400 Jahre „Haager Vergleich“

Am 8. April 1603 wurde der „Haager Vergleich“ abgeschlossen. Mit diesem Vertrag zog man endgültig der Schlussstrich unter die Emder Revolution von 1595. Der Vergleich umfasst 15 Kapitel, ist in Niederdeutsch abgefasst und dokumentiert das Ende einer langen Phase von Auseinandersetzungen der Stadt Emden gegen die regierenden Landesherrn Edzard II. (1532 bis 1599) und Enno III. (1563 bis 1625).

Es gibt zwei Urkunden von diesem Vertrag. Die eine Ausfertigung lagert heute im Staatsarchiv in Aurich, die andere befindet sich im Emder Stadtarchiv. Mit diesen Papieren wird der Stadt die Eingliederung ihrer Vorstädte bestätigt, desweiteren die Steuerhoheit im städtischen Jurisdiktionsbereich, die militärische Hoheit. Der Vergleich nahm dem Grafen den letzten Einfluss auf die Emder Magistratsbesetzung; er schrieb den ostfriesischen Ständen das Recht zu, sich bei Einberufungsverweigerung durch den Grafen selbständig versammeln zu dürfen; er legte vor allem fest, dass Emden eine von den Ständen finanzierte, ständige Garnison von 600 bis 700 Mann Stärke erhalten solle.

Enno III. Cirksena war sich darüber klar, dass dieser Friede seine landesherrliche Hoheit weiter reduzierte und ihm zumal ihre Wiederherstellung in Emden vorerst unmöglich machte. Entsprechend sträubte er sich, den „Haag’schen Vergleich“ anzunehmen. Aber die generalstaatischen Friedensvermittler konfrontierten ihn kühl mit der Macht der Verhältnisse: „Ihr sollet willigen, was wir wollen oder Kriegh haben.“ Angesichts einer solchen Alternative blieb Enno III. Cirksena nur eine Wahl. Er musste unterschreiben, was er dann auch am 8. April 1603 tat.

So konnte Emden – im Schutz der Generalstaaten – seine Selbständigkeit gegenüber dem Landesherrn auch rechtlich so weit ausdehnen wie bisher noch nie. Den Emder Patrioten aber reichte zunächst dieser Erfolg noch nicht; ihre Wünsche gingen auf radikales Zerschneiden aller Bindungen zum lutherischen Landesherrn. Aber schließlich fügten sich die Emder, besonders auf Druck der vereinigten niederländischen Generalstaaten.

Allerdings war mit der Unterschrift von Enno III. Cirksena unter diesem Vergleich nicht alles geleistet, denn diesem sogenannten „Haager Vergleich“ mussten die ostfriesischen Landstände noch zustimmen, was ihnen sehr schwer fiel. Sahen sie doch, wohin das Emder Stadtregiment sie gebracht hatte. Die Landstände sollten sich nämlich an den Kosten für die niederländische Garnison in der Stadt Emden beteiligen, ein Punkt der zu unendlichen Streitereien in den kommenden Zeiten führte.

Vergebens protestierte Kaiser Rudolf II. dagegen, und auch König Jacob I. von England und Schottland äußerte seine Bedenken. Beide Herrscher befürchteten ein politisches Übergewicht der Generalstaaten. Tatsache ist, dass es langer Verhandlungen bedurfte, um endlich den „Haager Vergleich“ zu ratifizieren. Das geschah dann schließlich am 28./29. November 1603, dokumentiert mit den Unterschriften und Siegeln des Grafen Enno, der Stadt Emden, der Generalstaaten durch deren Abgesandten Maximilian von Cruiningen, Freiherrn von Seeland, und des Vertreters der Stände, des Freiherrn Ico, Reichsfreiherr zu Inn- und Knyphausen (1555 bis 1604).

Die Geschichte des Vertrags geht auf den 18. März 1595 zurück. In der „Emder Revolution“ triumphierten die Emder über Graf Edzard II. und trieben ihn aus der Stadt. Unterstützung fanden sie durch eine Garnison der 17 Staaten der vereinigten niederländischen Provinzen, genannt Generalstaaten. So unterzeichneten diese auch mit ihrem anhängenden Siegel den Delfzijler Vertrag vom 15. Juli 1595.

Das erste Siegel der Generalstaaten, das sich auch am Delfzijler Vertrag findet, zeigt die Umschrift „Siggium Ordinum Belgii“. Später wurde es noch mit der lateinischen Aufschrift „Concordia res parvae crescunt“ (Durch Einigkeit wachsen die kleinen Dinge) vermehrt, eben der Aufschrift die sich heute noch am erhaltenen Renaissanceportal des Emder Rathauses, aber auch am „Stadhuis“ von Appingedam, findet.

Um die Spannungen zwischen dem Grafenhaus, den ostfriesischen Ständen und der Stadt zu mildern, wurde am 7. November 1599 ein Vertrag geschlossen. Zuerst schien der Friede auch wieder hergestellt, doch dann entwickelte sich ab 1600 ein Bürgerkrieg zwischen Emden und Enno und dessen gräflichen Landesteilen. Die vereinigten niederländischen Generalstaaten entsandten im September 1602 als General und Befehlshaber Werner von dem Holze mit seinen Garnisonen, um den Emdern gegen den Cirksena-Grafen zu helfen. Er nahm die von Enno angelegte Logumer Schanze – gelegen außerhalb des Seedeiches in der Nähe Emdens – in einer siegreichen Schlacht gegen den gräflichen Heerführer Wilhelm zu Inn- und Knyphausen. Dieser erfolgreiche Kampf, der vom 4. bis zum 14. Oktober 1602 dauerte, sorgte bei den Generalstaaten, aber auch bei den Emdern für große Genugtuung.

Nach der verlorenen Schlacht war Enno III. sofort abgetaucht. Wohin er ging, ist indes nie bekannt geworden. Tatsache ist, dass seine vollständige Niederlage die wahren Machtverhältnisse offen gelegt hatten, auch seine Berufung auf den Kaiser Rudolf II. hatte keinen Erfolg gebracht. Im übrigen zogen im Winter 1602 auf 1603 Beauftragte der Stadt Emden allenthalben in Ostfriesland Kontributionen ein; das heißt, die Stadt Emden übte, wenn auch nur für kurze Zeit, die landesherrlichen Funktionen aus, die vorher nur Enno erlaubt waren.

Erst im Februar 1603 tauchte Enno wieder aus der Versenkung auf. Er erschien mit dem Kanzler des mit ihm verwandten Bremer Erzbischofs, dem Rechtsgelehrten Caspar Coccius, mit Wilhelm zu Inn- und Knyphausen (1557 bis 1631), gräflicher Heerführer an der Logumer Schanze und mit Dothias Wiarda (1565 bis 1637) in Den Haag. Letzterer, später gräflicher Kanzler und vorher als Syndicus auf der Seite der Emder Vierziger, hatte sich „als verschlagener und unverschämter Mann“, so der ostfriesische Historiker Ubbo Emmius, auf die Seite des Grafen geschlagen.

Als man in Emden von der Ankunft dieser Leute in Den Haag erfuhr, wurden schnellsten auch Gesandte von dort mit dem Emder Stadtsiegel „Engelke up’t Mür“ nach Den Haag geschickt. Bürgermeister Ubbo Remets (gestorben am 26. Juli 1627) fuhr nach Den Haag, begleitetet von dem Emder Stadtsekretär Daniel Alting und nahm in der Funktion des Stadtsyndicus den vierten Emder Bürgermeister Harmannus Meyer mit (gestorben 22. Mai 1614).

Emden verfügte im Frühjahr 1603 über keinen offiziellen Rechtsberater: der Emder Stadtsyndicus Dothias Wiarda war auf die gräfliche Seite gewechselt, und der Rechtsgelehrte Johannes Althusius kam erst im Jahre 1604 nach Emden. Der Ratspensionär und Sachverwalter der Generalstaaten, der den Vertrag von Den Haag am 8. April diktierte, war Johan von Oldenbarnevelt (1547 bis 1619). Dieser war zusammen mit Maurits von Nassau, Prinz von Oranien dem Sohn von Willem (1533 bis 1584), bei den Beginn der Verhandlungen in Den Haag anwesend. Maurits von Nassau und Johan von Oldenbarnevelt hatten wichtige Heeresreformen durchgeführt.

Ab 1589 eroberte Maurits gemeinsam mit seinem Vetter Willem Lodewijk, Graf von Nassau, in den nördlichen Niederlanden einen Ort nach dem andern, den die Spanier besetzt hielten. Doch diese Ereignisse waren schon lange Geschichte, als Enno „mit eigener Hand“ jenen Vertrag unterzeichnete, den er zwar selber vereinbart hatte, den er aber wohl kaum freudigen Herzens abgeschlossen hatte.

Quelle: Gudrun Dekker, Emder Zeitung, 7.4.2004

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