Die Meißener Stadträte diskutieren derzeit, ob die Gründung einer Kultur-GmbH beim Sparen hilft. Finanzbürgermeister Hartmut Gruner glaubt nicht daran. 2004 muss die Stadt für das Museum, die Bibliothek, das Archiv und das Theater rund 650.000 Euro ausgeben.
Etwa 360.000 Euro gab die Stadt Meißen für das Museum aus. 223 000 Euro wurden in die Bibliothek gebuttert. Ungefähr 31 000 Euro schluckte das Stadtarchiv, und knapp 36 000 Euro bekam das Theater aus der Haushaltskasse. In Summe sind das 650.000 Euro, die Meißen im vergangen Jahr für die Kultureinrichtungen ausgeben hat. Auch 2004 wird dieser Betrag gebraucht. So schätzt das Finanzbürgermeister Hartmut Gruner beim jetzigen Stand des Haushaltsplans ein. Angesichts der Meißner Finanzsituation – die Stadt hat ein Defizit von 6,5 Millionen, das sie in den nächsten Jahren abbauen muss – ist das eine große finanzielle Belastung.
„Wir haben dicke Köpfe“, sagt Gesine Augustin, die Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtrat. Die Räte wissen nicht, wie sie das Museum, die Bibliothek, das Archiv und das Theater in Zukunft finanzieren sollen. Ihr Plan ist es, die Einrichtungen in einer Kultur-GmbH zu vereinen, um damit Kosten zu sparen. „Ergeben sich bei dieser Umstrukturierung allerdings keine Sparmöglichkeiten, bin ich für gravierende Einschnitte“, sagt Gesine Augustin. Im Klartext hieße das: Einige städtischen Kultureinrichtungen müssten schließen.
Für Gruner steht das überhaupt nicht zur Diskussion. „Wir müssen die Häuser mit Leben füllen“, sagt er. Erst recht, weil die Gebäude umfangreich saniert wurden oder werden. Pessimistisch ist er allerdings, was den Nutzen der GmbH-Gründung betrifft. Gruner glaubt nicht an einen großen Spareffekt: „Es gibt keine rechtliche Sicherheit dafür, ob sich die tariflichen Bedingungen, unter denen die Mitarbeiter bisher angestellt sind, verändern lassen.“ Oberbürgermeister Thomas Pohlack hält aber an der Groß-GmbH fest: „Zehn bis 20 Prozent der Personalkosten würde das sparen.“ Die Vorbereitungen für den Superkulturbetrieb sind jedenfalls getroffen. „Der Gesellschaftervertrag der Theater-GmbH wurde dahingehend verändert, dass er wie ein Mantelvertrag aufgebaut ist, in den die anderen Kultureinrichtungen hineingesteckt werden können.“
Sparen hin, sparen her, SPD-Stadträtin Gundula Sell will weder die große Kultur-GmbH, noch auf eine der Einrichtungen verzichten. Sie plädiert dafür, die Theater-GmbH so zu lassen, wie sie ist und das Museum, die Bibliothek und das Archiv unter einen extra Hut zu bringen. „So könnten die Mitarbeiter flexibler eingesetzt und die Einrichtungen wirkungsvoller vermarktet werden.“ Nur das macht für die Stadträtin Sinn. Eines der Häuser zu schließen – „da müssten wir uns schämen.“ Für sie gehören die zur kulturellen Grundversorgung der Meißner. „Wir haben die Einrichtungen lange und mühsam bewahrt. Jetzt müssen wir sehen, dass wir sie durch optimale Strukturen am Leben erhalten.“ Das allein reicht Axel Sauer, dem Fraktionschef der PDS, nicht. Kultur ja, aber effektiv und sparsam arbeiten sollen die Einrichtungen, so die Haltung der PDS. Sauer ist für eine einheitliche Organisation der städtischen Kultur. „Wir haben von Anfang an den Vorschlag dafür gemacht. Beispiele in anderen Städten wie Riesa zeigen, dass es funktioniert“, sagt er. Die PDS jedenfalls würde nie ihre Zustimmung geben, wenn es hieße, Museum oder Bibliothek müssen schließen.
Kontakt:
Stadtarchiv Meißen,
Kleinmarkt 5,
01662 Meißen
http://www.stadt-meissen.de/
Quelle: Sächsische Zeitung, 16.1.2004
Grapschender Hofrat ins Archiv versetzt
Erneut wurde ein Skandal um einen hohen Beamten der Landesregierung der Steiermark bekannt. Eine Sekretärin war monatelang den unerträglichen sexuellen Belästigungen ihres Chefs ausgesetzt. Ob es – wie in einem anderen Fall – zu einer gerichtlichen Verurteilung des Täters kommt, ist jedoch fraglich.
Der betroffene Hofrat, der seit seiner Publikation „Protokoll mit Zeremoniell und Etikette“ im Land als Experte für heikle Benimmfragen gilt, dürfte gegenüber einer ihm unterstellten Frau nicht nur die Etikette über Bord geworfen haben. Der ehemalige Protokollchef des Landes quälte seine Sekretärin mit diversen Übergriffen. Dabei wurde der Frau abwechselnd mit unangenehmen Konsequenzen gedroht oder eine Beförderung versprochen, sollte sie etwas erzählen beziehungsweise schweigen. Die mittlerweile schwer kranke Frau wandte sich schließlich an die Gleichbehandlungsbeauftragte des Landes, Ingrid Jauk.
Wie Jauk bestätigte, bat der Mann sein Opfer in einem Sechs-Augen-Gespräch um Entschuldigung, wonach die Frau alle weiteren Schritte einstellte. Die Sekretärin verzichtet damit auch auf einen Schadenersatz von bescheidenen 363,4 Euro, der ihr nach dem Landes-Gleichbehandlungsgesetz zustehen würde. Statt einer Bestrafung wurde ihr ehemaliger Chef mit 1. Jänner 2004 als Referent ins Landesarchiv versetzt.
Die ÖVP-Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic, war am Mittwoch zu keinerlei Stellungnahme in der „Grapsch-Causa“ bereit. Ein Vorgehen, das ihr von den Frauensprecherinnen von SPÖ, FPÖ und den Grünen unisono als Vertuschung übel genommen wird. Die Grünen-Frauensprecherin Edith Zitz will Klasnic nun im persönlichen Gespräch konfrontieren. Denn Zitz selbst habe in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete wiederholt unter verbalen sexuellen Belästigungen eines ÖVP-Kollegen zu leiden gehabt.
Quelle: Der Standard, 15.1.2004
Brilon erschwert Aktenzugang im „Opa-Streit“
Eine Woche nachdem Lokalhistoriker in einer Kleinstadt im Sauerland mit ihren Recherchen begannen, hat der „Opa-Streit“ um fragwürdige Äußerungen von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz die bundespolitische Bühne erreicht. So meldeten sich gestern Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz und Sebastian Edathy, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus in der SPD-Bundestagsfraktion, zu Wort. Vor Ort, in Merz Heimatort Brilon, hat unterdessen die Stadtverwaltung versucht, die Forschungsmöglichkeiten für Lokalhistoriker und Pressevertreter zu erschweren.
Der Erste Beigeordnete der Stadt Brilon, Reinhard Sommer, erteilte gestern eine mündliche Dienstanweisung an alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Unterlagen des Briloner Stadtarchivs zum Verhalten von Merz Großvater, des ehemaligen Bürgermeisters Josef Paul Sauvigny, dürfen demnach nur noch nach ausdrücklicher Genehmigung Sommers veröffentlicht werden. Der Beigeordnete bestätigte dieses Vorgehen gegenüber der taz. „Das ist mein Recht als Beigeordneter“, sagte Sommer. Anfragen für weitere Archivmaterialien werde er „schnell und in üblicher Weise“ bearbeiten.
Anders als der derzeitige Briloner Bürgermeister Franz Schrewe (SPD) gehört der Beigeordnete Sommer der CDU an. „In Wahrheit ist die taz gar nicht an Sauvigny interessiert, sondern will nur Friedrich Merz in eine rechte Ecke stellen“, sagte Sommer.
Informanten der taz waren vergangene Woche im Briloner Stadtarchiv auf NS-freundliche Äußerungen Sauvignys gestoßen. Sauvignys Enkel Friedrich Merz hatte auf einer Parteiversammlung am 6. Januar in seinem sauerländischen Heimatort Brilon dazu aufgerufen, das „rote Rathaus“ der Stadt „zu stürmen“. Zur Begründung verwies er auf seinen Großvater, der im Nationalsozialismus bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1937 Bürgermeister des Orts war.
Sein Großvater habe „von 1917 bis 1937“ als Bürgermeister amtiert. Ihn, Merz, erfülle daher „mit tiefem Grausen“, dass derzeit „ein roter Bürgermeister“ amtiere. In keiner Gemeinde des Hochsauerlandkreises engagiere er sich so gern persönlich, wenn es darum gehe, „ein rotes Rathaus zu stürmen“. Diese Äußerungen bestätigten gegenüber der taz übereinstimmend drei Teilnehmer der Veranstaltung, bei welcher der CDU-Bürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl aufgestellt wurde.
Vor drei Monaten hatte Merz sich bereits in einem Interview mit dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel affirmativ auf seinen Großvater bezogen. Auch damals bezog sich Merz auf die Amtszeit des Bürgermeisters. „Das war mein Großvater immerhin zwanzig Jahre von 1917 bis 1937“, sagte er in dem autorisierten Interview vom 28. September vergangenen Jahres. Grünen-Chef Bütikofer warf Merz gegenüber der taz vor, „die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien in einen geistigen Bürgerkrieg zu verwandeln – und das nicht zum ersten Mal“.
Quelle: taz Nr. 7262, 20.1.2004, S. 7
Neuerscheinung: Zwangsarbeit in der Kirche
Zwei Jahre lang haben die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und die Diakonischen Werke (DWHN und DWKW) beider Regionen nach Spuren von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in ihren Einrichtungen während des Dritten Reiches suchen lassen. Das Ergebnis steht nun fest: 261 Personen konnten namentlich nachgewiesen werden. Der Marburger Historiker Dirk Richhardt, der im Auftrag von Kirche und Diakonie geforscht hat, stellte heute in Frankfurt das Buch mit den Ergebnissen der Untersuchungen vor. Bei der Präsentation wurden viele Zahlen, aber keine konkreten Orte – etwa in unserer Region – genannt. Wer sich dafür interessiert, sollte sich das Buch – mit 6 Euro durchaus erschwinglich – kaufen (Angaben am Ende des Artikels)
Der Autor sagte – nach Angaben der Evangelischen Kirchen und Diakonie heute -, er habe zwar „mit dem feinst möglichen Sieb nach Spuren gesucht“. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es noch mehr Betroffene gegeben habe. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis basiere auf allen heute zugänglichen Akten in den etwa 30 Archiven und 10 Dokumentationsstellen in ganz Deutschland, insbesondere in den beiden Kirchengebieten, das Hessen und Teile von Rheinland-Pfalz und Thüringen umfasse, sowie auf Berichten von Augenzeugen und Unterlagen in den Einrichtungen selbst.
Demnach haben neun Menschen zwangsweise Hausarbeit in evangelischen Pfarrhaushalten geleistet. Von den insgesamt 313 Diakonischen Einrichtungen haben 26 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter beschäftigt, insgesamt 252 Menschen. Bei 39 Prozent von ihnen konnte nachgewiesen werden, dass sie in der Garten- und Feldbewirtschaftung eingesetzt waren, 21 Prozent in der Hauswirtschaft, wenige auch in der Pflege von Kranken oder Behinderten selbst. Die 261 Personen in diesem Bereich hätten 0,4 Prozent aller Zwangsarbeiter im Gebiet von Hessen ausgemacht. Dort wurden für das Jahr 1944, dem Jahr mit der höchsten Anzahl, 170.000 Personen nachgewiesen, die Zwangsarbeit verrichten mussten.
Mit 44 Prozent kamen fast die Hälfte der Betroffenen aus Polen, 34 Prozent stammten aus der damaligen Sowjetunion, 12 Prozent aus West- und Nordeuropa gekommen. Der Frauenanteil betrug 54 Prozent. Das Alter der Frauen lag zwischen 15 und 68 Jahren und das der Männer zwischen 14 und 67, wobei die Mehrzahl, etwa 33% der zur Arbeit Gezwungenen, Anfang Zwanzig war. Der Altersdurchschnitt lag mit 28,6 Jahren etwa sechs Jahre über dem Durchschnitt der Zwangsarbeiter im damaligen Reichsgebiet.
Richhardt wies weiter darauf hin, dass der Begriff Zwangsarbeit erst nachträglich geprägt worden sei. In der NS-Zeit habe es ihn noch nicht gegeben. Die betroffenen Personen seien in der Tradition der „Fremdarbeiter“ gesehen worden, wie sie bereits vor dem „Dritten Reich“ als Wander- oder Saisonarbeiter auch freiwillig gekommen waren. Die zwangsweise Verschleppung, die dann im Laufe des Krieges einsetzte, sei offenbar nur wenigen bekannt gewesen. In den kirchlichen Einrichtungen waren die Betroffenen meist in den normalen Arbeitsalltag integriert gewesen. Allerdings wurden sie entsprechend der rigiden staatlichen Vorschriften separat und schlechter untergebracht und sehr viel schlechter bezahlt als andere Arbeiter.
Richhardt: „Die Recherche, insbesondere die subjektiven Quellen wie Briefe und Gespräche mit den Zeitzeugen legen den Schluss nahe, dass sich viele Mitarbeitende in den kirchlichen Einrichtungen in hohem Maß an die Normalität des Unrechtes in diesen Jahren gewöhnt hatten und – ähnlich wie die Mehrheit der Gesellschaft – versucht habe, ihr persönliches Leben darin „so normal wie möglich“ zu gestalten. Viele kirchliche und diakonische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich im persönlichen Umgang durchaus human verhalten, sich gegenüber der politischen Dimension des Unrechts aber dennoch gleichgültig gezeigt.“
Der Autor erinnert in seiner Publikation außerdem daran, dass viele der größeren Einrichtungen unter staatlicher Verwaltung gestanden hätten. So sei etwa der Leiter der Nieder-Ramstädter Diakonie bei Darmstadt, Pfarrer Schneider, inhaftiert gewesen. Unter der Leitung eines Kommissars sei auf dem Gelände der Nieder-Ramstädter Heime dann ein Auffang- und Durchgangslager für Zwangsarbeiter eingerichtet worden, in dem auch die kirchlichen Beschäftigten arbeiten mussten. Richhardts Forschung förderte auch „Widerständigkeiten“ zu Tage. So gelang es dem Pfarrer von Oberweimar bei Marburg, einer vorbeiziehenden Wehrmachtseinheit zwei Frauen „abzunehmen“, die dann im Pfarrhaus arbeiteten. Dies offenbare durchaus persönlichen Mut und Verantwortungsgefühl. Ob durch solche Aktionen das System Zwangsarbeit gemildert werden konnte, sei allerdings zweifelhaft, weil „der Bedarf dann durch neue Verschleppte gedeckt“ worden sei.
Der Historiker warnte vor kurzschlüssigen Bewertungen. Es sei schwer, die komplexe Lebenswirklichkeit dieser Jahre von heute aus gesehen zu durchdringen und zu bewerten: „Zu unterschiedlich waren die Einzelschicksale, zu spröde oft das Quellenmaterial.“ Besonders tragisch sei, dass viele der 1945 heimkehrenden Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zuhause als „Kollaborateure“ eingestuft und in Lagern inhaftiert worden waren. Aus diesem Grund hätten viele bis heute diesen Teil ihrer Biografie verschwiegen. In dem Buch habe man deshalb auch keine Namen veröffentlicht und habe sehr sorgsam auf den Persönlichkeitsschutz geachtet, um die Rechte dieser Menschen nicht noch einmal zu verletzen.
Der nordhessische Bischof Dr. Martin Hein (EKKW) nannte das Forschungsergebnis ob der methodisch soliden Arbeit und der ans Licht gebrachten Erkenntnisse „beeindrucken und bedrückend zugleich“. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck fühle gegenüber den in ihren Einrichtungen beschäftigten Zwangsarbeitern Schuld und Verpflichtung. Die Kirche sei dankbar für Begegnung mit den Betroffenen und sehe es als ihre Aufgabe an, „auch hier den Weg der Versöhnung zu beschreiten.“
Die Kirchen und ihre Diakonischen Werke sind über die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt in der bundesweiten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Um ihre gesamtgesellschaftliche Mitverantwortung auch an diesem Punkt deutlich zu machen, hat die EKD im Herbst 2000 einen Betrag von zehn Millionen Mark an die Bundesstiftung gezahlt, der anteilig von den Gliedkirchen der EKD und deren Diakonischen Werken aufgebracht wurde..
Nach Auskunft der Pressesprecherin des Diakonischen Werkes von Hessen und Nassau, Kathleen Niepmann, versuchen die Evangelischen Kirchen und die Diakonischen Werke nun, mit den Betroffenen in Kontakt zu kommen. Entsprechende Anfragen seien bereits vor Monaten an die Partnerorganisationen in den fraglichen Herkunftsländern gestellt worden. Vereinzelt seien auch schon Ergebnisse zu verzeichnen. Gerne wolle man die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einladen. Viele seien interessiert, noch einmal an ihre ehemaligen Arbeitsstätten zu kommen und ehemalige „Kolleginnen“ zu treffen. Das helfe ihnen, mit den Erfahrungen und dem Leiden von damals heute besser fertig zu werden. Diese Erfahrung sei bei über 20 Begegnungstreffen, die die Evangelische Kirche in den vergangenen Jahren mit Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern aus Weißrussland organisiert habe, immer wieder gemacht worden.
Info:
Das Buch ist unter dem Titel „Zwangsarbeit im Bereich von evangelischer Kirche und Diakonie in Hessen“ als Band 8 in der Schriftenreihe „Quellen und Studien zur hessischen Kirchengeschichte“ erschienen. Es kostet sechs Euro und kann über den Buchhandel, die evangelischen Kirchen oder die diakonischen Werke bestellt werden. (Bestelladresse bei der EKHN per Email: info@ekhn.de oder FAX: 06151 / 405-441.)
Link zur EKHN
Kontakt:
Öffentlichkeitsarbeit der EKHN
Paulusplatz 1
64285 Darmstadt
Tel.: 06151 / 405-504
E-Mail: info@ekhn.de
Quelle: Osthessen News, 19.1.2004
Verdienstkreuz am Bande für Prof. Dascher
Das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport teilt mit:
Im Namen von Bundespräsident Johannes Rau hat Manfred Morgenstern, Staatssekretär im Kulturministerium NRW, heute dem ehemaligen Leiter des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, Professor Dr. Ottfried Dascher, das Verdienstkreuz am Bande überreicht.
Der 1936 geborene Dascher hat sich vor allem um das Archivwesen der Wirtschaft in Forschung, Lehre und Praxis auf nationaler und internationaler Ebene verdient gemacht. Als Vorstandsmitglied im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare VdA (1977-1985) setzte er sich besonders für die Aus- und Weiterbildung junger Archivare in der Wirtschaft ein. „Sie haben sich durch Ihre langjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Fachgruppe der Wirtschaftsarchive im VdA und im Vorstand der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare einen hervorragenden Ruf im In- und Ausland erworben“, würdigte Morgenstern den Ordensträger in seiner Laudatio. Von 1974 bis 1988 war Professor Dascher Sekretär und später Präsident des Ausschusses für Wirtschaftsarchivare im Internationalen Komitee für Wirtschaftsarchivwesen beim Internationalen Archivrat in Paris. Sein besonderes Anliegen dabei war, die deutschen Wirtschaftsarchivare mit dem Ausland zu vernetzen.
Daschers Engagement kam nicht zuletzt dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund zu Gute, das sich unter seiner nahezu zwanzigjährigen Leitung zu einem weit über die Landesgrenzen hinaus hoch angesehenen Institut mit Vorbildcharakter für Neugründungen in anderen Regionen der Bundesrepublik entwickelt hat. Seit 1974 nimmt Professor Dascher Lehraufträge zur Archiv- und Quellenkunde der Neuzeit sowie zu Themen der Landes- und Wirtschaftsgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum wahr. In Anerkennung seiner Verdienste in Forschung und Lehre wurde er 1980 zum Honorarprofessor ernannt.
Darüber hinaus wirkte er nahezu 25 Jahre als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V. Dortmund. Der in Dortmund lebende Daschner hat sein Wissen stets engagiert den lokalen historischen Vereinen zur Verfügung gestellt, u.a. im „Historischen Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark e.V.“ und in der Vereinigung von Freunden und Förderern der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.
Quelle: Pressemitteilung Landesregierung NRW, 15.1.2004
Interesse an Stasi-Akten ungebrochen
Auch mehr als ein Jahrzehnt nach der Öffnung der Stasi-Archive in Ostdeutschland ist das Interesse an den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ungebrochen. „Monatlich werden bei uns immer noch mehr als 400 Anträge auf Akteneinsicht gestellt“, sagte Rüdiger Sielaff, Leiter der Außenstelle der Behörde für die Stasi-Unterlagen in Frankfurt (Oder).
„Das hat niemand geahnt. Als die Akten zugänglich wurden, dachten alle, bis Ende der 1990er-Jahre ist das Thema durch. Inzwischen fragt schon die nächste Generation nach den Akten“, sagt Sielaff. Kinder und Enkel wollten wissen, was die Akten der Eltern und Großeltern enthalten. Zudem müsse aus der Zeit der Antragsflut vor gut zehn Jahren noch ein Rückstau von knapp 4.000 Anträgen abgearbeitet werden. „Die Wartezeiten verringern sich aber.“ Wer von der Stasi nicht erfasst war, kann das laut Sielaff innerhalb von zwölf Wochen erfahren.
Die Wartezeiten hingen davon ab, wie schnell eine Akte gefunden werde, wie umfangreich sie sei und wie viele Informationen darin geschwärzt werden müssten. Die Bearbeitungszeit könne bis zu zweieinhalb Jahren dauern. „Davon sind etwa 10 bis 15 Prozent der Antragsteller betroffen.“ In der Oderstadt sind die Akten der einstigen MfS-Bezirksstellen Frankfurt und Cottbus zusammengefasst. Die Außenstelle beherbergt rund 10.000 laufende Regalmeter Akten. Die Behörde verwaltet zudem rund 3.000 Meter Film sowie 1.460 Säcke mit von der Stasi vernichtetem Material. „Es harrt der Rekonstruktion“, sagt Sielaff. Ein erheblicher Teil der Akten müsse erst noch gesichtet werden.
Kontakt:
BStU
Außenstelle Frankfurt (Oder)
Fürstenwalder Poststraße 87
15234 Frankfurt (Oder)
Tel.: (03 35) 60 68 – 0
Fax: (03 35) 60 68 – 24 19
e-mail: astfrankfurt@bstu.de
Quelle: Morgenpost (Berlin), 19.1.2004
NRW modernisiert seine Archiv-Landschaft
Die vier nordrhein-westfälischen Staatsarchive werden mit einer verbesserten Struktur und einem neuen Technischen Zentrum in Münster für die Zukunft gerüstet. Zum 1. Januar 2004 wurde das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Düsseldorf als zentrale Einrichtung gegründet. Die bisherigen Staats- und Personenstandsarchive an den Standorten Düsseldorf, Brühl, Detmold und Münster bilden künftig Abteilungen des von Prof. Wilfried Reininghaus geleiteten Landesarchivs.
In der historischen Speicherstadt Münster-Coerde entsteht das zentrale Technische Zentrum mit modernen Methoden und Geräten der Restaurierungstechnik. Rund 2,2 Mio. EUR investiert das Land in 2004/05 in das für einen Zeitraum von zunächst 15 Jahren angemietete Zentrum. „Archive sind keine staubigen Aktenkammern, sondern das Langzeitgedächtnis einer Gesellschaft. Die Modernisierung ist dringend nötig, um den Zerfall unersetzlicher Dokumente der Landesgeschichte zu verhindern“, erklärte NRW-Kulturminister Michael Vesper heute in Düsseldorf. Auch personell will er das Landesarchiv stärken.
Mit der Modernisierung der Archive folgt das Land den Empfehlungen von Unternehmensberatern: Sie hatten – gegen jeden Zeittrend – festgestellt, dass die NRW-Archive über deutlich zu wenig Personal- und Sachmittel verfügen. Beim Erschließen und Erhalt der Bestände (rund 162 Regal-Kilometer mit Dokumenten vom 7. bis zum 21. Jahrhundert) gibt es dramatische Rückstände. Auch die Arbeit zwischen den einzelnen Standorten soll besser koordiniert werden. „In Münster-Coerde wird auch die Informationstechnik angesiedelt sein, eine große Herausforderung für die Archive. Elektronische Unterlagen sind noch gefährdeter als konventionelles Schriftgut, weil die Software schnell veraltet“, so Vesper. Im IT-Bereich sei NRW gut aufgestellt und wolle diese Stärke weiter ausbauen.
Wie wichtig die Arbeit der Landesarchive ist, belegte Vesper am Beispiel der in den vergangenen zwei Jahren durchgeführten Recherchen zur Entschädigung von Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit. Knapp 30 Prozent aller Anfragen aus Osteuropa konnten die beiden Koordinierungsstellen in Düsseldorf und Münster positiv beantworten (Bundesgebiet: 7,8%). In absoluten Zahlen hat NRW bis Ende 2003 rund 18.000 Anfragen von bundesweit ca. 350.000 bearbeitet. „In die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus werden unsere Archive auch weiterhin einen großen Teil ihrer Kraft stecken, denn viele Akten zur Entschädigung oder zu den NS-Prozessen müssen erst noch erschlossen werden“, betonte der Minister.
Alle NRW-Archive im Landesarchiv zählen rund 6.400 Nutzer pro Jahr 19.000 Benutzertage). Der Online-Verbund „archive.nrw.de“ wurde in 2003 bereits von zwei Millionen Interessenten genutzt. Er soll in diesem Jahr weiter ausgebaut werden.
Quelle: Presseinformation des Ministeriums, „MSWKS-Newsservice“ <info@de-media-service.de>, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, 15.1.2004
Verhandlungen über Rathenau-Archiv
Für das russische Kulturministerium gehen die deutsch-russischen Verhandlungen um die Rückgabe des Rathenau-Archivs weiter wie gehabt. Meldungen über eine Note des russischen Außenministeriums, wonach das einst von Präsident Jelzin der deutschen Seite versprochene Konvolut von rund 70.000 Akten zum Staatseigentum und Deutschland zum ehemaligen Feindstaat erklärt wurden (Meldung) und die heftige politische Reaktionen auslöste, seien zu seiner Behörde nicht vorgedrungen, erklärte der Leiter der Restitutionsabteilung Alexander Kibowski.
Nach Ansicht des Kulturministeriums kann der Nachlass des ehemaligen deutschen Außenministers Walther Rathenau, der 1922 in Berlin von Antisemiten ermordet wurde, nicht der offiziellen Kulturbeute zugeschlagen werden, mit welcher sich die Sowjetunion für erlittene eigene Kulturgüterverluste vermeintlich rechtmäßig entschädigte.
Rathenaus Nachkommen wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, die sein Archiv von ihnen erpressten. Die Erben leben heute in der Schweiz, weshalb die russische Seite zu erwägen habe, ob die Aktensammlung nach Deutschland oder in die Schweiz gehöre, sagte Kibowski.
Es bleibt die Frage, so die FAZ heute, ob das nominell für die Beutekunst zuständige Kulturministerium von diesbezüglichen Regierungsentscheidungen einfach übergangen wird. Beobachter fragen sich, wie lange Kibowskis Chef, der liberale Kulturminister Schwydkoi, sich unter dem neoimperialen Regime wird halten können.
Quelle: FAZ, 15.1.2004, 33.
Film über die Bombardierung Schaffhausens wiederentdeckt
Die Filmrolle lag während Jahren unbeachtet im Stadthaus, kam dann in ein Depot des Stadtarchivs Schaffhausen, wo sie Archivar Peter Scheck jetzt reaktivierte und in eine für den PC kompatible DVD-Fassung brachte (Link). Gedreht wurde der wiederentdeckte Tonfilm vom Luftschutzamt des Eidgenössischen Militärdepartementes offenbar noch am Tag der Bombardierung am 1. April 1944 und primär vermutlich als Dokumentation und Instruktion für militärische Zwecke.
In einer eindrücklichen Abfolge von Aufnahmen werden brennende Häuser, rauchende Trümmer, Feuerwehrleute und Soldaten auf Leitern und an Schläuchen gezeigt, auch Bilder verängstigter und fassungsloser Bewohner. Vorab beim Museum, an der Beckenstube, am Herrenacker, im damaligen Industriequartier am Rhein in den Mühlenen und am Bahnhof muss die Verheerung, verursacht an jenem Ostersamstag durch ein amerikanisches Bombengeschwader, ungeheuer gewesen sein. In den ersten Stunden nach dem Bombenabwurf herrschte wohl ein unvorstellbares Chaos, das sich aber – auch gemäss dieser bisher noch nie veröffentlichten Bilder – schnell gelegt hat und einer disziplinierten und erstaunlich besonnenen ersten Hilfe Platz machte.
Wucht der Sprengbomben
Die offensichtlich auch Tage danach noch in der Altstadt weilende Filmequipe hat diesen Einsatz in überwiegend professionellen und scharfen Aufnahmen festgehalten – Männer und Frauen, die bei Rettungs- und Aufräumungsarbeiten beherzt zupacken, auch eifrige Jugendliche, Pfadfinder, die beim schwer getroffenen Naturhistorischen Museum am Herrenacker ausgestopfte Tiere herumtragen. Mehrfach erwähnt der Sprecher des Films die immense Gewalt der 400 Brand- und Sprengbomben, die 45 Kilogramm schwer waren und beim Abwurf das Dach und das oberste Stockwerk eines Gebäudes (wie das Restaurant Thiergarten) durchschlugen und erst nach dem Einschlag explodierten. Die Bomben entwickelten schon damals eine ungemein zerstörerische Kraft, Schaffhausen hatte an diesem Schreckenstag 40 Todesopfer, 270 teilweise schwer Verletzte und 500 Obdachlose zu beklagen. Der Bombenabwurf, den auch Neuhausen und Feuerthalen zu spüren bekamen, legte selbst massiv gebaute Häuser teilweise in Schutt und Asche, so die damals gegenüber dem Kraftwerk gelegene Tuchfabrik – die dort vorhandenen Stahlkonstruktionen glühten nach einem Volltreffer und Vollbrand, verbogen sich unter der Hitze und fielen innert Sekunden wie ein Kartenhaus zusammen.
Aufgabe «geschickt gelöst»
Anfänglich hätte es den Leuten des Luftschutzes und der Feuerwehr vor allem an Wasser, auch am nötigen Leitungsdruck gefehlt, bemängelt der Kommentator des Films. Darüber hinaus lobt er aber die Einsätze und die vorbildliche Organisation der örtlichen Hilfskräfte. Sie hätten die Aufgabe «geschickt und zweckentsprechend gelöst», heisst es im Film. Und: Die Bevölkerung habe «das Leid tapfer getragen». Entscheidend in diesen Tagen war die überlegte Führung durch Stadtpräsident Walther Bringolf und Oberst Oscar Frey. Eine wichtige Rolle zur Bewältigung des Elends spielte neben den Ärzten und dem Pflegepersonal des Spitals hinter dem Bahnhof auch Els Peyer-von Waldkirch, die Leiterin der Obdachlosenfürsorge.
Anfrage aus Deutschland
Von der Bombardierung Schaffhausens existieren neben schriftlichen Berichten zahlreiche Fotos, auch Luftaufnahmen des Militärs sowie ein – allerdings nur bedingt aussagekräftiger – kurzer Amateurfilm und Zusammenschnitte aus alten «Kino-Wochenschauen». Von einem dramaturgisch aufgebauten Film in der Länge und Qualität, wie er jetzt vom Stadtarchiv vorgefunden wurde, war aber bisher nichts bekannt. Die Entdeckung machte Archivar Peter Scheck nach einer kürzlich erfolgten Anfrage einer deutschen Fernsehanstalt, die Material für eine Sendung über den Zweiten Weltkrieg suchte. Fast zeitgleich interessierte sich auch das Schweizer Fernsehen; der Sender wird den Film oder Ausschnitte davon voraussichtlich im März ausstrahlen.
Den Historikern wird das Dokument kaum neue Erkenntnisse liefern. Als beeindruckendes Zeugnis der für Schaffhausen unvergesslichen Stunden und Tage dürfte der Film trotzdem auf grosses Interesse stossen.
Die Bombardierung Schaffhausens kurz vor 11 Uhr am 1. April 1944 dauerte nur gerade 40 Sekunden – und machte der hiesigen Bevölkerung überdeutlich, wie grausam Krieg sein kann. In der Stadt zählte man auf einen Schlag mehr als 50 Grossbrände.
Die Amerikaner entschuldigten sich damals umgehend für den verheerenden Luftangriff, richteten später auch Entschädigungen aus; die Stadt erhielt für öffentliche und private Schäden 40 Millionen, der Kanton zusätzlich 14 Millionen Franken. Während anfänglich Zweifel bestanden, steht heute für die Experten und vorab die Historiker fest: Die Bombardierung durch die amerikanischen Piloten erfolgte irrtümlich.
Kontakt:
Stadtarchiv Schaffhausen
Fronwagplatz 24
CH-8200 Schaffhausen
Tel. Sekretariat ++41 52 632 52 32
Fax ++41 52 632 52 31
Quelle: SHN, 15.1.2004
Ausstellung in HH-Altona erinnert an jüdische Fotografen
Als der Hamburger Fotograf Emil Bieber im Januar 1938 an Bord eines Schiffes nach England geht, hinterläßt er in Hamburg unter anderem eine Kundenkartei mit achttausend Einträgen sowie sein Archiv mit fünfzigtausend Glasnegativen. Darunter Portraits des Polarforschers Roald Amundsen, des Erfinders Thomas Alva Edison oder der Tänzerin Josephine Baker. Von London aus versucht er, wenigstens einen Teil seiner Geschäftsgrundlage zu retten. Vergeblich. Der neue Besitzer der nun „arisierten“ so genannten Lichtbildwerkstätte stellt sich seinen Kunden mit Deutschem Gruß vor. Ein – wie es immer heißt – Schicksal, das Bieber mit seinen Hamburger Kollegen Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg teilt. Auch sie werden zwischen 1935 und 1938 zur Emigration und damit zur Aufgabe ihrer jeweiligen Fotoateliers gezwungen. Nun sind einige ihrer Werke zurück an die Elbe gekehrt – von der ambitionierten Portraitfotografie über die gebrauchsorientierte Zeitungsreportage; von der engagierten Dokumentationen jüdischen Lebens bis hin zur schnöden Werbefotografie –, versammelt in einer Ausstellung im Altonaer Museum im Westen Hamburgs.
Alles begann Anfang der neunziger Jahre mit der Recherche nach einzelnen Fotos und deren Urheber. Der Historiker Wilfried Weinke hatte in einer Publikation zu jüdischem Leben im Hamburger Grindelviertel Fotos abgedruckt, deren Legenden fehlten. Weinke machte sich auf die Suche. Auf seinem Aufruf an ehemalige Hamburger Bürger jüdischer Herkunft antworteten weltweit rund einhundertzwanzig der Angeschriebenen, gaben Tips, erwähnten weitere Namen oder schickten gar persönliche Bilder aus ihren Familienalben nach Hamburg. Unter anderem kam ein Brief aus Südafrika, in dem eine Frau etwas süffisant fragte, ob Weinke eigentlich die Fotoarbeiten ihres Vaters kenne, der einst auch in Hamburg ein Fotostudio unterhalten und etwa seinen Schwiegervater Sigmund Freud portraitiert hatte: Max Halberstadt.
Wilfried Weinke hat nun mit Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen alles andere als eine gefällige und leichtgängige Fotoausstellung abgeliefert, bei dem man mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Bilder abschreitet und sich allein an den gehobenen Schätzen erfreut. Vielmehr setzt er sein Unternehmen der Würdigung des fotografischen Werkes Biebers, Halberstadts, Kastans und Schallenbergs in einen Kontext mit der Geschichte ihrer Ausgrenzung und ihres Vergessens, die sich in ihrer Heimatstadt Hamburg auch nach 1945 fortsetzte. Das Hamburger Abendblatt etwa druckte Ende der fünfziger Fotografien von Emil Biebers – ohne die Geschichte dieser Bilder zu erzählen. Von Biebers „Wahlheimat“ Südafrika ist die Rede, so als sei der Fotograf seinerzeit freiwillig aus Hamburg ausgewandert, um anderswo sein Glück zu machen. Dokumente dieser Zeitungsausgaben finden sich daher neben Auskünften zu Biebers weiterem Lebensweg. Ein Prinzip des Gegeneinanderstellens, dem die Ausstellung verpflichtet bleibt. Neben Auftragsarbeiten für das gehobene Bürgertum finden sich gleichberechtigt die biographischen Daten zu den vier Fotografen. Zeitungsdrucke haben ebenso ihren Platz wie herausragende Exponate, die von den beruflichen Erfolgen und dem sozialen Status der vier erzählen. Da finden sich von Bieber gestaltete Titelblätter der Theaterzeitung der Hamburger Kammerspiele. Und da ist das Faksimile des Telegramms Kaiser Wilhelms II. an Bieber, sich doch bitte die Tage vom 7. bis 9. August 1908 bereitzuhalten, um seine Majestät abzulichten – womit ansatzweise die persönliche Tragik eines Menschen deutlich wird, der im Alter von sechzig Jahren und auf die Unterstützung seiner Söhne angewiesen, noch einmal im fernen Südafrika von vorne anfangen mußte. Das Schreiben der Hamburger Handwerkskammer, das Kurt Schallenberg im Dezember 1938 unmißverständlich auffordert, seinen Betrieb zu schließen, wird kontrastiert durch Schallenbergs Portraitreihe Hamburger Bürgermeister.
Ermöglicht wurde die Ausstellung durch Mittel der Hamburger Bürgerschaft, der Senatskanzlei sowie der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung. Möglich wurde sie aber vor allem durch das Engagement des Ausstellungsmachers Wilfried Weinke, der sich durch Archive und Antiquariate wühlte und der die Ausstellung als eine Art Zwischenbilanz, als Diskussionsangebot verstanden wissen will, sich mit der bis heute weitgehend verschütteten Geschichte (nicht nur) Hamburger Fotografen und Fotografinnen zu beschäftigen. Durchaus pikant das Schweigen eines anderen einflußreichen Hamburger Fotografen, auf das Weinke hinweist: Fritz Kempe. Zunächst tätig als Fotograf einer Propagandakompanie, leitete er später die Staatliche Landesbildstelle Hamburg und war zuletzt ehrenamtlicher Kustos beim Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Kempe prägte so die Sammlungs- und Ausstellungspolitik beider Häuser – in denen die Werke der einstigen jüdischen Kollegen verschwiegen wurden.
Die Tatsache, daß in Altona, das so lange versuchte, sich als eigenständiger Ort gegenüber der Hansestadt Hamburg zu behaupten, nun Bieber, Halberstadt, Kastan und Schallenberg in dieser Breite und Ausführlichkeit vorgestellt und gewürdigt werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Keiner der vier Fotografen hat je in Altona gelebt.
Info:
Die Ausstellung im Altonaer Museum endet am 12. April.
WILFRIED WEINKE: VERDRÄNGT, VERTRIEBEN ABER NICHT VERGESSEN
Kunstverlag Weingarten 2003.
304 Seiten, 29 €
Kontakt:
Altonaer Museum
Museumstraße 23
22765 Hamburg
Quelle: Jüdische Allgemeine, 15.1.2004