Wittenbacher Dokumente in St. Gallen

«Das Kloster war gefangen in der Stadt, die Stadt wiederum gefangen im Fürstenland», schildert Stefan Sonderegger vom Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen (Link) die delikate Situation zwischen der freien Stadtrepublik und dem fürstäbtischen Staat.

Bauern aus dem heutigen Wittenbacher Gemeindegebiet versorgten die Städter, wie Dokumente belegen. Sonderegger: «Es war ein Geben und Nehmen. Das Spital hatte viel Grundbesitz ausserhalb der Stadtmauern – wobei ‹Spital› als ein Fürsorgeinstitut zu verstehen ist, das Handel betrieb.» Das Heiliggeist-Spital und das Bruderspital hatten auch Zehntenrechte im Chapf, einem Einzelhof über dem Sittertobel.

Städtische Steuerbücher geben einen Überblick über lange Zeiträume. Im Wittenbacher Gebiet wohnhafte St. Galler Bürger im 15. Jahrhundert mussten eine Vermögenssteuer in Silbermark abliefern. Eine Einkommenssteuer gab es damals nicht. 1455 ist erstmals ein «Hauptmann» für Wittenbach erwähnt. Eine weitere ergiebige Geschichtsquelle ist das «Jahrzeitenbuch» der Kirche St. Laurenzen, das auflistet, für wen – gegen Bezahlung – Seelenmessen gelesen wurden. Das Jahrzeitenbuch zeugt auch von jährlichen Schutz-Prozessionen aus der Stadt nach Kappel, dem damaligen Kirchlein in Kronbühl – zum Dank dafür, dass dort 1405 bei einer Schlacht wohl dreissig Österreicher, aber nur zwei St. Galler ums Leben gekommen waren.

Im Wittenbach des 19. Jahrhunderts gab es einige wenige Grossbauern mit grossem Einfluss und viele «kleine Leute», ist vom Leiter der historischen Abteilung des Staatsarchivs, Markus Kaiser, zu erfahren. Er verweist auf Max Baumanns Buch «Kleine Leute», das die Wittenbacher Verhältnisse jener Zeit aufzeigt. Eine Ansichtskarte zeigt den Gasthof zur Krone in Kronbühl, der vor 40 Jahren dem Autoverkehr geopfert wurde. Markus Kaiser bezeichnet dieses Wirtshaus gar «als das Historischste» in der Gemeinde Wittenbach.

Die Dokumente im Staatsarchiv zeigen zudem, welches Gericht wann für Wittenbach zuständig war: Stadt St. Gallen (in der Helvetik, von 1798-1803), nach der Kantonsgründung Rorschach, später St. Fiden-Häggenschwil, dann Tablat, bis vor kurzem Bezirk St. Gallen und gegenwärtig Kreis St. Gallen.

Weitere Dokumente zeigen, dass Wittenbach sehr grosszügig mit Einbürgerungen war. Eintragungen im Steuerregister belegen, dass sich der Erste Weltkrieg schlecht auf den Geschäftsgang der Textilfabrikation auswirkte, aber gut aufs Einkommen der Bauern. – Interessant ist auch der Verlauf der alten Konstanzerstrasse entlang der Grenzlinie St. Gallen-Thurgau. Strassen-bau-Pläne für die Gegend wurden in den 1830er-Jahren von Alois Negrelli erstellt. Er war damals kantonaler Strasseninspektor und projektierte später auch den Suez-Kanal. Andere Pläne im Staatsarchiv zeugen von verschiedenen Eisenbahnlinien-Varianten durch die Gemeinde und gar von einem gewaltigen Stausee-Projekt im Sittertobel.

Info:
Staatsarchiv und Stiftsarchiv (St. Galler Pfalz, am Klosterhof) haben einen Lesesaal. Das Stadtarchiv ist in der Vadiana (Museumsquartier). Das Buch «Wittenbach, Landschaft und Menschen im Wandel der Zeit (ISBN 3-908151-37-6) gibts für 90 Fr. in der Gemeindekanzlei Wittenbach.

Kontakt:
Staatsarchiv St.Gallen
Regierungsgebäude
CH-9001 St.Gallen
Tel. 071 229 32 05
Fax: 071 229 34 45
info@staatsarchiv.sg.ch

Stadtarchiv St. Gallen
Notkerstrasse 22
CH-9000 St. Gallen
Telefon 071 – 244 08 17

Quelle: Gerold Huber, St. Galler Tagblatt, 14.4.2004

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