Archive als schwarze Löcher

Schätzungen zufolge haben über 200.000 neue Diplomarbeiten und Dissertationen die Regale deutscher Universitätsarchive beschwert, ohne dass jemand aus dem Wissen Nutzen ziehen konnte. Der Wirtschaft gingen so Erkenntnisse im Wert von mindestens 1,8 Mrd. Euro verloren, rechnete eine Consultingfirma aus. Ein Fall für gutes Wissensmanagement.

Deutsche Unternehmen würden das brachliegende Potenzial der jungen Absolventen liebend gern nutzen. Doch die häufig vorhandenen innovativen Ansätze lassen sich nur schwer auffinden. Bis heute werden Diplom- und Magisterarbeiten in vielen Uni-Bibliotheken nicht einmal katalogisiert. Sie enden vielmehr als Bausteine meterhoher Stapel in den Fachbereichen. Ärgerlich für interessierte Firmen, frustrierend für Hochschulabgänger. Denn ihnen fehlt es meistens am Know-how, um ihre Ansätze zielgerichtet bei Firmen anzubieten.

Besonders im IT-Bereich braucht die Wirtschaft Ideen junger Hochschulabgänger. 80 Prozent der Firmen wünschen sich kreative Absolventen für ihre offenen Stellen. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Hausarbeiten über Spezialthemen könnten der Wirtschaft Impulse geben und den Einsatz neuer Technologien forcieren.

Quelle: Wiener Zeitung, 16.2.2004

„Bist du nicht (frei-)willig“ – dann wirst du gekürzt

Zeitz. 36 Seiten umfasst der „Bericht über die Durchführung einer Organisationsuntersuchung in der Stadtverwaltung Zeitz“ der zuständigen Arbeitsgruppe des Burgenlandkreises allein für das Hauptamt / Sachgebiet Wohnen und Wohngeld sowie Stadtarchiv und Versicherungen, für das Hoch- und Tiefbauamt und zur Schreibkraft des Personalrates.

Diesen Teil stellte der Dezernent der Kreisverwaltung und Chef der Kommunalaufsicht nun den Stadträten im Hauptausschuss vor. Seine Ausführungen machten deutlich, wo wie viel Personal eingespart werden kann. Allerdings, betonte der Dezernent, unter Berücksichtigung der weiteren Übernahme von freiwilligen Aufgaben, sofern solche in einem Bereich anfallen.

Für das Archiv beträgt die rechnerische Empfehlung der Arbeitsgruppe zur Stellenbemessung 4,81. Besetzt ist das Archiv mit 4,9. Sollte man sich entschließen, keine freiwilligen Aufgaben – wie etwa Ausstellungsgestaltung, Betreuung von Praktikanten, Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten etc. – mehr auszuführen, würden noch einmal 0,47 Stellen eingespart.

Kontakt:
Stadtarchiv Zeitz
Schloss Moritzburg
Schlossstraße 6
06712 Zeitz
Postfach 1420
06694 Zeitz
Telefon (0 34 41) 21 20 54
Telefax (0 34 41) 21 40 40
E-Mail: stadtarchiv@zeitz.de
http://www.stadtarchiv.zeitz.de/

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 15.2.2004

CD „Zwangsarbeit in Bochum“

Genau vier Jahre nachdem sich die Bürgerinitiative „Entschädigung – jetzt“ in Bochum gegründet hat, konnte sie jetzt Ende Januar 2004 eine CD mit dem Titel „Zwangsarbeit in Bochum“ der Öffentlichkeit vorstellen, die ihr Bemühen dokumentiert, Industrieunternehmen zur Zahlung von Entschädigungen für ihre ehemaligen Zwangsarbeiter aufzufordern.

Die CD beinhaltet Radiosendungen des Unabhängigen Radios Bochum e.V. (URBO), dem es ein besonderes Anliegen ist, Themen zu behandeln, die in der Öffentlichkeit vernachlässigt oder verdrängt wurden. Hierzu gehörte frühzeitig auch das Thema „Zwangsarbeit“. Für die CD wurden Sendungen des URBO aus den letzten 12 Jahren neu zusammengestellt und moderiert. Besonders beeindruckend sind die drei Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus den Jahren 1992, 2000 und 2003.

Das letzte Interview mit dem Künstler und ehemaligen Zwangsarbeiter Valerjan Lopatto stellt einen Kommentar zu seinem Zyklus „Zwangsarbeit“ dar. Diese Zeichnungen hat er im Sommer 2003 den Bochumer Bürgern geschenkt. Die Gesellschaft Bochum-Donezk e.V. bereitet gemeinsam mit dem Stadtarchiv Bochum im Rahmen der Bochum-Agenda 21 eine Ausstellung dieser Zeichnungen vor, deren durch eine Infomappe ergänzten Stelltafeln ausgeliehen werden können. Dabei ist vor allem an Schulen gedacht. – Bochumer Schüler hatten bereits 2002 an einem vom Stadtarchiv ausgeschriebenen Wettbewerb mit beeindruckenden Arbeiten zum Thema „Zwangsarbeit in Bochum“ teilgenommen. Die jetzt herausgegebene CD wurde an alle weiterführenden Schulen kostenlos verteilt, um Anregungen für den Geschichtsunterricht allgemein und die Erforschung der Lokalgeschichte im Besonderen zu geben.

Inhalt:

  • Track 01 Einleitung – Zwangsarbeit in Deutschland während des II. Weltkrieges
  • Track 02-04 Gespräch mit Annemarie Grajetzky „Frauen für den Frieden“ – Beginn der Suche nach ehemaligen Zwangsarbeiterinnen 1985.
  • Track 05-08 Gespräch mit Waltraud Jachnow, „Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.“. Ziele und Aufgaben der Gesellschaft, Suche nach ehemaligen ZwangsarbeiterInnen in Donezk.
  • Track 09-14 Gespräch mit den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen Wiktor Schmitko, Sinaida Wol-kowa, Wladimir Mordowez 1992 in Bochum
  • Track 15-16 Bericht von Horst Nölcke 1992, Bochumer Bürger, aktiv im VVN BdA und in der „Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.“
  • Track 17-18 Gespräch mit den ehemaligen Zwangsarbeitern Alexej Fedotow, Wasilij Konowalow, Nikolaj Samoljuk 2000 in Bochum
  • Track 19-20 Kommentar von Gernot Schubert, Unabhängiges Radio Bochum (URBO), zur begin-nenden Entschädigungsdebatte 1999.
  • Track 21-26 Gespräch mit Klaus Kunold, VVN-BdA Bochum 1999. Gründung einer Bürgerinitia-tive „Entschädigung Jetzt“ (27.01.2000) und Diskussion der Entschädigung in Bo-chum auf breiter Basis.
  • Track 27- 28 Tonaufnahme während eines Besuchs von Vertretern der Initiative „Entschädigung Jetzt“ bei der Firma Lueg, Anfang 2000
  • Track 29-30 Reinhard Wegener, soziokulturelles Zentrum Bahnhof Langendreer, auf einer Kund-gebung auf dem Husemannplatz im März 2000
  • Track 31- 32 Waltraud Jachnow, Gesellschaft Bochum-Donezk bei einer Kundgebung vor der IHK Bochum, 2000
  • Track 33-34 Kommentar von Alfons Pieper, WAZ (gesprochen von Gernot Schubert für URBO, 2001)
  • Track 35-36 Gespräch mit Waltraud Jachnow, Gesellschaft Bochum-Donezk e.V. zu dem Buch „Und die Erinnerung tragen wir im Herzen“ (Februar 2002).
  • Track 37-38 Gespräch mit dem Künstler und ehemaligen Zwangsarbeiter Valerian Lopatto, der im Juli 2003 den Bochumer Bürgern einen von ihm gestalteten Zyklus von Zeichnungen zum Thema Zwangsarbeit überreichte.
  • Track 39 Stand der Entschädigung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen in der Ukraine (Dezember 2003)

Kontakt:
Initiative „Entschädigung – jetzt“
c/o Bahnhof Langendreer
Wallbaumweg 108
44892 Bochum

Evidenz – oder: die Verkopplung von Wahrheit und Vorstellungswelt

Anfang der 1990er Jahre plädierte die damalige Leiterin der Marburger Archivschule, Angelika Menne-Haritz, in verschiedenen Aufsätzen gegen eine inhaltlich orientierte Bewertungstheorie zugunsten einer formalen, an „Evidenzwerten“ orientierten und aus der archivischen Praxis kommenden Bewertungskonzeption.

Menne-Haritz argumentierte, dass Archive Schnittstellen von Verwaltung und Öffentlichkeit seien. „Die Tranzparenz von Verwaltungshandeln in der demokratischen Gesellschaft herzustellen ist archivarische Aufgabe. Wenn Schriftgut Werkzeugfunktion in der Verwaltung hatte, enthält es authentische Informationen über Ablauf der Aktion in Form von Indizien, nicht im Text. Die Schriftstücke sind nicht wegen der Texte, sondern wegen ihrer Funktion interessant; für diese Funktion wurden die Texte formuliert – nicht für die Nachwelt. Archivische Arbeit ist daher Evidenz über Aufgabenerledigungsprozesse herstellen – erst in diesem Kontext bekommen Texte Bedeutung.“ (Angelika Menne-Haritz: Anforderungen der Bewertungspraxis an die archivische Theorie. in: Archivmitteilungen 41 (1991), S. 101-108)

Dieses Konzept war wiederum Anlass zu kritischen Stellungnahmen aus der archivischen Praxis, wie Volker Schockenhoff 1997 referierte: Den in Anlehnung an Schellenberg von Menne-Haritz geprägten „Evidenz“-Begriff kritisiert Wolfgang Hans Stein 1995 durch einen Vergleich der französischen und deutschen Schellenberg-Rezeption (Wolfgang Hans Stein: Die Verschiedenheit des Gleichen, Bewertung und Bestandsbildung im archivischen Diskurs in Frankreich und Deutschland, in: Der Archivar 48 (1995), Sp. 597-612). Während im Französischen der Begriff „evidential value“ mit „valeur de temoinage“ übertragen werde, sei er im Deutschen zunächst als Evidenzwert und dann zu Evidenz hypostasiert worden. Aus Akten Behördenvorgänge zu rekonstruieren, habe aber nichts mit unmittelbarer Anschauung zu tun und sei nicht unter dem phänomenologischen Wahrheitsbegriff zu subsumieren. Der anglo-amerikanische Begriff evidence komme aus dem common law und meine Beweiserhebung durch intellektuellen Schluss, eben nicht direkte Anschauung. Man solle deshalb den Begriff ganz aufgeben und besser von Quellenwert oder Aktenwert sprechen.

Auch vor dem Hintergrund dieser archivischen Diskussion kann der aktuelle Bericht von Gisa Funck über eine Kölner Tagung über „Evidenz“ in der Süddeutschen gelesen werden (er weckt bei ehemaligen „Archivschülern“ zumindest unweigerlich diese Assoziation). Es sei Verdienst und Dilemma der Kultur- und Medienwissenschaften, immer auch jene Grundsätze in Frage zu stellen, aus denen sie ihre eigene Berechtigung ableiten. Bei der Evidenz-Tagung war dieses Dilemma offenbar besonders deutlich geworden: „Wer die Produktionsbedingungen von letztgültigen „Wahrheiten“ erforscht, stellt sich zwangläufig selbst unter Verdacht – und muss notwendig mit einem blinden Fleck operieren. Zwar spielten die Initiatoren des Kölner „Forschungskollegs für Medien und kulturelle Kommunikation“ mit ihrem Titel [„Die Listen der Evidenz“] bewusst auf diese paradoxe Situation an, indem sie darin den mehrdeutigen Begriff der „List(en)“ aufnahmen. Gleichwohl konnten sie damit natürlich nicht verhindern, dass sich die Vorträge jener rhetorischen Tricks bedienten, die sie zu entlarven suchten. Schließlich kann man in der Anfechtung vermeintlicher Klar- und Wahrheiten sogar eine besonders listige List erkennen, eigene Aussagen umso glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Zumindest, wenn man dem Karlsruher Medientheoretiker Boris Groys Glauben schenkt.

Nichts, bilanziert Groys, goutiert die heutige Öffentlichkeit so sehr wie angebliche Enthüllungsberichte. „Nur der Verdacht“, schreibt er, „scheint uns gleich auf den ersten Blick glaubwürdig und überzeugend zu sein. Der eigentliche Held der medialen Kultur ist der Privatdetektiv, der ständig nach neuen Indizien sucht, die seine Verdächtigungen bestätigen können.“ Groys erfüllte diese Detektivrolle in Köln gewissermaßen, indem er mit Verweis auf Descartes den Zweifel zum einzig evidenten Phänomen überhaupt erklärte. „Der Zweifel ist die eigentliche Quelle der Evidenz“, stellte er in gewohnt provokativer Pose fest.

Doch nach welcher Erkenntnis lohnt es sich noch zu streben, wenn allein der Verdacht als Gewissheit übrig bleibt? Wer der Evidenz noch nicht einmal mehr so viel teleologische Aussagekraft zubilligt, dass sie zum Sehnsuchtsziel taugt, plädiere für die Lähmung, hielt man Groys prompt vor. Seine Definition klang den meisten Diskutanten zu resignativ, auch wenn nichts unverlässlicher ist als das scheinbar Offensichtliche. Dafür bürgt eine lange Tradition.

Cicero war es, der das Wort „evidentia“ beim Übersetzen von Aristoteles einst erschuf. Das, was wörtlich „aus sich selbst heraus leuchtet“, meinte fortan immer beides: philosophische Kategorie und fintenreiche Kunst der Rede, zu deren Raffinesse es gehört, mit Zeugen und Zahlen aufzuwarten. Im Mittelalter gehen Autoren langsam dazu über, ihre Aussagen weniger durch Gewährsmänner als durch den Verweis auf Bücher zu stützen. Mit der Moderne setzt dann der Siegeszug der Statistik ein – aller Verkürzung zum Trotz, die jede Überführung von „lebendem Inventar in eine tote Zahl“ in sich birgt. Entweder nämlich unterschlagen die Tabellen individuelle Besonderheiten, oder sie widmen sich so sehr dem Einzelnen, dass eine allgemein gültige Aussage letztlich unmöglich wird, wie Isabell Otto deutlich machte. Dessen ungeachtet nutzen Politiker, Journalisten und Wissenschaftler die Statistik bis heute als bevorzugtes Mittel der Beweisführung.

Mit der amerikanischen Propaganda gegen einen irakischen „Schurkenstaat“ hat die Evidenzrhetorik nach Meinung des Berliner Kulturwissenschaftlers Tom Holert eine neue Dimension der Täuschung erreicht. Schließlich sprachen George Bush und Colin Powell ausgerechnet dann von ausreichender „evidence“ für einen Militärschlag, als die UN-Inspektoren ihre Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak ergebnislos abgebrochen hatten. Eine unsichtbare Gefahr wurde so zum pseudo-sichtbaren Beweis dafür gemacht, gegen Saddam Hussein präventiv vorzugehen. Angesichts der „klaren Evidenz einer Bedrohung“, argumentierte Bush im Oktober 2002, könne man es sich nicht leisten, weiter auf klare Indizien zu warten. Eine völlige Verkehrung der Beweislast, mit der laut Holert einherging, dass die Weltpolitik zum Kriminalfall geschrumpft wurde. Auch die UN trete neuerdings in ihren Appellen zunehmend in der Rolle eines Ermittlers auf, um die globale Zivilgesellschaft regelmäßig an „Überwachungs- und Kontrollpflichten“ zu erinnern.

Wie stark jede vermeintliche Wahrheit tatsächlich an eine Vorstellungswelt gekoppelt ist, zeigt sich auch in der aktuellen Debatte um den Rechtsschutz frühembryonaler Zellformen. Jörn Ahrens wies hier auf das Problem hin, dass beim Streit um die Verwendung von Stammzellen ständig vom „Menschen“ gesprochen wird, während dieser – rein bildlich gesehen – doch längst schon verschwunden ist. Zellen tragen kein Gesicht und lassen sich nur schwer voneinander abgrenzen. Auf sie den Begriff des Menschen anzuwenden, bedeutet von daher eine bislang nie da gewesene „Ausweitung des Menschlichen“, die nach Ahrens einem Willkürakt gleichkommt.“

Kontakt:
Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg
MEDIEN UND KULTURELLE KOMMUNIKATION
(SFB/FK 427)
Universität zu Köln
Bernhard-Feilchenfeld-Str. 11
D-50969 Köln
Tel.: +49 (0)221 470-6770
Fax: +49 (0)221 470-6773
E-Mail:  fk-427@uni-koeln.de

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 16.2.2004

Wechsel im Stadtarchiv Grimma

Den Schlüssel hat sie schon abgegeben, aber viele Fäden verbinden sie noch mit dem Archiv der Stadt Grimma. „Sich davon zu lösen, das geht nur allmählich.“ 28 Jahre leitete Marita Schön das „Gedächtnis der Stadt“, nun übergibt sie es ihrer Nachfolgerin Jaqueline Forner. Die Ältere sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge, doch sie tröstet sich: „Die jüngeren Mitarbeiter können es auch.“

Ähnlich mag es gewesen sein, als sie 1976 im damaligen Rat der Stadt das Archiv anvertraut bekam. Leiterin Elsbeth Anders war vor dem Ruhestand und fragte Marita Schön, die zu jener Zeit als Stenotypistin im Rathaus beschäftigt war, ob sie künftig die Arbeit im Archiv übernehmen wolle. Das Angebot erschien der jungen Frau verlockend, und sie sagte zu. „Frau Anders hat mich dann eingearbeitet. Sie schärfte mir den wichtigsten Grundsatz für die künftige Tätigkeit ein: Ordnung halten. Wer das nicht kann, findet im Archiv nichts mehr.“ Wie sehr sie sich daran gehalten hat, bestätigt Hauptamtsleiterin Kerstin Ulbricht: „Sie brachte nicht nur den nötigen Ordnungssinn mit, sondern entwickelte auch Liebe und Interesse für die Stadtgeschichte, ein hervorragendes âhistorisches Gedächtnis' kam hinzu.“ Das kostete freilich auch einige Mühe, denn die gebürtige Wismarerin Marita Schön musste sich erst in die Stadtgeschichte und einige sächsische Eigenarten hinein „fitzen“.

Zu den Kollegen im Rat der Stadt fand sie schnell Kontakt. Die nötige Qualifikation für die Arbeit im Archiv erwarb sie von 1979 bis 1981 im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung beim Staatsarchiv Leipzig, die sie mit dem Facharbeiterbrief abschloss. „Die Arbeit machte dann Spaß, die Umstände nicht so sehr.“ Die frühere Archivleiterin bezieht sich auf die ehemals kalten und zugigen Magazinräume, wo man im Winter kaum arbeiten konnte. Sie erinnert sich, dass sich damals Bürgermeister Paul Höhle für eine bessere Belüftung einsetzte. Aber grundlegend besser wurde es erst mit der Umgestaltung des Stadthauses im Jahr 1996. Der Einzug in die neuen Räume mit den modernen Rollregalen, die an Stelle der alten Holzregale Einzug hielten, war für die Archivleiterin eine besondere Freude. Dazu kam die Arbeit mit dem Computer, der die alte Dokumentation in Form der Karteikarten ablöste.

„Es war eine schöne Zeit, die Arbeit hat mir viel Freude gemacht“, zieht Marita Schön ein Resümee ihrer 28-jährigen Tätigkeit. Besonders gern denkt sie an die gemeinsame Tätigkeit im Redaktionskollektiv zurück, das 1999 das Grimma-Lesebuch herausbrachte. Mit ein wenig Stolz sagt sie: „Ich habe alles bereit stellen können, was gefordert wurde.“ Etwas wehmütig setzt sie hinzu: „Damals war noch alles da.“ Ja, die Flut im August 2002 hat Lücken gerissen. Im künftigen Domizil in der Straße des Friedens 10 wird das Stadtarchiv neu gebaut. Marita Schön hat vor, hier ihrer jungen Kollegin Jaqueline Forner noch etwas zur Hand gehen. „Es ist eben ein Abschied auf Raten.“

Info:
Die Mitarbeiterin des Stadtarchivs Grimma ist gegenwärtig montags von 13.00 – 16.00 Uhr im Stadthaus, Zimmer 3.04 im 3. Obergeschoss bzw. telefonisch unter der Nummer 03437/98 58 217 zu sprechen.
Während der anderen Öffnungszeiten der Stadtverwaltung ist die Mitarbeiterin unter der Nummer 0179/ 8360821 telefonisch zu erreichen.

Kontakt:
Stadtarchiv Grimma im Stadthaus, 3. OG
Stadt Grimma
Markt 16/17
04668 Grimma
Tel. 03437/98 58 217

Quelle: Leipziger Volkszeitung, 15.2.2004

Goethe- und Schiller-Archiv fehlt Geld

Die Arbeit des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar ist wegen Geldmangels gefährdet. Das Haus benötige rund 100.000 Euro an Spenden, um Projekte in diesem und dem kommenden Jahr fortführen zu können.

»Die drastischen Sparmaßnahmen im Haushalt 2004 der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen gefährden Projekte und Bestand der bedeutenden Dichternachlässe«, sagte die Leiterin der Handschriften-Abteilung, Roswitha Wollkopf, in einem Gespräch mit der dpa. Die Einrichtung in Weimar ist das älteste deutsche Literaturarchiv.

In einer Broschüre stellt das Archiv aus Geldmangel gefährdete Projekte – Internet-Präsentationen, Restaurierungen, Neuerwerbungen, Sicherheitsverfilmungen – vor. »Besonders dramatisch wirkt sich der totale Einstellungstopp auf die Internet-Vorhaben aus«, sagte die Historikerin und Archivarin. Von den derzeit drei Wissenschaftlern seien zwei in Altersteilzeit und schieden 2005 und 2006 aus, die dritte arbeite Teilzeit. »Um die Arbeit kontinuierlich fortsetzen zu können, brauchen wir schnellstens einen Nachwuchswissenschaftler.«

Der 1885 vom letzten Goethe-Enkel Walther an Großherzogin Sophie übergebene handschriftliche Nachlass seines Großvaters war die Geburtsstunde des Archivs. »Es verwahrt heute mehr als 120 Nachlässe von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Komponisten und Künstlern sowie elf Nachlässe von literarischen Gesellschaften und Verlagen«, sagte Wollkopf. Dazu gehören die Nachlässe von Christoph Martin Wieland, Eduard Mörike, Ferdinand Freiligrath, Georg Büchner, Fritz Reuter, Friedrich Nietzsche und Franz Liszt.

Ebenso dramatisch sei die personelle Situation bei den Restauratoren. Die derzeit einzige Stelle sei nicht auf Dauer gesichert. »Bei den kostbaren Handschriften ist aber gerade eine kontinuierliche Pflege und Sicherung notwendig.« Von den etwa fünf Millionen Blättern aus dem 16. bis 20. Jahrhundert wiesen etwa 15 Prozent Schäden auf. Die Mehrzahl wie Verschmutzungen oder Risse seien leicht zu beheben.

»Ein größerer Teil der Handschriften von Goethe, Schiller oder Liszt ist jedoch durch brüchiges Papier oder Tintenfraß bedroht.« Dazu gehöre ein eigenhändiges Personenverzeichnis von Friedrich Schiller zu »Wilhelm Tell« mit Notizen zur Besetzung in einer Aufführung in Weimar, sagte die Expertin. Die Restaurierung sei mit Blick auf den 200. Todestag Schillers 2005 dringend geboten. »Das Archiv bekommt aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz, vermehrt Anfragen zur Ausleihe von Faksimiles oder Originalen.«

Info:
Das Spendenkonto des Goethe- und Schiller-Archivs hat die Nummer 301023000, BLZ 820 510 00 bei der Sparkasse Mittelthüringen / Zahlungsgrund 99040.

Link:
Gefährdete Projekte des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar

Kontakt:
Direktion Goethe- und Schiller-Archiv
Abteilung Erwerbung, Erschließung, Benutzung
Abteilungsleiterin
Frau Dr. Roswitha Wollkopf
roswitha.wollkopf@swkk.de
Tel. (0 36 43) 545-247
Hans-Wahl-Straße 4
99425 Weimar

Quelle: Ostthüringer Zeitung, 15.2.2004

Ermittlungen um „Bundeslöschtage“ nur eine schmutzige Kampagne?

In einem Kommentar zu den Ermittlungen zu den sog. „Bundeslöschtagen“ spricht FAZ-Redakteur Rainer Blasius in seiner Zeitung von einer „Blamage“ für die Sonderermittler der Bundesregierung und bezeichnet deren Tätigkeit – obwohl ja immer noch Originalakten fehlen – als „eine schmutzige Kampagne gegen Kohl und seine Mitarbeiter“:

„Die Jagd auf angebliche Datenlöscher und Aktenvernichter im Ministerialbeamtenrang ist zu Ende. Vor genau vier Jahren hatte Kanzleramtschef Steinmeier den 'Sonderermittler' Hirsch (FDP) berufen. Im Juni 2000 war der in seinem Abschlußbericht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Datenbestand im IT-Netz des Kanzleramtes kurz vor der Regierungsübergabe 1998 'zu zwei Dritteln zentral und heimlich gelöscht worden' sei. Viele frohlockten über die entdeckten angeblichen „Bundeslöschtage“ am Ende der Ära Kohl. Sie wurden sogar als flankierende Maßnahme zu einer Unterschlagung von Regierungsschriftgut hingestellt.

Den Hirsch-Bericht nahm Steinmeier zum Anlaß, gegen einen früheren Abteilungsleiter im Kanzleramt und einen Referatsleiter Strafanzeige wegen des Verdachts der Datenveränderung zu stellen. Dreimal folgten die erfahrenen Bonner Berufsermittler dem Hobbyermittler Hirsch nicht: Im Januar 2001, im März 2003 und im Oktober 2003 wollten die Staatsanwälte – die selbst öffentlich und wiederholt als 'faul', 'untertänig' und 'kohlhörig' beschimpft wurden – das Verfahren einstellen. Zweimal setzten sie ihre Arbeit auf Wunsch des Kanzleramtes und der vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft fort. Aber die Dauer ihrer Recherchen änderte nichts an dem Befund: Die Vorwürfe erwiesen sich als unhaltbar.

Trotzdem weigerte sich die Regierungszentrale unter Steinmeiers Leitung, daraus frühzeitig Konsequenzen zu ziehen. Statt der Fürsorgepflicht nachzukommen, setzte er über Jahre die unter Verdacht gestellten Beamten und deren Familien einem Spießrutenlauf aus. Im vergangenen Oktober äußerte sich Steinmeier sibyllinisch, aber der Generalstaatsanwalt, ein politischer Beamter und SPD-Mitglied, verstand ihn sofort und wertete die letzte Reaktion als Fachaufsichtsbeschwerde – obwohl er in Köln doch minutiös über die Tätigkeit seiner Bonner Ermittler informiert war, die in Verfahren von herausragender Bedeutung einer ständigen Berichtspflicht ihm gegenüber unterliegen. So konnte die Blamage für Hirsch und Steinmeier um weitere vier Monate verzögert werden. Obschon in unserer Zeit das Wort Skandal überstrapaziert wird, muß festgehalten werden, daß es sich hier um nichts anderes als um eine schmutzige Kampagne gegen Kohl und seine Mitarbeiter gehandelt hat.“

Quelle: FAZ, 14.2.2004, Nr. 38, S. 1

Geschichte der Aufhebung der Geheimhaltung der sowjetischen Parteiarchive

Der Internet-Zeitung „Russland.RU“ liefert Michail Prosumenschtschikow, stellvertretender Direktor des Russischen Staatlichen Archivs der Geschichte der Neuzeit, einen Beitrag zur Geschichte der Aufhebung der Geheimhaltung der sowjetischen Parteiarchive.

In den Jahren der Sowjetmacht vereinigte die höchste Führung der kommunistischen Partei die Funktionen der Partei- und der Staatsführung in sich. Im ZK der KPdSU wurden praktisch alle Fragen entschieden: Angefangen von Problemen der Weltraumforschung, der Verteidigung und der Staatssicherheit bis hin zu der Herausgabe von Lehrbüchern und der Anfertigung von Souvenirs. Jedes Dokument des ZK wurde damals, unabhängig von seiner Bedeutung, mit verschiedenen Geheimhaltungsvermerken versehen. Die Dokumente der Abteilungen, Kommissionen und des Büros des ZK der KPdSU trugen in der Regel den Vermerk „geheim“, selten „streng geheim“. Die Unterlagen des Sekretariats und erst recht des Politbüros des ZK der KPdSU waren schon durchweg streng geheime Dokumente. Die wichtigsten Dokumente erhielten den höchsten Geheimhaltungsgrad und wurden in der so genannten „besonderen Aktenmappe“ aufbewahrt.

1991 erhob die Öffentlichkeit die Forderung, die Parteigeheimnisse zu lüften. Es stellte sich aber heraus, dass mehr als 95 Prozent der im Russischen Staatlichen Archiv für die Geschichte der Neuzeit (russische Abkürzung: RGANI) zusammengetragenen Dokumente sich in geheimer Aufbewahrung befinden.

Das RGANI hatte aber weder einen Bestandsbildner noch einen Rechtsnachfolger. Der erstere fehlte, weil die KPdSU aufgelöst worden war, der letztere, weil keine der kommunistischen Parteien, die sich heute in Russland betätigen, eine offizielle Rechtsnachfolgerin der KPdSU ist. Das RGANI erhielt aber nicht das Recht, den Vermerk „Geheim“ aufzuheben. Auf diese Weise entstand ein ernsthaftes Problem: Durch wen und wie konnte die Geheimhaltung der Archivdokumente aufgehoben werden. Und es bedurfte einer sofortigen Lösung.

In den Jahren 1992/93 galt bei der Aufhebung der Geheimhaltung von Archivdokumenten das Prinzip der „revolutionären Zweckmäßigkeit“, was bedeutete, dass die Dokumente oft spontan publik gemacht worden waren.

1992 verfasste Rudolf Pichoja, damaliger Chef des Föderalen Archivdienstes, eine provisorische Anweisung, die es den ehemaligen Parteiarchiven erlaubte, Dokumente verschiedener Abteilungen des ZK, die mit Geheimhaltungsvermerken versehen worden waren, zu verleihen. Gerade damals, während der Verhandlung des „Falls KPdSU“ im Verfassungsgericht der Russischen Föderation, wurde eine Menge von Dokumenten aus den Parteiarchiven, den Archiven des Komitees für Staatssicherheit, des Außenministeriums und des Verteidigungsministeriums publik gemacht.

Das Hauptmassiv der Archivdokumentation des RGANI bilden Dokumente, die nach 1952 geschaffen worden sind, ein Teil der Staatsgeheimnisse, die sie enthalten, ist auch heute noch aktuell. Darum löste der massenhafte und schlecht lenkbare Prozess der Aufhebung der Geheimhaltung der Dokumente in einer Reihe von Ländern eine negative Reaktion aus und schuf Probleme für die außenpolitische Tätigkeit des neuen Russland.

1993 nahm die Führung des Landes zwei neue Gesetze an: „Über die Archive und den Archivbestand der Russischen Föderation“ und „Über das Staatsgeheimnis“, die den Prozess der Aufhebung der Geheimhaltung von Archivdokumenten regelten. 1994 setzte der Präsident Russlands Boris Jelzin eine Sonderkommission zur Aufhebung der Geheimhaltung der ehemaligen Parteidokumente ein, zu der Vertreter verschiedener Ministerien, Wissenschaftler, Archivare und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehörten.

Es entstand aber ein Problem mit jenen Dokumenten, die früher in Übereinstimmung mit der Anweisung von Rudolf Pichoj, Chef des Föderalen Archivdienstes, publik gemacht worden waren. Ensprechend den neuen Gesetzen mussten alle diese Dokumente, selbst wenn sie bereits an die Öffentlichkeit gelangt waren, dem offiziellen Verfahren der Aufhebung der Geheimhaltung unterzogen werden. Viele davon erhielten damals erneut den Vermerk „geheim“. Die Kommission kann es sich aber als ein unstrittiges Verdienst anrechnen, dass sie die Geheimhaltung von mehreren Tausend Aktenmappen sowohl aus dem RGANI als auch aus anderen Archiven aufgehoben hat.

Am 11. Juli 1997 versammelte sich die Kommission zu einer ordentlichen Sitzung, der es, wie sich später herausstellte, beschieden war, zur letzten zu werden. Seit diesem Tag begann für die Archive die dritte Periode der Aufhebung der Geheimhaltung von Dokumenten, die sich heute nicht anders als „bürokratische Spiele“ bezeichnen lässt.

Im Laufe von nahezu fünf Jahren konnten die Beamten verschiedener Ämter nicht die Frage lösen: Durch wen, wie und wann wird die Geheimhaltung der ehemaligen Parteidokumente aufgehoben und ob das überhaupt in der nächsten Zukunft getan werde. In diesem ganzen Zeitraum ist es dem Archiv lediglich gelungen, in der Zwischenamtlichen Kommission zum Schutz des Staatsgeheimnises die Aufhebung der Geheimhaltung von einigen Hundert Dokumenten durchzusetzen. Für das Archiv, das Hunderttausende Aktenmappen zählt, ist das wie ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Am 2. Juni 2001 schien es gelungen zu sein, das Problem über den toten Punkt hinweg zu bringen. Der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin unterzeichnete den Erlass Nr. 627, laut dem die frühere Kommission zur Aufhebung der Geheimhaltung von Dokumenten der KPdSU aufgelöst und alle ihre Funktionen auf die Zwischenamtliche Kommission zum Schutz des Staatsgeheimnisses übertragen worden waren. Der Präsident erteilte der Zwischenamtlichen Kommission den Auftrag, im Laufe von zwei Monaten das Verfahren zur Aufhebung der Geheimhaltung ehemaliger Parteidokumente festzusetzen.

Die Kommission hat aber seit Januar 2002 bis heute nicht das Hauptnormativdokument bestätigt, das das Verfahren zur Aufhebung der Geheimhaltung und der Verlängerung der Fristen der Geheimhaltung der Archivdokumente regelt. Negativ wirkt sich auf den Prozess der Aufhebung der Geheimhaltung der ehemaligen Parteidokumente auch die Unvollkommenheit der Normativbasis aus. Die Experten geben oft subjektive und nicht immer begründete Gutachten ab, mitunter auch Formulierungen, die von der russischen Gesetzgebung nicht vorgesehen sind.

Das langsame Tempo der Aufhebung der Geheimhaltung der Dokumente erklärt sich auch noch dadurch, dass Vertreter verschiedener Ämter die Arbeit zur Begutachtung der Dokumente als zusätzliche Belastung empfinden, die Ministerien und Ämter tragen aber keine Verantwortung dafür, dass ihre Dokumente immer noch die Geheimhaltungsvermerke tragen.

Die heutige Kommission hat bisher den Großteil des Arbeitsplans für 2002 nicht erfüllt. Wenn dieses Tempo der Aufhebung der Geheimhaltung beibehalten wird, so wird dieser Prozess in den nächsten 100 Jahren wohl kaum abgeschlossen werden. Das RGANI hat wiederholt bei verschiedenen Instanzen das Recht beantragt, selbstständig die Geheimhaltung jener Dokumente aufzuheben, die sich nicht anders als unbegründet geheimgehalten bezeichnen lassen. Welches Staatsgeheimnis können zum Beispiel das Programm des Festkonzertes, das der Begehung des Geburtstages von Lenin gewidmet war, oder der Beschluss des ZK der KPdSU über die Herausgabe eines Nachschlagebuches über den Fußball enthalten? In den Jahren der Sowjetmacht wurden in der Zeitung „Prawda“ und in der Zeitschrift „Kommunist“ auf Beschluss des ZK der KPdSU ständig die Beschlüsse der Partei zu Wirtschaftsfragen, zum Bauwesen und zur Propaganda veröffentlicht. Im RGANI werden sie aber nach wie vor in geschlossenen Depots aufbewahrt.

In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts „schenkte“ Präsident Boris Jelzin während seiner Besuche in Tschechien, Südkorea und Deutschland den Regierungen dieser Länder wiederholt Riesenmengen der Xerokopien von Dokumenten, die im RGANI und in anderen Archiven aufbewahrt werden. Die ganze Welt macht sich seit vielen Jahren schon mit diesen Dokumenten bekannt, sie sind in Artikeln und Monographien veröffentlicht und in viele Sprachen übersetzt worden. Aber die russischen Wissenschaftler, die einige Angaben aus diesen Materialien verwenden möchten, müssen eine ausländische Ausgabe, die sie veröffentlicht hat, ausfindig machen, eine Rückübersetzung besorgen und sich dabei in der Anmerkung nicht auf das Archiv, in dem das jeweilige Dokument immer noch mit dem Geheimhaltungsvermerk aufbewahrt wird, sondern auf die ausländische Publikation berufen.

Auf alle Appelle der Forscher und Archivare, dem gesunden Menschenverstand zu folgen und das eigene Land nicht in eine widersinnige Lage zu versetzen, geben die Beamten verschiedener Ämter, unter ihnen auch der heutige Chef von Rosarchiv, Wladimir Koslow, die gleiche Antwort: „Die Publikation eines Dokuments kann nicht als Grund für die Aufhebung seiner Geheimhaltung dienen“.

Kontakt:
Rossiiskii gosudarstvennyi arkhiv noveishei istorii (RGANI)
Адрес: 103132, Москва, ул. Ильинка, 12, подъезд 8
Код: 8 (095)

Тел.: 206-50-30; Факс: 206-23-21; 206-55-87; Чит. зал: 206-38-15
E-mail: puzanova_la@gov.ru
Проезд: метро Китай-город, Площадь Революции, Лубянка
Время работы: Вторник – четверг 9.30-17.00

Quelle: Russland Online, www.RUSSLAND.ru, 14.2.2004

Stadtarchiv Wiesbaden stolz auf 2.000 Meter geordnetes Material

Der Dreißigjährige Krieg, einer der verheerendsten in der europäischen Geschichte, hat auch Wiesbaden schwer gebeutelt. Die Stadt hat Teile ihres Gedächtnissen lassen müssen: Das Archiv wurde geplündert – wie die Mitglieder und Freunde des Fördervereins Stadtmuseum erfuhren, die dem Stadtarchiv einen Besuch abstatteten. 

Ein wichtiges Dokument aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg ist noch vorhanden: Die Urkunde, mit der 1351 Sonnenberg die Stadtrechte verliehen wurden. Ein großer Verlust ist der Stadtplan von 1547, unwiederbringlich dahin. Schließlich kamen auch 1717 viele Dokumente abhanden. In diesem Jahr packte die Wiesbadener die große Aufräumwut, vermeintlich Wertloses wurde in großen Mengen weggeworfen. So die Historikerin Dr. Brigitte Streich, Leiter des Stadtarchivs. Die Chancen, der dokumentarischen Wahrheit auf die Spur zu kommen, sanken auch in Zeiten, in denen manche Rathaus-Öfen mit alten Akten geheizt wurden.

Nach dem Uhrturm war das alte Rathaus lange Aufbewahrungsort für Karten, Pläne, Plakate, Karteien und Verzeichnisse aller Art, die Auskunft über das alltägliche Leben geben. Mit jedem Archiv-Umzug verschwand Archivgut. Es gab auch Zeiten, in denen nicht allzu viel aufzubewahren war. So kommt es, dass zahlreiche Städte von der Größe Wiesbadens stattlichere Archive besitzen. Immerhin kann das Wiesbadener Stadtarchiv heute auf 2.000 Meter benutzbares Schriftgut stolz sein, wohl geordnet und Blatt für Blatt leicht auffindbar. Aber etwa die gleiche Menge Material wartet darauf, dass sich jemand ihrer annimmt. Den insgesamt neun Stadtarchiv-Mitarbeitern stehen ehrenamtliche Helfer zur Seite. Dr. Streich ist aber auch dankbar, wenn Praktikanten der Universität Mainz mit anfassen. Gelegentlich ist auch Geld für kleinere Werkverträge übrig.

Eingeteilt wird in die Zeit bis 1866 – also den Beginn preußischer Zeit – es folgen Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimar und die NS-Zeit bis 1945, der Rest rangiert unter „moderne Zeit“. Die NS-Zeit ist nicht besonders gut dokumentiert, berichtet die Leiterin des Stadtarchivs. Bevor die Amerikaner im März 1945 in Wiesbaden einmarschierten, hatte sich Bürgermeister Felix Piékarski aus dem Staub gemacht. Er nahm lastwagenweise Akten mit, die er vernichten ließ.

Die Akten, die in der „modernen Zeit“ in den Ämtern der Stadtverwaltung erzeugt werden, landen im Stadtarchiv. Wenn es um die der Bauverwaltung oder des Friedhofsamts geht, werden sie sorgfältig aufbewahrt, so wie es das Hessische Archivgesetz aus dem Jahr 1989 vorschreibt. Insgesamt 30 Ämter liefern zu. „Unser größter Kunde ist das Sozialamt,“ so Dr. Streich. Mit den Produkten dieses Amts geht man in besonderer Weise um: „Wir übernehmen nur den Buchstaben `M` – weil die Akten so gleichförmig sind.“

Ein digitales Multi-Media-Archiv baut gerade Dr. Thomas Weichel auf, Historiker und ständiger Mitarbeiter des Stadtarchivs. Zu seinem Schätzen gehören Ausschnitte aus Streifen des Filmpioniers Edy Dengel, die ersten Mainzelmännchen, die aus Wiesbaden kamen, oder bewegte Bilder von Schlittschuhlaufenden auf dem zugefrorenen Rhein. Weichel, der oft Bilder in Kisten und Kartons angeliefert bekommt, bereitet die Bildsammlung auf. Sein Ziel ist es, die wichtigsten Archivmaterialien (Manuskripte, Briefe und ganz besonders Fotos) in digitalisierter Form zu speichern und zu verwalten. Es geht also einerseits um Sicherung und Erhalt, andererseits darum, Archivmaterial allen Interessierten zur Verfügung zu stellen: das sind Architekten, Denkmalpfleger oder Heimatforscher ebenso wie etwa die Mitarbeiter der Medien, die häufig über das Internet bedient werden.

Oft ist das Scannen der alten Fotos die geringste Arbeit. Weichel beschreibt am Beispiel einer alten Fotografie, die den Platz zwischen den Nassauer Hof und dem alten Vier-Jahreszeiten-Gebäude zeigt, dass die ursprüngliche Datierung falsch war. Auf dem Foto ist auch eine Pferdebahn zu sehen, die erst 1875 eingeweiht wurde. Aus dem Jahr 1872, als die Pferdebahn noch heftig im Stadtparlament diskutiert wurde, konnte die frühe Ablichtung also nicht stammen. Alle Bildtexte werden übrigens so eingegeben, dass sie untrennbar mit dem digitalisierten Bild verbunden sind.

Die vielen dekorativen Stücke des Stadtarchivs werden schon mal im Original ausgeliehen, sofern das ihren Erhaltungszustand nicht gefährdet. So besorgte sich das Projektbüro Stadtmuseum hier Exponate für die Ausstellung über die 1950er Jahre und eine preußische Akte, die während der Bauzeit des Museums angelegt wurde, tat gute Dienste, als es jetzt um den Umbau ging.

Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
Postleitzahl/Ort:  65197 Wiesbaden
Telefon:  0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429 
Fax:  0611 / 31-3977 
E-Mail:  stadtarchiv@wiesbaden.de

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 14.2.2004

Stasi-Akten belasten „Verdiente Ärztin“ der DDR

Unter dem Decknamen „Ausmerzer“ landete ein Vorgang in der Sperrablage des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der jetzt Euthanasie-Vorwürfe gegen die bekannte Medizinerin und ehemalige Jenaer Universitätsprofessorin Rosemarie Albrecht zu bekräftigen scheint.

Die Staatsanwaltschaft Gera erhebt gegen die mittlerweile 88-jährige Frau Albrecht Anklage wegen Mordes. Die Ärztin soll in der Nazizeit eine Patientin des psychiatrischen Krankenhauses Stadtroda durch zu hohe Schlafmittelgaben getötet haben. Ursprünglich war gegen Albrecht in mehr als 159 unklaren Todesfällen ermittelt worden. 

Die ehemalige Dekanin der medizinischen Fakultät Jena bestreitet die Vorwürfe. Zum ersten Mal, seit der Thüringer Stasi-Landesbeauftragte Jürgen Haschke im März 2000 Anzeige erstattete, äußerte sie sich öffentlich zu den Euthanasie-Vorwürfen. Frau Albrecht erklärt, das Verfahren werde ihr nach jahrelangen öffentlichen Anschuldigungen endlich die Möglichkeit bieten, ihre Unschuld zu beweisen. „Ich habe keinen Grund, irgendetwas zu verheimlichen“, sagt Albrecht mit fester Stimme. „Ich habe keinem Menschen ein Haar gekrümmt!“ Zu einem Verhör sei sie sofort bereit. Der Anwalt der Ärztin argumentiert, das Verfahren hätte auf Grund der Verjährung eingestellt werden müssen. 
 
Die Ermittlungen gegen Albrecht dauern jetzt schon mehrere Jahre an. Ins Rollen gebracht hatten sie Akten der DDR-Staatssicherheit. Aus ihnen ging hervor, dass in den 60er Jahren Nachforschungen eingestellt worden waren, um auf hochgestellte Persönlichkeiten des DDR-Gesundheitswesens Rücksicht zu nehmen. Zu diesen zählte auch Albrecht.

Es geht um zwei fragwürdige Jahre der jungen Ärztin in der damaligen Thüringischen Landesheilanstalt Stadtroda. 1940 fand die Absolventin hier ihre erste Anstellung. Hier stieg sie in Zeiten des Ärztemangels schnell auf und leitete bald die psychiatrische Frauenstation mit 200 Betten. Einige ihrer Patientinnen überwies damals der Jenaer Arzt Jussuf Ibrahim, dessen Verstrickung in Euthanasie-Morde erst 2000 durch eine Kommission in Jena nachgewiesen wurde. Die nach ihm benannte Straße, auf der Rosemarie Albrecht wohnt, wurde in Forstweg umbenannt.

Die ungewöhnliche Zahl von 159 Todesfällen auf der Stadtrodaer Frauenstation gibt bis heute Rätsel auf. Schon 1964 hatte die DDR-Stasi Zweifel, ob „Herz- und Kreislaufschwäche“ der Behinderten wirklich als Todesursache in Frage käme, und ermittelte in Jena. Während auf andere ehemalige Jenaer Ärzte, die inzwischen im Westen lebten, mit dem Finger gezeigt wurde, blieb die inzwischen „national anerkannte und international bekannte“ Professorin Albrecht unbehelligt. Ihre Stasi-Akte enthüllt, dass das damalige MfS sich gegen genauere Untersuchungen sträubte. „Da die Angeklagte eine hohe Position bekleidet, könnte eine Untersuchung zu Ergebnissen führen, die im Gegensatz zu den Bedingungen unserer Gesellschaft stehen“, notierte ein Stasi-Offizier in ihrer Akte.

Die „Verdiente Ärztin des Volkes“ avancierte in Jena zu Deutschlands erstem weiblichen Ordinarius einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik und zur Dekanin. Der bekannte Euthanasie-Forscher Ernst Klee wies allerdings schon 1985 auf wahrscheinliche Morde an „unwertem Leben“ in Jena und Umgebung hin. 1993 wurde in der Uniklinik erstmals öffentlich darüber diskutiert. Noch im Jahr 2000 gab aber Professor Eggert Beleites, Präsident der Landesärztekammer, eine Ehrenerklärung für Ibrahim ab und verfasste eine Laudatio auf Rosemarie Albrecht zu ihrem 85. Geburtstag.

Nach mittlerweile dreijährigen Ermittlungen hält die Staatsanwaltschaft Gera zumindest in jenem Fall für erwiesen, in dem die 34-jährige Patientin durch überhöhte Schlafmittelgaben getötet worden sei. – „Wir sind allesamt geschockt von diesen Enthüllungen“, sagt Andreas Bley, der Leiter der BStU-Außenstelle in Gera. „Die meisten Ostdeutschen dachten, sie stünden moralisch höher als der kapitalistische Westen Deutschlands, weil sie der offiziellen Linie Glauben schenkten, nach der der sozialistische Staat DDR den Nationalsozialismus ausgerottet habe.“

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Quellen: Independent, 14.2.2004; MDR, zuletzt aktualisiert: 27. Januar 2004; taz Nr. 7269 vom 28.1.2004, S. 12.