Mit dem 75-jährigen Geschichtsforscher Dr. Gerd Bergmann sprach die Thüringer Allgemeine in Eisenach. Von Hause aus Jurist, entdeckte Bergmann beim Studium der Rechtsgeschichte in Jena das Feld der mittelalterlichen Geschichte. Seit gut 30 Jahren befasst er sich intensiv mit dem Eisenacher Mittelalter.
Warum weiß fast jedes Dorf, wie alt es ist, Eisenach aber tut sich schwer mit der Antwort?
Das liegt daran, dass Dörfer älter sind als Städte. Urkunden wurden ursprünglich ja nur für Besitzwechsel ausgestellt oder wenn Vorrechte erteilt wurden. Darin finden viele Dörfer dann Erwähnung. Die Stadt Eisenach hat sich aus einer Marktsiedlung heraus entwickelt. In ihr wurden bereits 1150 Münzen geprägt. Das beweist, dass um diese Zeit schon ein reger Marktverkehr stattgefunden haben muss. Eine schriftliche Erwähnung war für die Stadt ohne Bedeutung.
Ein Landgrafensitz, der es nirgendwo wert war, urkundlich erwähnt zu werden? Das verwundert dennoch. Nein, den Fachmann nicht.
Existiert denn keine Gründungsurkunde für Eisenach? Nein, die gibt es nicht.
Sie haben Mittelalterakten studiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass Eisenach als „civitas“, als Stadt, erstmals vor 815 Jahren, also 1189 vermerkt wurde. Wo liegt diese Urkunde?
Das Schriftstück liegt im Hessischen Staatsarchiv in Marburg. Es ist aber keine Urkunde im Rechtssinn. Die Jahresangabe 1189 kommt darin nicht vor. Sie lässt sich aber indirekt erschließen. Es ist nur ein schmales Pergament, vielleicht 30 Zentimeter lang, aber höchstens acht Zentimeter hoch.
Ist dieses Dokument in Mönchslatein geschrieben? Nein, in Deutsch.
Wie kamen Sie auf 1189? Es war damals üblich, dass eine Urkunde von dem geschrieben werden musste, der etwas vom Landesherrscher begehrte. Der Landgraf hat sie, wenn er einverstanden war, nur noch signiert, mit Datum versehen und gesiegelt. Dieser Umstand bringt uns dem Alter des Pergaments näher. Wir wissen, dass Landgraf Ludwig III. im Jahre 1189 im Juni zum Kreuzzug aufgebrochen ist, bei dem er ums Leben kam. Er starb auf Zypern. Das Schriftstück ist an ihn gerichtet, also muss es vorher geschrieben worden sein. Sicher nicht sehr lange vorher. Es war ja nicht so, dass ein Urkundenempfänger einfach nach Belieben einen Text formulierte. So etwas war abgesprochen.
Was steht nun in dem Schriftstück? Das Kloster Spieskappel hat in dem Schriftstück beantragt, dass der Landgraf seinen Zöllnern und Schultheißen befehlen möge, diesem Kloster Spieskappel den zollfreien Einkauf in einer Reihe von Städten der Landgrafschaft Thüringen zu gestatten. Darunter waren Creuzburg, Eisenach und Gotha ausdrücklich genannt.
Hat die Obrigkeit diesen Antrag bewilligt? Wie gesagt, ich gehe von einer vorherigen Absprache aus. Aber es ist nicht zur Unterschrift gekommen, weil eben der Landgraf zum Kreuzzug aufbrach. Man darf wohl vermuten, dass die Absprache nicht Jahre zuvor zu Stande gekommen, sondern relativ frisch war. Die Zeit hat einfach nicht mehr gereicht, die Urkunde auszufertigen. Das ist für mich der Anhaltspunkt, dass das Schriftstück im ersten Halbjahr 1189 aufgesetzt wurde. Dass es keine unverbindlichen Schreibübungen des Klosters waren, sondern ein ernst zu nehmendes Papier war, ergibt sich daraus, dass es ins Staatsarchiv aufgenommen wurde, wo es immer noch ist. Andere Forscher vor mir haben die Entstehung weiter gefasst, auf die Jahresspanne von 1180 bis 1189.
Man hat viel über Urkunden gehört, die bereits im Mittelalter gefälscht wurden, weil es um Privilegien wie Grundbesitz ging. Halten Sie die Eisenach-Erwähnung für echt?
Die ist echt, zweifellos. Zu Creuzburg sind andere Urkunden vorhanden, die das erhärten.
Rechnen Sie damit, dass noch ältere Belege gefunden werden? Nein, die Archive sind durchforstet. Und das seit vielen Jahrzehnten. Ich war da keineswegs der Erste.
Quelle: Thüringer Allgemeine, 11.2.2004