Gar nicht häufig genug kann man von Wiesbadener Archiven lesen. Die lokale Presselandschaft ringt geradezu um die Berichterstattung aus dem städtischen Archivwesen, was diesem wohl nur recht sein dürfte. Vor wenigen Tagen berichtete das Tagblatt über die Bestände des Stadtarchivs, nun zieht der Kurier nach:
Wann in Wiesbaden ein Stadtmuseum stehen wird, bleibt einstweilen zwar offen. Deswegen ist es aber keineswegs zu früh für Überlegungen, wie man bei der Einrichtung des Hauses vorgehen könnte. Die Einbindung des Stadtarchivs drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Nicht nur, weil es einige der dort lagernden Dokumente zweifellos verdient hätten, aus der Verborgenheit der Magazin-Regale ans Licht eines Ausstellungsraumes befördert zu werden: Zu je 2.000 Metern summieren sich erschlossene und noch unerschlossene Akten, Urkunden, Pläne, Plakate, Fotos und Bücher, die die letzten knapp 700 Jahre der Wiesbadener Vergangenheit illustrieren. Auch das lokalgeschichtliche und sammlungssystematische Know-how der Stadtarchiv-Mitarbeiter kann den Museumsleuten später nur nutzen. Gute Gründe für den jungen Förderverein Stadtmuseum, einen Rundgang durch das „Gedächtnis der Stadt“ zu unternehmen.
Die Urkunde zur Verleihung der Stadtrechte an Sonnenberg aus dem 14. Jahrhundert ist das älteste im Stadtarchiv aufbewahrte Dokument, erklärte Archivleiterin Brigitte Streich. Exemplarisch stellte die promovierte Historikerin ihrem Publikum die gesamte Bandbreite dessen vor, was die nach vielen Umzügen heute ein wenig versteckt „Im Rad“ residierende Einrichtung beherbergt. Dazu gehören eine prachtvolle alte Handschrift, eine Speisekarte, auf der astronomische Menü-Preise die Entstehungszeit der Inflation verraten, ein Plakat von der „Interallierten Pferdesportwoche“ 1919 oder auch eine gut und gerne vier Zentimeter dicke Mappe mit den Vorgängen um Straßenbenennungen.
Im Stadtarchiv wachsen Sammlungen von Karten, Plänen, Zeitungsausschnitten und Fotos. Sorgsam gehütet wird eine Kartei mit den Namen von 1.500 Zwangsarbeitern. Neben Nachlässen von Vereinen und Persönlichkeiten von zeitgeschichtlicher Bedeutung lagern im Stadtarchiv viele nüchterne Aktenstapel aus der Stadtverwaltung, die gesetzlich verpflichtet ist, ihre Schriftstücke sämtlich dem Archiv zu überlassen. Den größten Ausstoß produziert das Sozialamt. Während im so genannten „guten“ Magazin ein Blick auf systematisch signierte Kisten, die unter anderem Protokolle sämtlicher Sitzungen von Magistrat und Stadtverordneten beinhalten, vorbildliche Ordnung offenbart, harrt der noch unerschlossene, unsortiert und unausgewählt, bisweilen in Umzugskartons verstaute Teil der Dokumente im „bösen“ Magazin „der Auswertung“, seufzt Streich im Gedanken an die chronische Personalknappheit in ihrem Haus.
Mindestens ebenso schmerzlich leidet die Arbeit der Stadtarchivare auch unter stellenweise großen Lücken in den Beständen. Weil historisches Bewusstsein sich nur langsam entwickelte, wurde der Besitz früher nicht eben sorgfältig gepflegt, diente bisweilen sogar als Heizmaterial und wurde buchstäblich verfeuert. Löcher rissen zudem Brände und die Vernichtung von Akten nach 1945 durch die Amerikaner.
Unterdessen treibt Streichs Kollege Thomas Weichel die Verwirklichung seiner Vision eines digitalen Multi-Media-Archivs voran, das um vieles benutzerfreundlicher wäre und nicht nur Museumsleuten, Wissenschaftlern, sondern auch Normalbürgern schnellere Antwort auf ihre Fragen liefern könnte. Grundsätzlich darf jeder die Dienste des Stadtarchivs nutzen, der berechtigtes Interesse nachweisen kann, solange die Bestimmungen des Datenschutzes nicht verletzt werden. Einige Filmschnipsel, darunter jene der von einer Wiesbadener Firma produzierten „Mainzelmännchen“, sind bereits erfasst. Auch den Spielmann-Atlas zur Wiesbadener Stadtentwicklung gibt es Dank Weichels Engagement komplett in digitalisierter Form.
Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
65197 Wiesbaden
Telefon: 0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429
Fax: 0611 / 31-3977
E-Mail: stadtarchiv@wiesbaden.de
Quelle: Wiesbadener Kurier, 17.2.2004