„Wie stellt man eigentlich Kubricks Filme aus?“, fragt das Plakat zur weltweit ersten Stanley-Kubrick-Ausstellung, die das Deutsche Filmmuseum gemeinsam mit dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt veranstaltet. „Man stellt sich einfach rein!“, gibt das Poster auf roten Lettern gleich die flotte Antwort.
Ganz so flapsig freilich fällt die Sache nicht aus. Schon der Standort ist alles andere als normal: Hätten nicht eher New York als Geburtsort oder London, der langjährige Wohnort des Regie-Giganten, den Zuschlag für solch ein ambitioniertes Projekt bekommen müssen? „Die Frankfurter haben einfach zuerst gefragt“, begründet Jan Harlan, der Schwager und langjährige Produzent von Kubrick, den Zuschlag für das Filmmuseum in der Bankenmetropole. Seine Schwester Christiane war den Hessen gleichfalls wohl gesonnen. Neun Monate gewährte sie einem Archivar Zugang zu ihrem Londoner Landsitz, um dort den überaus umfangreichen Nachlass zu sichten und auszuwerten. „In diesem Haus suchen wir nicht nach Nadeln, sondern nach Heuhaufen“; kommentiert die deutschstämmige Witwe und Malerin die Sammelwut ihres vor fünf Jahren verstorbenen Mannes.
Kistenweise lagerten dort etwa jene 16.000 Zeichnungen, die der Perfektionist einst mit enzyklopädischer Besessenheit für sein Napoleon-Projekt vor 30 Jahren anfertigen ließ – einen Film, der nie gedreht wurde. Per Mausklick sind diese Bilder nun im Filmmuseum abrufbar. Eingerahmt wird diese virtuelle Datenwelt von einem handgeschriebenen Brief von Oskar Werner, der „very interested to play Bonaparte“ war, derweil Audrey Hepburn auf blauem Papier höchstpersönlich ihre Absage als Josefine mitteilte. Während sich technisch interessierte Cineasten in einer eigenen Abteilung ausführlich über die innovativen Kamerasysteme (nach Wunsch auch mit Audioguide) informieren können, dürften bei den Fans die Requisiten und Rauminstallationen rund um das Kubrick-Oêuvre für Begeisterung sorgen.
Auf der 1.200 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche findet sich die nachgebaute Milchbar aus „Uhrwerk Orange“ ebenso wie die bonbonfarbene Bestuhlung der Hotellounge von „2001 – Odyssee im Weltraum“. Der Fundus an originalen Requisiten reicht von der Axt aus dem Horrorfilm „Shining“ bis zu jener Schreibmaschine, an der Jack Nicholson einst wahnsinnig wurde. Der Soldatenhelm aus „Full Metal Jacket“ fehlt ebenso wenig wie die Bombenattrappe aus der Kriegssatire „Dr. Seltsam“ oder der Astronautenhelm samt Essbesteck von „2001“. Dazwischen immer wieder Filmausschnitte per Video, gekritzelte Drehbuchideen sowie illustre Zeitgeistdokumente.
Kinoliebhaber und eingefleischte Fans des Kultregisseurs kommen beim Blick hinter die Kulissen, bei der Odyssee in faszinierende Arbeitswelten dieses Ausnahmekünstlers gleichermaßen auf ihre Kosten. Im üppigen Katalog findet sich gar eine Szene aus „Barry Lyndon“, die vor der Burg Hohenzollern in Hechingen entstand. Vom einzigartigen Geschäftsmann, der Hollywood wie kein anderer zu kontrollieren verstand, erfährt man freilich ebenso wenig wie vom privaten Menschen Stanley Kubrick, um dem sich zu Lebzeiten die verrücktesten Mythen und Marotten der Filmgeschichte rankten. Nicht einmal einer jener schmuddeligen Anoraks, die er so gerne zu tragen pflegte, fand in Frankfurt eine Vitrine. Vom fußballverrückten, fürsorglichen Familienvater, der Hunde und die „Simpsons“ liebte, keine Spur. Selbst das Ölporträt von seiner Frau hängt, fast verschämt, versteckt in einer hinteren Ecke.
Info:
„Stanley Kubrick“, Deutsches Filmmuseum und Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai, bis 4. Juli; geöffnet Dienstag, Donnerstag, Freitag und Sonntag 10 bis 17 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, Samstag 14 bis 20 Uhr; Eintritt: acht Euro; Katalog 304 Seiten, 29,90 Euro, Eintritt zur Filmreihe 5,50 Euro
Link:
http://www.stanleykubrick.de
Quelle: Dieter Osswald, Stuttgarter Nachrichten, 14.4.2004