Rekord zeigt Grenzen der Belastbarkeit auf

Auf der Suche nach Dokumenten klopfen immer mehr Wissenschaftler und Hobby-Historiker an die Tür des Esslinger Stadtarchivs. Dort freut man sich zwar über das große Interesse. Doch in der Schatzkammer der Stadtgeschichte stößt man an Grenzen – sowohl räumlich als auch personell. Als sich unlängst sieben Nutzer gleichzeitig im Lesesaal des Archivs tummelten, wurde es eng. „Wenn noch jemand gekommen wäre, hätten wir nicht gewusst, wo wir den hinsetzen sollen“, schildert Archivarin Iris Sonnenstuhl-Fekete.

Dass sich das Archiv zunehmender Beliebtheit erfreut, zeigt auch die Statistik: Kamen 2001 noch 579 Benutzer, stieg die Zahl 2002 auf 630, um sich im vergangenen Jahr gar auf 920 zu steigern – darunter sowohl Studenten, die Archivalien für ihre Magister- oder Doktorarbeit brauchen, als auch Menschen, die an einer Veröffentlichung arbeiten, Besitzer historischer Gebäude, Mitglieder der Esslinger Frauengeschichtswerkstatt und viele Schüler.

„Es freut uns sehr, dass so viele Schüler kommen. Denn das zeigt, dass immer mehr lokalgeschichtliche Themen im Unterricht behandelt werden“, meint Archivarin Karla Rommel. Die meisten Schüler, die im Archiv stöbern, beschäftigen sich übrigens mit dem Nationalsozialismus.

Auch Kollegen anderer Archive sind von den Esslinger Beständen angetan – so etwa die Mitarbeiter der Datenbank für Luftaufnahmen, die Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg auswerten. „Wir haben sehr gute Pläne der Stadt mit den genauen Treffern“, erläutert Iris Sonnenstuhl-Fekete.

Dass sich immer mehr Menschen für die Historie vor Ort interessieren und das Geschichtsbewusstsein generell steigt, hat für den Leiter des Stadtarchivs, Joachim Halbekann, mit der „Aura der Unmittelbarkeit“ zu tun. Denn in einer Welt, die immer schwerer zu durchschauen ist, erlangt all das, was authentisch ist eine größere Bedeutung.

Archive stehen grundsätzlich jedem und jeder offen. „Die Französische Revolution hat auch hier zu einem Epochenbruch geführt“, weiß der Stadtarchivar. „Während die Bestände früher Herrschaftswissen waren, sind die Archive heute demokratische Institutionen, in denen auch die politischen Entscheidungen nachvollzogen werden können.“ Jedoch kann man nicht in alle Archivalien gleichermaßen Einblick nehmen, weil Sperrfristen gelten. „Denn wir müssen auch den Persönlichkeitsschutz gewährleisten, was mitunter im Widerspruch zum demokratischen Anspruch auf Transparenz steht.“

Jeder Benutzer des Stadtarchivs hat freilich seine ganz eigene Fragestellung, was die Arbeit der Archivarinnen zwar spannend macht. „Es ist überhaupt nicht planbar“, erzählt Iris Sonnenstuhl-Fekete. Doch die Betreuung der Besucher braucht halt ihre Zeit. „Bei der Recherche tauchen dann oft wieder neue Fragen auf“, fügt Karla Rommel hinzu. Zugenommen haben auch die Anfragen, die schriftlich, per Internet oder telefonisch im Stadtarchiv eintrudeln.

„Wir haben Benutzerzahlen erreicht, die uns sowohl von der technischen als auch von der personellen Ausstattung her an den Rand unserer Kapazitäten bringen“, macht Joachim Halbekann deutlich. Schließlich ist es nicht die alleinige Aufgabe des Archiv-Teams, Bürgerinnen und Bürgern bei der Recherche zu helfen. Bestände müssen verzeichnet, verwaltet, und vor allem auch ausgewertet werden. Und ständig kommen neue Archivalien hinzu, die auch wieder verzeichnet, verwaltet und ausgewertet werden wollen. „Unser Problem ist, dass das steigende Interesse für die Geschichte parallel läuft mit dem Sinken der Kommunalfinanzen“, macht Joachim Halbekann klar. Da die Pflichten (siehe oben) nicht weniger werden, bleibe immer weniger Zeit und Geld für die Kür.

Das Esslinger Stadtarchiv hat neue Öffnungszeiten. Es ist montags bis freitags von 8.30 bis 12 Uhr sowie montags bis mittwochs von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Am Donnerstag steht das Archiv von 13 bis 18 Uhr für Besucher offen.

Kontakt:
Stadtarchiv Esslingen
Marktplatz 20
73728 Esslingen am Neckar
Postfach 10 03 55
73726 Esslingen am Neckar

Quelle: Esslinger Zeitung, 11.2.2004

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