Historiker-Fund deckt Irrtum in den Geschichtsbüchern auf: Das spektakuläre Attentat auf die mächtigen Gebrüder Medici 1478 in Florenz hatte nicht der Papst in Auftrag gegeben. Wer es wirklich war, zeigt ein Brief, der erst jetzt entschlüsselt wurde
Am Vormittag des 26. April 1478 traf Bernardo Bandini in einem Haus in Florenz letzte Vorbereitungen für ein Verbrechen, das die Machtverhältnisse in Italien entscheidend verändern sollte. Lorenzo und Giuliano de Medici, die Erben der reichsten und mächtigsten florentinischen Familie, sollten an diesem Vormittag getötet werden.
Ein letztes Mal schärfte Bandini seinen langen Dolch aus Stahl. Dann machte er sich auf den Weg zur Kirche Santa Maria del Fiore, wo gerade die Ostermesse zelebriert wurde – im Beisein der Medici-Brüder. Er traf sich wie verabredet mit seinem Komplizen Franceschino Pazzi, dem Spross einer mit den Medici verfeindeten Familie. Gemeinsam begaben sie sich in die Kirche. Auf das vereinbarte Zeichen hin stürzten sie sich während des Hochamtes auf ihre Opfer. Bandini traf Giuliano de Medici mit mehreren Dolchstößen tödlich. Lorenzo de Medici wurde verletzt, konnte aber in dem Durcheinander entkommen.
Die blutige Tat ging in die Geschichtsbücher ein – und zwar als eine Verschwörung der Familie Pazzi, an der auch der damalige Papst Sixtus IV. maßgeblich beteiligt war. Doch nun scheint es, als müsse dieser Teil der italienischen Geschichte neu geschrieben werden. Denn der Historiker und Renaissance-Experte Professor Marcello Simonetta von der Wesleyan Universität Connecticut (USA) hat in jahrelanger akribischer Arbeit herausgefunden, wer der wahre Auftraggeber des Mordanschlages auf die Gebrüder Medici gewesen ist. Es gelang Simonetta, einen chiffrierten Brief zu entschlüsseln, dessen Existenz zwar seit langem bekannt war, aber dessen Geheimcode bis dato niemand hatte knacken können. Er stammt aus der Feder von Federico da Montefeltro, dem damaligen Herzog von Urbino.
Dieser saß an jenem Vormittag des 26. April 1478 in seinem Arbeitszimmer und wartete darauf, wie sich sein eigenes und das Schicksal Italiens in den nächsten Stunden entwickeln würde. Denn an dem Tag sollte eine blutige Revolution beginnen, die er selber von langer Hand geplant hatte. Als Auftakt war ein spektakulärer Mord geplant, eben jener an den Brüdern Medici. Sollte der Coup gelingen, dann würde der Mann aus Urbino noch am selben Abend einer der mächtigsten Männer Europas sein. Alles hing vom Gelingen des Anschlags ab, und der Herzog war sich sicher, dass er ihn perfekt vorbereitet hatte. Alle Welt würde glauben, dass der wahre Schuldige des Komplotts kein Geringerer als Papst Sixtus IV. war.
Der Herr aus Urbino ließ sich an diesem Morgen, wie sein Palastprotokoll vermerkte, einen süßen Wein bringen, aus dem der Alkohol herausgekocht worden war: ein populäres Getränk der Renaissance. Er widmete sich ganz dem Genuss, ohne zu ahnen, dass bei den Vorbereitungen der Tat ein kleiner Fehler passiert war: Einer der 38 Briefe, die er verschickt hatte, war nicht, wie befohlen, vernichtet worden.
Der Mord und die anschließende Revolution sollten ein Problem beseitigen, das Italien seit mehr als 500 Jahren zu schaffen machte. Im Süden des Landes regierte das Königshaus Neapel, im Zentrum lag der Kirchenstaat, der sich gern bis an die Grenze zu Frankreich ausgedehnt hätte, aber die Republik Florenz und das kleine Urbino versperrten diesen Weg. Federico da Montefeltro galt damals als Freund der Medici und unterstützte Florenz. Er kümmerte sich aber weniger um Politik als um Kunst.
Natürlich durfte Bernardo Bandini, der Mann mit dem Dolch, die wahren Hintergründe seiner Auftragstat nicht kennen. Zwar war er ein misstrauischer Mensch, aber die Geschichte, die man ihm auftischte, klang so plausibel, dass selbst die Historiker sie mehr als ein halbes Jahrtausend lang glaubten. Bandini wusste, dass die Familie Pazzi die Herrscherfamilie Medici hasste. Die Medici waren nicht nur viel reicher als die Pazzi – die Banken der Medici kontrollierten halb Europa -, sie hatten auch noch eine geniale Idee in die Tat umgesetzt. Offiziell war Florenz eine Republik, regiert von einem Gonfaloniere, einem Bannerträger, doch der war nur eine Marionette. In Wirklichkeit regierten die Medici, während sie die Florentiner aber in dem Glauben ließen, es gebe in Florenz keine Diktatur. Bandini wurde darüber informiert, dass es leicht wäre, die Pazzi für einen Aufstand gegen die Medici zu benutzen. Bandini wusste aber auch, dass die Medici weit mehr Truppen in und um Florenz hatten als die Pazzi. Doch man erklärte ihm, die Pazzi seien nur ein Vorwand; in Wirklichkeit wünsche der Papst das Ende der Medici, um einen Bischof als Regenten nach Florenz zu entsenden und den Kirchenstaat bis nach Frankreich ausdehnen zu können. Bandini konnte den nicht sonderlich intelligenten Franceschino Pazzi tatsächlich dazu überreden, seinen Rachedurst an den Medici zu stillen.
Die Tatsache, dass Lorenzo de Medici das Attentat überlebte, machte schließlich alle Pläne des Herzogs von Urbino zunichte. Immerhin: Der Brief, der ihn nun als Drahtzieher entlarvt, bewahrte das Geheimnis mehr als 500 Jahre lang. Von den meisten Historikern unbeachtet, lag er im Archiv der Familie Ubaldini in Urbino. Wer immer versucht hatte, den Geheimcode zu entschlüsseln, scheiterte.
Auch Professor Simonetta versuchte sich mehr als 15 Jahre lang vergeblich daran. Die einzigen Dechiffrier-Bücher der Renaissance, die noch existieren, halfen ihm nicht weiter; sie lagern in einem atombombensicheren Bunker unter dem Vatikan. Es sind die Dechiffrier-Bücher der Päpste. Aber der Text von Urbino war auf eine bisher unbekannte Weise verschlüsselt worden. Ein Zufall brachte Simonetta schließlich auf die richtige Spur. Er konnte plötzlich den Brief lesen und war wie vom Donner gerührt. Das Codewort lautete: Sixtus IV.
In dem Brief erteilt der Herzog von Urbino, der angeblich beste Freund der Medici, seinem Botschafter in Rom den Mordauftrag an Lorenzo und Giuliano Medici. Er befiehlt in dem Brief, dass man die Mörder denken lassen solle, der Papst stecke hinter allem. Dem Brief lagen gefälschte päpstliche Zertifikate bei, die dem Attentäter Bernardo Baldini einen Platz im Himmel mit päpstlichem Segen sicherten. In dem Brief heißt es, dass Federico da Montefeltre rund um Florenz Truppen aufstellen ließ, die im Fall des Todes der Medici auf Florenz zumarschieren sollten.
Lorenzo de Medici, der den Beinamen „der Prächtige“ trug, hat nie geahnt, was wirklich passiert war. Er machte Federico da Montefeltre später zu seinem Oberbefehlshaber und verbrachte Monate seines Lebens an der Seite des Mannes, der einen Mordanschlag auf ihn versucht hatte. In seinen Gedichten preist Lorenzo die Treue des Herzogs von Montefeltro und vor allem sein „besonders gutes Herz“ . . .
Quelle: Bericht von Andreas Englisch in: Hamburger Abendblatt, 21.2.2004