„Man hat auf einmal so viele Bilder im Kopf, wenn man durch die Stadt geht“, beschreibt Heide Bongen das Wissen um Moerser Frauen-Geschichten. Sie kennt die Wirkungsstätte der vermeintlichen Hungerkünstlerin aus der Neustadt, die Praxis der ersten Moerser Kinderärztin auf der Uerdinger Straße, das Geburtshaus der bekannten Kammersängerin. Gemeinsam mit Brigitte Scherzer, Hildegard Finger, Gisela Bonnekamp und anderen Kolleginnen von der Frauengeschichtswerkstatt hat sie deren Schicksale erforscht, in Archiven gestöbert und wenn möglich Zeitzeugen befragt. Bewegendes, erzähltes Leben, das schnell den Rahmen eines Buches gesprengt hat, das zweite ist schon fertig.
Man erfährt zum Beispiel von dem „Schutzengel von Moers“, Franziska Feeger. Bilder der selbstlosen Krankenpflegerin sind leider nicht überliefert. Ein westfälischer Mundartdichter porträtiert sie wenig vorteilhaft: „Eine ältere, unansehnliche Person, in dunkles Umschlagtuch gehüllt und einen schweren Korb am Arm tragend, kam heran, etwas müden und wackelnden Ganges.“ Wenig später wird er bewundernd sagen: „Man fragte sich, wann sie eigentlich schlafe, denn sie war oft in später Abendstunde und in früher Morgenstunde auf den Straßen anzutreffen, im strengsten Winter gegen Eis und Schnee ankämpfend.“
Franziska Feeger habe Mitte des 19. Jahrhunderts Aufgaben übernommen, die heute die Caritas wahrnehme, schildert Brigitte Scherzer. Deswegen ist bei der Stadtführung die Residenz des Wohlfahrtverbandes in der Haagstraße Ausgangspunkt für die Geschichte der selbstlosen Frau. Franziska Feeger wird 1827 in Geldern geboren, die Eltern ziehen aber bald in die Moerser Meerstraße.
Sie stammt aus einfachen Verhältnissen, bleibt ledig und verdient ihren Unterhalt als Wäscherin und Büglerin. Ihre Freizeit widmet sie notleidenden Menschen. Sie pflegt Kranke, steht Todgeweihten bei. Von ihrem kargen Lohn kauft sie Decken und Liegen, die sie an Bedürftige verleiht. Während der Pockenepedimie 1870/71 geht die Mitvierzigerin so in der Krankenpflege auf, dass sie ihrem Broterwerb nicht mehr nachkommen kann. Sie erhält Unterstützung aus der Stadtkasse. Für den katholischen Geistlichen der Gemeinde, Pfarrer Koeven, ist sie der „Schutzengel von Moers“.
Aber auch ein großes Herz für Arme verleiht keine übermenschlichen Kräfte. Franziska Feeger merkt, dass sie ihre kräftezehrende Arbeit nicht ewig durchhält. Immer wieder bearbeitet sie Pfarrer Koeven, es sollen doch Barmherzige Schwestern die Krankenpflege in der katholischen Bevölkerung übernehmen. Kurz vor ihrem Tod im Juni 1893 erlebt Franziska Feeger noch den Einzug der Schwestern in die Filder Straße 2. Ein erster Schritt zum Bau des St. Josef-Hospitals, so Brigitte Scherzer.
Auch Helene Middelhoff hat ihr Leben einer Aufgabe gewidmet: dem Grafschafter Heimatmuseum. Wie aus der Mutter und Kriegswitwe eine versierte und hochgeschätzte Museumsleiterin wurde, erzählt Hobbyforscherin Hildegard Finger. Erst 27 Jahre alt ist Helene Middelhoff, als sie ihrem Mann Kurt aus Duisburg nach Moers folgt. Viel Zeit bleibt Dr. Middelhoff allerdings nicht, hier seinen Beruf als Museumsleiter auszuüben. Nach nur zwei Jahren wird er zu Kriegsbeginn an die Front gerufen. Er kommt nicht mehr zurück.
Witwe Helene, inzwischen Mutter des Jungen Klaus, tritt in seine Fußstapfen. „Das war damals noch möglich, es spielte keine Rolle, ob sie eine entsprechende Ausbildung hatte“, so Hildegard Finger. 1947 wird sie offiziell zur Museumsleiterin ernannt. Damit ist Helene Middelhoff Herrin über zwei Räume im Schloss, in den restlichen Gemächern residiert bis 1952 die Stadtverwaltung.
Zunächst heißt es, ausgelagerte Museumsschätze heimzuholen. Gar nicht so einfach. Auf Schloss Ehrenbreitstein bei Koblenz, damals in der französischen Besatzungszone, will man sich gar nicht von den schönen Truhen, Schränken, Messing- und Kupfersachen trennen. Charme und Hartnäckigkeit führen Helene Middelhoff zum Erfolg. „Fast alle Gegenstände fanden wieder ihren Weg nach Hause“, weiß Hildegard Finger.
Im Laufe der Zeit bereichert Helene Middelhoff das Schloss um viele wertvolle Exponate und macht es zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt. Sie initiiert Konzerte, Ausstellungen, Empfänge und nicht zuletzt die gemütlichen Museumssonntage.
Dem Erhalt historischer Stätten von Berufs wegen verpflichtet, setzt sie sich auch für alte Häuser in Moers ein, sucht und findet Mitstreiter in der Stadt. Besonders das so genannte Bügeleisen, eine Häuserzeile auf der Haagstraße, liegt ihr am Herzen. Ein Kampf gegen Windmühlen. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrscht Modernisierungswille, die Häuser fallen 1965.
Nach 40 Jahren verabschiedet sich die Schlossherrin aus den liebgewonnenen Gemächern. Nicht ohne ein Abschiedsgeschenk. 1979 erhält sie den Ehrenring der Stadt. 14 Jahre später stirbt Helene Middelhoff in Gummersbach.
Info:
Am morgigen Sonntag (7.3.) lädt die Frauengeschichtswerkstatt Moers zur historischen Stadtführung ein. Treffpunkt ist das Alte Rathaus, Unterwallstraße, 11 Uhr.
Quelle: WAZ Moers, 6.3.2004