Die jetzt zugängliche Arbeitskartei der Stasi-Hauptverwaltung A (HVA), allgemein unter der Bezeichnung „Rosenholz“ bekannt, wird häufig als der letzte verbliebene Schatz der DDR-Auslandsspionage bezeichnet (Bericht). Man erhofft sich davon einen detaillierteren Einblick in die Struktur des Agentennetzes der HVA. Die Hüterin des vermeintlichen Schatzes, BStU-Chefin Marianne Birthler, dämpft hingegen gern die Euphorie und hängt das auf 381 CD-Roms gespeicherte HVA-Material eher tief: Sensationen seien bei der Auswertung von Rosenholz nicht zu erwarten, sagt sie bei jeder Gelegenheit, und überhaupt diene das ganze Material nur als Findhilfsmittel für das noch existente Stasi-Archiv.
Helmut Müller-Enbergs, Wissenschaftler in der Birthler-Behörde und derzeit wohl der beste Kenner von Struktur und Arbeitsweise des früheren DDR-Auslandsgeheimdienstes, nannte das HVA-Material hingegen „überraschend detailliert und außerordentlich wertvoll“. Dank Rosenholz lasse sich in Verbindung mit anderen in der Behörde vorhandenen Dateien und Unterlagen das Auslandsagentennetz der HVA bis in die fünfziger Jahre zurück weitgehend rekonstruieren, sagte er. Zwar seien nur der geringere Teil der auf den insgesamt 280.000 Karteikarten gespeicherten Personen tatsächlich Inoffizielle Mitarbeiter der HVA gewesen – die Behörde geht von rund 6.000 Westdeutschen und über 20.000 Ostdeutschen aus – , doch ließen sich diese IM in den meisten Fällen eindeutig identifizieren.
Müller-Enbergs zweifelt auch nicht daran, dass Rosenholz Rückschlüsse auf zeitgeschichtlich interessante Spionagefälle aus der weiter zurückliegenden deutsch-deutschen Geschichte offenbaren wird. Für den Wissenschaftler, der seit Monaten mit den vom US-Geheimdienst CIA übergebenen Rosenholz-Silberlingen arbeitet, scheint die Arbeitskartei der HVA also wenn schon kein Schatz, so doch wenigstens ein „Schätzchen“ zu sein.
Auffällig ist unter anderem, dass in dem alphabetisch geordneten System ungewöhnlich wenige Einträge im Buchstabenbereich La- bis Li- vorliegen – der Grund ist unbekannt. Auch sind die Filmkopien einiger Karteikarten von so schlechter Qualität, dass sie nicht mehr entzifferbar sind – das betrifft aber maximal nur 10.000 der insgesamt 280.000 verfilmten Karteikarten.
Quelle: Andreas Förster, Berliner Zeitung / BerlinOnline, 20.3.2004