den Vorteil, dass das Original selbst konserviert wird.

Mit einer Kapazität von 120 Tonnen pro Jahr kann die Anlage in Wimmis den Bedarf nur in vielen Jahrzehnten bewältigen. Allein die Behandlung der rund 3000 Tonnen säurehaltiger Dokumente des Schweizerischen Bundesarchivs und der Landesbibliothek würde fast 40 Jahre in Anspruch nehmen. Die Geldmittel dazu sind vorerst aber nur für die ersten fünf Jahre gesichert. Priorität haben darum die Bestände zwischen 1930 und 1980 – für manche ältere Dokumente kommt die Rettung zu spät.

Auch viele Spiel- und Dokumentarfilme der Vergangenheit drohen zu zerfallen. „Gut gelagert können sie mehr als hundert Jahre überstehen“, erklärt Reto Kromer vom Schweizer Filmarchiv in Penthaz. „Bei schlechten Lagerbedingungen treten Probleme mit der Haltbarkeit auf, zum Beispiel Abgabe von Essigsäure, die die Bilder bleichen, oder Verschimmelung.“

Um bedrohtes Filmgut zu bewahren, muss man rechtzeitig eine Kopie erstellen. Die Filmstreifen werden zuerst gereinigt und zerrissene Stellen zusammengeklebt. Wenn nötig, lässt sich durch fotochemische Verfahren der Kontrast steigern. Digitale Kopien sind nur sinnvoll, wenn man elektronische Retuschen vornehmen will.

Dann wird aber auf Film zurückkopiert, denn Filme sind beständiger als digitale Kopien. Die Konservierung von Filmgut ist aufwändig und kostspielig: „Für 8 Minuten Film muss im Mittel mit 12 Stunden Arbeit gerechnet werden“, schätzt Kromer. „Aus Kostengründen gehen deshalb viele wertvolle Streifen leider verloren.“

Quelle: Jean-Jacques Daetwyler, swissinfo, 24.2.2003

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